Oberhausen. Die öffentlichen Nahverkehrsbetriebe haben massive Verluste an Kunden zu verzeichnen. Ab Dezember sollen neue Tarifsysteme im VRR Kunden locken.
Klimawandel hin oder her: Die gesellschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie haben dem öffentlichen Nahverkehr massiv geschadet. Angst, sich in vollen Bussen und Bahnen anzustecken, und der einschneidende Wandel der Arbeitswelt hin zu mehr Home-Office halten die Fahrgast-Zahlen gedrückt.
Immer noch nutzen im Vergleich zu Vor-Pandemiezeiten 25 Prozent weniger Fahrgäste in Oberhausen täglich den Nahverkehr – und Stammkunden wenden sich von dem klimafreundlichen Verkehrsmittel ab. Die Anzahl der Stoag-Monatsticket-Abonnenten lag im September 2021 gegenüber September 2020 um sieben Prozent niedriger (minus 1800 Kunden) – und gegenüber dem Jahr vor Pandemie (2019) büßte die Stoag sogar zwölf Prozent der Abo-Zahler ein (ein Verlust von 3000 Kunden). Erster Lichtblick für die Stoag: Die massive Kündigungswelle von Ticket1000/Ticket2000-Stammkunden in diesem Jahr hat nachgelassen, derzeit stagnieren die Abo-Zahlen.
Doch das Vertrauen in den Nahverkehr zurückzugewinnen, wird für die Betreiber von Bussen und Bahnen äußerst schwierig. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen rechnet selbst nicht mehr damit, dass das Einnahmeniveau des Jahres 2019 vor 2024 erreicht werden kann.
Verlust an Einnahmen von bis zu 23 Prozent
Die Nachfrage der Stoag-Fahrgäste in Oberhausen lag im September 2021 im Tagnetz bei 75 Prozent im Vergleich zum September 2019, im Nachtnetz sogar nur bei 70 Prozent im Vergleich zum September 2019. Die Monate mit der geringsten Bus- und Bahn-Nutzung von Oberhausener Fahrgästen mit nur 44 Prozent Auslastung waren im März 2020 (Beginn des ersten Lockdowns), im Dezember 2020 und im Januar 2021 (Hochphase des zweiten Lockdowns mit Ausgangssperre in Oberhausen).Die niedrigsten Gesamteinnahmen seit Beginn der Pandemie verzeichnete die Stoag im Monat April 2020. Im Zeitkartenbereich (einzelne Monatskarten und Jahresabonnement) lagen die Stoag-Einnahmen Im September 2021 gegenüber September 2020 um minus acht Prozent und gegenüber September 2019 um minus 17 Prozent niedriger. Betrachtet man nur die Einnahmen aus den Einzeltickets, so betrugen diese im September 2021 fast ein Viertel (23 Prozent) weniger als vor zwei Jahren, also im September 2019.
Der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) hat sich deshalb auf die neue Lage eingestellt und experimentiert mit zwei neuen Tarifvarianten für Ruhrgebietsbürger, die in Home-Office-Zeiten nicht mehr täglich ihr Unternehmen ansteuern müssen. Sie sind recht flexibel ausgestaltet: ein Entfernungspreis-System und eine Art Bahncard mit Rabatt für Einzeltickets im VRR-System. Stoag-Geschäftsführer Werner Overkamp hegt große Hoffnung auf einen Erfolg dieser flexiblen Ticketvarianten: „Mit den neuen Tarifen werden wir Kunden ansprechen, die sich bis jetzt nicht für ein Abo entscheiden konnten. Noch wichtiger ist es, dadurch neue Kunden zu gewinnen.“
„e-Tarif“ fußt auf einen Grundpreis je Fahrt – und der Luftlinien-Entfernung
Worauf dürfen sich die skeptischen Ex-Freunde des öffentlichen Nahverkehrs einstellen?
Der VRR bietet ab Dezember 2021 den „e-Tarif“ an, eine Preisberechnung auf Grundlage der Luftlinien-Entfernung zwischen dem Start-Ort und dem Ziel-Ort. Dieser soll sich vor allem für diejenigen lohnen, die mehr als ein- oder zweimal mit einem Einzelticket Bus und Bahn fahren, für die sich aber ein Monatsticket als Gelegenheitsfahrer nicht auszahlt. Das e-Ticket gilt in ganz NRW.
Der Tarif setzt sich aus einem Grundpreis (1,50 Euro) und dem Luftlinien-Kilometer-Preis von 25 Cent je Fahrt zusammen. Man zahlt pro Fahrt nie mehr als das Einzelticket im klassischen Tarifsystem – und nie mehr als 25 Euro innerhalb von 24 Stunden. Der Fahrgast checkt beim Einstieg über die VRR-Mobilitäts-App auf seinem Smartphone ein, beim Ausstieg aus – und die App rechnet ab.
Flexticket lehnt sich an dem Bahncard-Rabattsystem an
Erst Anfang des neuen Jahres steht der neue Rabatt-Tarif „Flexticket“ zur Auswahl, angelehnt ist er an der Bahncard-Methode. Das Flexticket gibt es in zwei Varianten: Bei Variante Flex25 beträgt der monatliche Grundpreis 3,90 Euro, die Einzeltickets und die Fahrradmitnahme kosten dann 25 Prozent weniger. Bei der Variante Flex35 beträgt der Grundpreis 8,90 Euro, der Rabatt für die Einzeltickets ist dann 35 Prozent hoch. Wird der höhere Grundpreis gewählt, ist die Fahrradmitnahme enthalten.
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Die Stoag ist jedenfalls zuversichtlich, dass die Tarife gut ankommen und sich Bürger neu für den Nahverkehr entscheiden. Allerdings mag den einen oder anderen auch der immer noch hohe Preis für Fahrkarten im Nahverkehr abhalten – denn im normalen Tarifsystem klettern die Preise des Verkehrsverbundes weiter, und zwar ab 1. Januar 2022 um 1,7 Prozent. Die steigenden Benzinpreise für Autofahrer spielen der Stoag dabei allerdings durchaus in die Karten. „Im Gegensatz zu den Kosten, die bei der Nutzung von Autos anfallen, steigen die Ticketpreise im Januar moderat. Sie tragen den erhöhten Kosten, wie etwa im Personalbereich, Rechnung“, verteidigt die Stoag-Spitze die Verteuerung.