Oberhausen. Impfaktion für Jugendliche in einer Arztpraxis in Sterkrade. Es kommen weniger als erwartet, aber hinter jedem Piks steckt eine Geschichte.

Impfen oder nicht impfen? Die Frage spaltet zurzeit Familien und Freundschaften. Auch die Jugendlichen, die zur Impfaktion in der Praxis von Dr. Ertan Saraçbaşı-Zender kamen, hatten ihre eigenen Geschichten. Im Wartezimmer saßen komplett durchgeboosterte Familien neben Geschwistern im Impf-Clinch – und eine überzeugte Impfgegnerin, die es nicht geschafft hatte, ihren Sohn vom Corona-Schutz abzuhalten.

Wer an normalen Tagen in die Sterkrader Arztpraxis des Rheumatologen Ertan Saraçbaşı-Zender kommt, nimmt aller Wahrscheinlichkeit nach Medikamente ein, die zu einer Schwächung des Immunsystems führen. „Neunzig Prozent meiner Patienten sind davon betroffen“, sagt der Facharzt. Weshalb er von Anfang an das Impfen nicht nur in seiner eigenen Praxis, sondern auch bei zahlreichen Aktionen in der Stadt und im Impfzentrum unterstützt hat. Ehepartner wurden mitversorgt und, nachdem es freigegeben war, auch Jugendliche. Dem dreifachen Vater liegt diese Gruppe ganz besonders am Herzen.

Gefahr auch für Schüler: Long Covid

„Auch wenn Corona bei ihnen milde verläuft“, sagt der Facharzt, „so ist die Impfung für Schüler doch sehr wichtig. Es gibt Long Covid. Das kann von Konzentrationsschwäche bis hin zu Organschäden führen.“ An diesem Freitag, dem letzten Tag der Weihnachtsferien, hat er deshalb die Praxis für den Normalbetrieb geschlossen und bietet Zwölf- bis 17-Jährigen samt Eltern eine Impfung mit ausführlicher Beratung an. Wie dringend notwendig diese ist, wird sich im Verlauf des Vormittags noch zeigen.

Dr. Ertan Saraçbaşı-Zender ist stolz auf sein Team: „Alle geimpft, ich habe keine Angst vor der Impfpflicht“, sagt er. Besonders Mitarbeiterin Nicole Klein sei ihm bei der Organisation der Impfaktionen eine große Hilfe.
Dr. Ertan Saraçbaşı-Zender ist stolz auf sein Team: „Alle geimpft, ich habe keine Angst vor der Impfpflicht“, sagt er. Besonders Mitarbeiterin Nicole Klein sei ihm bei der Organisation der Impfaktionen eine große Hilfe. © FUNKE FotoServices | Kerstin Bögeholz

Anja Büttner ist mit ihrer 17-jährigen Tochter gekommen. Die Elftklässlerin hat sich gerade von Susanne Zender, Kinderärztin und Ehefrau von Dr. Saraçbaşı-Zender, den dritten Piks geholt. Geboostert werden dürfen Jugendliche erst seit dieser Woche. „Endlich“, sagt die Gymnasiastin und klingt erleichtert. Ihre Mama arbeitet in der Pflege, die Oma ist schon 86 Jahre alt. Und die meisten Freunde sind auch schon geimpft. „Sie hat es selbst entschieden“, sagt Anja Büttner, sichtlich froh. Nicht nur wegen ihres Jobs, „sondern auch, weil wir jetzt ganz entspannt essen gehen können“.

Was helfen würde: Werbung bei Twitter, Instagram und Co.

Noch ist es leer im dritten Stock des Ärztehauses, die aufgezogenen Biontech-Vakzine warten in einer Pappschale auf ihren Einsatz. „Ich glaube, die jungen Leute schlafen noch“, zeigt sich Saraçbaşı-Zender zuversichtlich. Doch es könne auch sein, dass sich hier ein Trend fortsetzt, den er wie andere Ärzte auch derzeit beobachte: „Es gab einen großen Andrang bis zum dritten Advent. Dann ging es plötzlich total zurück.“ Bei den jungen Leuten, glaubt er, fehle es nach wie vor an der altersgemäßen Ansprache: „Die kriegen Sie nicht über Zeitungen und Radio. Da müsste die Regierung mal etwas anderes machen, bei Instagram, Twitter und Co. Oder einen Spot bei Influencern.“

Marlon, der gerade nebenan auf einem Stuhl sitzt und stumm auf seine eigenen Schuhe starrt, hat keine Extra-Werbung benötigt, um heute hier zu sein. „Ich will mich mit Freunden treffen, ohne mich ständig testen lassen zu müssen“, sagt der 14-Jährige leise. Seine Mutter hat jedoch noch einige Fragen an die Ärzte. Sie scheint ganz und gar nicht begeistert vom Vorhaben ihres Sohnes. „Es gab viel zu viele Ungereimtheiten“, sagt sie. „Viel zu viel Hin und Her.“ Sie meint die wechselnden Informationen und Empfehlungen bezüglich der Impfstoffe im Laufe der Pandemie.

