Oberhausen. Die Ärzte in Oberhausen „haben die Nase voll“ und schreiben einen saftigen Corona-Brandbrief. Gesundheitsministerium hat bereits reagiert.

Mit deutlichen Worten schlägt die Oberhausener Ärzteschaft Alarm. „Lassen Sie uns einfach unsere Arbeit machen.“ „Es ist später als fünf vor zwölf.“ „Wir haben die Nase voll.“ Frust und Ärger über die Corona-Politik ließen viele niedergelassene Ärztinnen und Ärzte sogar darüber nachdenken, die Brocken hinzuschmeißen. Ihre Arbeit zu beenden, „obwohl sie die Versorgung der Kranken nach wie vor gerne und aus Überzeugung leisten möchten“, heißt es in einem Brandbrief der Oberhausener Ärzte und Zahnärzte.

Das Fass zum Überlaufen brachte eine Neuerung im Infektionsschutzgesetz, die das NRW-Gesundheitsministerium am Donnerstag offenbar bereits wieder zurückgenommen hat – darauf machte am frühen Nachmittag die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe aufmerksam. Vorgesehen war zunächst, dass in Praxen und anderen Gesundheitseinrichtungen Arbeitgeber, Beschäftigte und Besucher einen tagesaktuellen Coronatest vorlegen müssen – unabhängig davon, ob sie geimpft oder genesen sind. Praxen im ganzen Land liefen Sturm – auch in Oberhausen.

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Denn das Coronavirus werde gar nicht durch Arztpraxen verbreitet, heißt es in dem am Mittwochabend versandten Oberhausener Schreiben – unterzeichnet von den niedergelassenen Ärzten Dr. Stephan Becker (Kassenärztliche Vereinigung), Dr. Peter Kaup (Ärztekammer) und Stavros Avgerinos als Vertreter der Oberhausener Zahnärzte. Im Gegenteil: Bei Coronafällen innerhalb einer Praxis seien bisher immer umgehend Maßnahmen getroffen worden, so dass das Virus eben nicht auf Kolleginnen, Kollegen oder die Patientenschaft übertragen wurde.

Oberhausener Ärzte: „Das ist nicht mehr erträglich“

An Brisanz verliert der Brandbrief auch durch die Rücknahme der Vorschrift nichts, denn dem Schreiben ist anzumerken: Es hat sich grundsätzlich viel Ärger und Frust angestaut. „Wir sind es leid, unsere Geduld ist aufgebraucht“, schreiben Becker, Kaup und Avgerinos. Täglich würden die Praxen mit neuen Informationen zugeschüttet – von den Ministerien, und in der Folge dann vom Oberhausener Krisenstab und dem Gesundheitsamt. Dies sei „nicht mehr zu verarbeiten, nicht mehr gewünscht und nicht mehr erträglich“. Nur ein Beispiel: Um 22 Uhr erhalten Praxen die Nachricht, Impfstoff am Folgetag „gnädigerweise“ dann doch bis 14 Uhr bestellen zu dürfen, statt bis 12 Uhr.

Das Vertrauen in die Politik ist erschüttert, die Zustimmung an der Basis gehe massiv verloren, schreiben die drei Mediziner stellvertretend für die Praxen in Oberhausen. Täglich würden sie von Kollegen hören, „die einfach aussteigen wollen“. Auch ein Grund: die Belastung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, „die – anders als Klinikpersonal – noch nie eine staatliche Corona-Prämie erhalten“ haben.

„Impfen hat höchste Priorität“

Der Brandbrief der Ärztinnen und Ärzte ist auch an den Oberhausener Krisenstab gerichtet. Dessen Leiter Michael Jehn betont auf Nachfrage die bisherige gute Zusammenarbeit der Corona-Akteure in der Stadt.Jehns Stellungnahme: „Die Ärzteteams in unserer Stadt haben in den vergangenen Monaten bewiesen, dass sie sehr verantwortungsbewusst den Infektionsschutz in ihren Praxen leben. Seit Beginn der Pandemie haben wir in Oberhausen immer alle gemeinsam an einem Strang gezogen, und das werden wir auch in der Zukunft tun. Nur gemeinsam werden wir den Weg aus der Pandemie schaffen. Jetzt gilt es, alle Kraft und Zeit dem Impfen unserer Bürgerinnen und Bürger zu widmen. Das hat die höchste Priorität.“

Die „Kopflosigkeit der Politik“ gehe auf die Knochen der Betroffenen, Gesetze und Regeln belasten die Arbeit. Zusätzlich würde den Praxen eine „völlig fehlkonstruierte Digitalisierung aufgedrückt“, beschweren sich Becker, Kaup und Avgerinos weiter. Vom Ärger mit Krankenkassen ganz zu schweigen, der aus Sicht der Ärztinnen und Ärzte das Alltagsgeschäft in den Praxen zusätzlich erschwert.

Der Brandbrief der Oberhausener Ärztevertreter hat viele Adressaten: die Gesundheitsministerien von Bund und Land, die Kassenärztliche Vereinigung, die Ärztekammer, Krisenstab und Gesundheitsamt der Stadt Oberhausen. Krisenstab und Gesundheitsamt sollen dabei in Kenntnis gesetzt werden, an sie richtet sich die harsche Kritik ausdrücklich nicht. Die Zusammenarbeit sei sehr respektvoll, sagt Dr. Stephan Becker, Ärzteschaft und Krisenstab seien im Schulterschluss. Doch an Regierung und Politik schreiben die Ärzte: „Wir appellieren an Sie: Schenken Sie den Praxen und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Beachtung, versuchen Sie, Verständnis aufzubringen und in praktische Maßnahmen umzusetzen. Wir hatten immer eine andere Vorstellung davon, wie Menschen medizinisch gut ambulant versorgt werden sollten.“