Oberhausen. Der ehemalige Neonazi Philip Schlaffer spricht mit Oberhausener Schülern über seinen erlebnisreichen und gleichzeitig schockierenden Lebenslauf.
Als Philip Schlaffer seinen Vortrag in der Aula der Anne-Frank-Realschule Oberhausen beginnt, hören die Schüler gleich gespannt zu. Der stämmige, große Mann ist bis zum Hals tätowiert und möchte den Jugendlichen seine Geschichte näherbringen – als abschreckendes Beispiel für einen Lebensweg, den sie besser nicht einschlagen sollten.
Als Anti-Gewalt- und Deradikalisierungstrainer ist er deutschlandweit an Schulen unterwegs, um vor Extremismus und Hass zu warnen. Wozu Radikalisierung führen kann, hat er selbst erlebt: Bereits im Jugendalter fand er Anschluss in Neonazi-Kreisen, später kamen Drogenhandel und Kriminalität im Rotlichtmilieu hinzu. Zwei Mal saß er im Gefängnis, bis er 2016 entlassen wurde und sich seitdem präventiv gegen Extremismus engagiert.
Zusammenhalt zwischen Hakenkreuzen und Hitlergruß
Schlaffer bindet die Schüler in seinen Vortrag mit ein, immer wieder stellt er Fragen: „Was denkt ihr, warum habe ich mich so wohlgefühlt in den Kreisen der Neonazis? Was haben die mir gegeben?“ – „Ein Gefühl von Zugehörigkeit?“, meldet sich ein Schüler der neunten Klasse. „Richtig! Ich habe mich endlich verstanden gefühlt!“, schreit Schlaffer, um seine Emotionen auszudrücken. Für diese gute Antwort gibt Schlaffer dem Schüler einen Faustcheck. Im Hintergrund wirft ein Beamer Bilder aus seiner Jugend an die Wand – Hakenkreuzflagge und Hitlergruß inklusive.
Der 43-Jährige benutzt immer wieder Kraftausdrücke, um dem Erzählten Nachdruck zu verleihen: „Das war verdammt scheiße, wie ich mich damals verhalten habe. Ich war ein Drecksack.“ Schlaffer zeigt daraufhin einen Videoausschnitt, auf dem ein Neonazi bei einer Demonstration gegen Rechtsextremismus ausrastet und mit der Polizei aneinandergerät. Kurze Zeit später klärt der Anti-Gewalt-Trainer auf: Das ist er selbst in jüngeren Jahren. Die Schüler sind verblüfft, „Krass!“, hört man aus allen Ecken.
„Gönnt euch die Liebe!“
Der Umbruch und anschließende Ausstieg kommt bei Schlaffer erst mit Mitte dreißig. Er leidet an Schlafstörungen, Verfolgungswahn und Migräne. Sein Arzt rät ihm, auszusteigen, wenn er sich nicht selbst töten möchte. Aus dieser Szene tatsächlich rauszukommen, war schwer, das verdeutlicht Schlaffer immer wieder. Wichtig ist ihm, dass die Schüler niemals aufhören, an sich zu glauben – „auch nicht bei schlechten Noten, ihr seid trotzdem noch genauso viel wert wie jemand mit guten Noten!“
Während seinen Erzählungen gibt er immer wieder Ratschläge an die Jugendlichen der neunten Klasse, versichert: „Ihr könnt noch alles erreichen. Lasst euch von niemandem einreden, dass ihr das nicht könnt!“ Seine lockere und dennoch sehr eindrückliche Art zieht alle Anwesenden der Aula in seinen Bann. Auch in Sachen Liebe, der für ihn „schönsten Sache der Welt“, hat er einen Rat: „Gönnt euch die Liebe! Liebe ist toll!“. Bei den Schülern sorgt das in einem Moment für Gekicher, während im nächsten alle wieder nachdenklich werden.
„Soziales Lernen“ gegen Einsamkeit durch Corona
Eine Sache, die im Leben von Philip Schlaffer immer wiederkehrt, ist die Angst vor dem Alleinsein. Diese Angst erkennt auch Realschulrektorin Ursula Niemann bei ihren Schülern. „Durch die Corona-Pandemie sind die Kinder und Jugendlichen nicht mehr in so engen Gemeinschaften wie vorher. Lockdown, Kontaktbeschränkungen, Homeschooling: Da vereinsamt man viel schneller. Deshalb haben wir uns gefragt, wie wir es hinkriegen, eine gute und soziale Schulgemeinschaft zu sein.“
In Zukunft soll die Anne-Frank-Realschule eine „Schule gegen Rassismus und mit Courage“ werden, hierfür sind noch weitere Vorträge und Workshops für alle Jahrgänge geplant. Organisator der Veranstaltung Thomas Sengwitz erklärt: „Das Gespräch mit Philip Schlaffer heute war der Auftakt für eine circa halbjährlich erfolgende Veranstaltungsreihe zum Thema ,Soziales Lernen’.“ Auch die Polizei Oberhausen soll hierbei miteingebunden werden und beispielsweise über Cyberkriminalität und Mobbing im Netz aufklären.
Sowohl von den Schülern, als auch von deren Eltern wird das Projekt „Soziales Lernen“ sehr positiv aufgenommen. „Ich würde mir nur wünschen, dass sich die Eltern auch selbst noch besser darüber informieren, wie sie sich in Bezug auf Radikalisierung und Gewalt verhalten können“, meint Niemann.