Eine Mutter mit tausend Einwänden und Bedenken

Der junge Gesamtschüler schweigt zum Redeschwall seiner Mutter. Er kennt ihre Argumente schon. Saraçbaşı-Zender und seine Frau hören ihr aufmerksam zu. Die 48-jährige Angestellte, die ihren Namen nicht nennen möchte, erzählt, dass sie lieber auf den Totimpfstoff warten möchte, dass sie auch da aber befürchtet, dass sie belogen wird und ihr etwas ganz anderes gespritzt werden könnte. Sie habe im Internet gelesen, dass einige Impfstoffe noch gar nicht zugelassen seien und zu Forschungszwecken an der Bevölkerung ausprobiert würden. Dass sie Verwandte hat, die trotz dreifacher Impfung mit schwerem Verlauf im Krankenhaus gelandet seien. Saraçbaşı-Zender antwortet auf jeden Einwand mit ruhiger Stimme, erklärt, beschwichtigt, widerspricht. Erstaunlich, wie freundlich er dies tut. Auch, als die Mutter Corona mit einer normalen Grippe vergleicht, und sagt, dass sie mit den Impfgegnern auf die Straße gehen werde.

62 Prozent der Zwölf- bis 17-Jährigen einmal geimpft

In Nordrhein-Westfalen sind bisher knapp 5,8 Prozent der Zwölf- bis 17-Jährigen geboostert. Rund zwei Drittel in dieser Altersgruppe sind mindestens einmal geimpft, 59 Prozent haben bisher eine zweite Impfung erhalten.

In Oberhausen sind 62 Prozent der Zwölf- bis 17-Jährigen einmal geimpft, 53 Prozent zwei Mal und drei Prozent drei Mal. Die Stadt macht jedoch darauf aufmerksam, dass es sein kann, dass noch nicht alle Ärzte ihre Impfungen gemeldet haben. Zudem seien die Impfungen, die noch im Impfzentrum (Willy-Jürissen-Halle) in dieser Altersgruppe vorgenommen wurden, nicht in diesen Daten enthalten. Somit dürfte die Impfquote also höher liegen.

Schlussendlich erhält Marlon den für ihn erlösenden Piks. Er macht kein Aufhebens drum, zieht den Pulli wieder an und will am liebsten gleich zur Türe hinaus. Susanne Zender erinnert ihn daran, dass er einige Tage auf Sport verzichten soll und bei länger anhaltenden Beschwerden zum Kinderarzt muss. „Für Sie hätte ich auch noch eine Dosis“, wendet sie sich an seine Mutter. Die schüttelt vehement den Kopf. Ihrem Sohn hat sie es dennoch erlaubt, immerhin. „Wenn ich so jung wäre“, sagt sie, „würde ich es wahrscheinlich auch wollen.“

Kranke Influencerin als abschreckendes Beispiel

Am Empfang hat sich inzwischen eine Schlange gebildet. Die Geschwister Joana und Juliano, beide 14 Jahre alt, stehen zum Boostern an. Er hat keine Lust mehr auf die vielen Tests – „Das kribbelt so in der Nase“ – und sie will in Ruhe zum Essen und Shoppen gehen. Hinter ihrer Entscheidung fürs Impfen stehen aber auch ernstere Gründe: Juliano hatte selbst schon Corona und möchte eine erneute Ansteckung unbedingt vermeiden. Joana hat es bestürzt zu sehen, wie sehr eine von ihr gemochte ungeimpfte Influencerin von der Krankheit getroffen wurde. „Das will ich auf keinen Fall“, sagt sie.

Familie Kuşcu ist zu dritt gekommen, Lara (17) bekommt die dritte Dosis, Recep ist Erstimpfling und Mama Fadime lässt sich spontan gleich mitboostern. „Ich will meine Kinder nicht überreden, aber ich will sie beschützen“, sagt Fadime Kuşcu. Ihr Sohn habe sich lang am Vater orientiert, der bis heute ungeimpft ist. Heute habe sie es geschafft, den Zehntklässler zu überzeugen. „Er macht doch bald eine Ausbildung, da muss er doch bestimmt geimpft sein“, sagt die 39-Jährige mit Sorgenfalten. „Und unternehmen kann er auch nix, immer sitzt er zu Hause an seinem Handy.“ Ihre Tochter Lara, die bald Abi macht, sei sofort für einen Impfschutz gewesen. Ihre einfache Begründung: „Ich will meine Freiheit zurückhaben.“