Oberhausen. Die Turbulenzen auf den Energiemärkten sind historisch so einzigartig, dass Energieversorger am liebsten keine neuen Kunden mehr aufnehmen.
Die gravierenden Umwälzungen auf den Strom- und Gasmärkten machen der Energieversorgung Oberhausen (EVO) zu schaffen – und damit auch ihren Kunden. Seit 1. Dezember 2021 hat die EVO-Geschäftsführung für neue Kunden, die die gesetzlich verpflichtende Grundversorgung beanspruchen wollen oder müssen, erstmals gesonderte Preise für Strom und Gas eingeführt. Und diese Tarife haben es in sich: Gas kostet bei der EVO für diese Kundengruppe doppelt so viel wie bisher für Neukunden; bei Strom macht der Aufschlag deutlich weniger aus, aber ist mit 46 Prozent ebenfalls sehr happig.
„Auf den Energiemärkten erleben wir in diesen Wochen eine absolute Preisexplosion“, schildert Vertriebsmanager Arnd Mucke im Gespräch. „Wir bauen deshalb durch die Preisanhebung ein Schutzschild auf – mit erheblichen Risikoaufschlägen, die aber notwendig sind.“ Die Folgen der Marktwirren sind also kurios: Man nimmt Preise, die Kunden abschrecken sollen.
Gesetzliche Kunden-Annahmepflicht für den Grundversorger im Stadtgebiet
Wenn sonst Energiemanager nach neuen Kunden, egal woher und wie, lechzen, ist das in diesen Zeiten nicht mehr der Fall. Und das ist die Erklärung hierfür: Energieunternehmen, die in einem Stadtgebiet der Mehrheitsversorger ist, müssen gesetzlich jeden im Stadtgebiet als Kunden aufnehmen, dafür muss noch nicht einmal ein schriftlicher Vertrag geschlossen werden. Wenn Gas- oder Stromanbieter pleite gehen oder extrem teuer geworden sind und Kunden dort lieber flüchten, fallen diese Kunden automatisch in die Arme der EVO. Das nennt sich Grundversorgung – so soll niemand in einer kalten Bude ohne Licht sitzen müssen. Diese Grundversorgung war in der Regel bei der EVO schon immer teurer als Spezialtarife – sowohl bei Gas- und Stromkunden berechnet die EVO hier Aufschläge.
Trotzdem sitzen rund 40 Prozent der 107.000 EVO-Stromkunden aus unterschiedlichen Gründen im Grundversorgungstarif Strom und 25 Prozent der 25.700 Gaskunden. Die jüngste Strom- und Gaserhöhung der EVO trifft diese Altkunden nicht, sondern nur neue Kunden, die der EVO in die Grundversorgung zufallen. Und das sind in diesem Jahr immer mehr – 800 Strom- und Gasabnehmer sind plötzlich neu bei der EVO.
„Energieversorger, die nicht vorsichtig genug kalkuliert haben, sind durch die starken Preisaufschläge für Gas und Strom an den Börsen in Not geraten, einige sind bereits pleite gegangen. Diese Kunden sind dann in Oberhausen sofort bei uns. Wir können als Grundversorger dagegen nichts machen.“ Das Problem: „Im bisherigen Grundversorgungstarif sind diese Kunden finanziell nicht auskömmlich.“ Frei übersetzt: Je frischer der Kunde, desto mehr Verlust.
Denn gewöhnlich schätzt die EVO wie viele andere Energieanbieter den Gas- und Stromverbrauch für ihre Stammkunden für die nächsten zwei bis drei Jahre – und kauft vorab in Tranchen diese Energiemengen an den Märkten ein. So gleichen die EVO-Einkäufer Preisschwankungen aus – und reduzieren Risiken. Kommen nun recht viele Neukunden, dann müssen für diese Gas und Elektrizität aktuell zusätzlich an den Spotmärkten eingekauft werden – und das ist derzeit so irre teuer, dass die bisherigen Tarife nicht ausreichen. Das EVO-Jahresergebnis von etwa elf Millionen Euro wäre in der anvisierten Höhe stark gefährdet.
So hatte die EVO-Führung nach eigenen Angaben eine Aufsplittung des Grundversorgungstarifs für neue und alte Kunden schon vor Wochen vorbereitet – doch zunächst wusste niemand in der Branche so recht, ob das rechtlich zulässig ist. Denn darf man die einen Grundversorgungskunden regelrecht durch Preise bestrafen, nur weil sie später dazustoßen? Erst eine Entscheidung des Landeskartellamtes NRW klärte diese Frage Mitte November – und so handelte die EVO und schraubte erleichtert die Grundversorgungstarife schon ab 1. Dezember 2021 in große Höhen. „Das machen derzeit praktisch alle Energieunternehmen“, beobachtet EVO-Vertriebschef Mucke.
EVO-Muster-Rechnungen zeigen die Höhe des Preisaufschlags
Wie sehr neue Kunden im Grundversorgungstarif der Energieversorgung Oberhausen (EVO) getroffen werden, zeigen Beispielrechnungen des Unternehmens. Verbraucht ein EVO-Strom-Stammkunde 2800 Kilowattstunden Strom im Jahr, so zahlt er ab 1. Januar 2022 rund 970 Euro. Ein EVO-Neukunde in der Grundversorgung ist bei einem gleichen Verbrauch mit 1345 Euro dabei – das sind rund 39 Prozent mehr.
Wärmt man in der Grundversorgung mit dem EVO-Erdgas seine Wohnung (Vier-Familien-Haus, Verbrauch insgesamt 14.625 Kilowattstunden Gas im Jahr) muss jede Familie ab 1. Januar 2022 etwa 1370 Euro an die EVO überweisen. Doch ein neuer Gaskunde ist gezwungen, 2645 Euro für die EVO auf den Tisch zu legen – also fast doppelt soviel wie der Stammkunde.