Oberhausen. Juristen ohne Akte in der Hand – das kann man sich kaum vorstellen. Das wird aber schon bald in Oberhausen am Amtsgericht Wirklichkeit.

Die Digitalisierung der Oberhausener Justiz schreitet voran: Der Richter, der in dicke Akten guckt; die Staatsanwältin, die stundenlang zur Prozessvorbereitung in eng beschriebenen Aktenseiten blättert – all das gehört ab 2026 der Vergangenheit an. Denn bis zum 1. Januar 2026 muss die Justiz in Nordrhein-Westfalen vollständig digitalisiert sein. So lautet eine bindende europäische Vorgabe: E-Akte statt Papierberge also.

„Für alle am Amtsgericht, für Richter, Staatsanwälte, Anwälte, Rechtspfleger und Geschäftsstellenteam, wird das einen echten Kulturwandel bringen“, sagt Amtsgericht-Direktor Christian Happe. Bereits seit 1. März 2021 hat die Digitalisierung im Bereich der Zivilverfahren Einzug gehalten. Seit diesem Termin im Frühjahr werden sämtliche eingehende Zivilverfahren nicht mehr in Papierform, sondern ausschließlich in elektronischer Form geführt. Mittlerweile gibt es bereits mehr E-Akten im Bereich der Zivilverfahren als herkömmliche Papierakten.

Und nun hat das Amtsgericht einen weiteren wichtigen Digitalisierungs-Schritt getan: Auch alle Ordnungswidrigkeiten im Verkehrsbereich (Handy-Telefonieren am Steuer, Tempoverstöße etc.) werden nun als E-Akte angelegt. Das Amtsgericht Oberhausen übernimmt hier eine Pilotfunktion, auch weil die Stadtverwaltung passgenau elektronische Daten dazu liefern kann.

Mehrere tausend Verfahren pro Jahr

Mit rund 20 Richterstellen ist das Amtsgericht Oberhausen ausgestattet. Es wickelt jährlich mehrere tausend Verfahren ab.Im Blickpunkt der Öffentlichkeit steht häufig das Strafrecht; es werden aber auch Entscheidungen und Urteile im Zivil-, Familien- und Betreuungsrecht gefällt; ebenso geht es um Nachlass-Angelegenheiten und Zwangsvollstreckungen.

Die Digitalisierung soll Verfahrensabläufe beschleunigen und Kosten einsparen. Zudem sind elektronische Akten immer verfügbar und verschiedene Bearbeiter können gleichzeitig darauf zugreifen. Doch der dickste Digitalisierungs-Batzen kommt noch: Bis zum Jahr 2026 werden auch alle Strafverfahren digital! „Dann können Richter oder Staatsanwälte bei der Prozessvorbereitung auch in diesem Bereich problemlos von zu Hause arbeiten“, unterstreicht Richter Thomas Hubert, seit Anfang Juni als stellvertretender Direktor und Pressesprecher am Amtsgericht in Oberhausen präsent.

Kirchenaustritte: Termine gibt es online

Bei all dem hat die Corona-Krise mit ihren Kontaktbeschränkungen entscheidende Impulse gegeben. Der Publikumsverkehr im Gerichtsgebäude am Friedensplatz soll vermindert werden. So ist es mittlerweile längst möglich, Termine für Kirchenaustritte online zu vereinbaren. Bald sollen auch Grundbucheinsichten und Sachverständigengutachten in Zwangsversteigerungssachen digital abrufbar sein. Zudem ist das Amtsgericht Oberhausen bereits in der Lage, Zivilverfahren und Familiensachen als Videoverhandlung zu absolvieren. Die Zivilprozessordnung (ZPO) erlaubt diese Möglichkeit, anders als die Strafprozessordnung (StPO).

Das Amtsgericht Oberhausen wird also rundum digital – Rollkoffer mit Aktenfracht, von Männern und Frauen in schwarzen Roben mühevoll über lange Flure in den Gerichtssaal gezogen, gehören ab Mitte dieses Jahrzehnts der Vergangenheit an. Die Juristen werden stattdessen ganz elegant Laptop oder Tablet zücken. Und manch einer wird vielleicht mit ein wenig Wehmut an das raschelnde Aktenpapier vergangener Tage zurückdenken.