Oberhausen. Allein im Evangelischen Krankenhaus Oberhausen mussten zehn Schwangere mit schweren Corona-Verläufen behandelt werden. Ärzte raten zur Impfung.
Eine 25-jährige Schwangere ohne jede Vorerkrankung ist in Dortmund an Covid-19 verstorben. Ihr Arzt wendet sich mit dem dringenden Appell an alle werdenden Mütter, sich impfen zu lassen, an die Öffentlichkeit. Denn die Vorbehalte sind noch immer groß. Dabei mussten allein im Evangelischen Krankenhaus Oberhausen (EKO) ebenfalls bereits zehn Schwangere mit schweren Corona-Verläufen behandelt werden. Die Experten dort schließen sich der Aufforderung zu einer Impfung an.
Die Zahlen sprechen für sich: „Das Risiko für werdende Mütter im Falle einer Corona-Infektion auf einer Intensivstation beatmet werden zu müssen, ist nach allem, was wir jetzt schon wissen, ums 20-fache erhöht, die Sterblichkeit sogar ums 26-fache“, bringt es Dr. Marc Schüßler, Chefarzt der Klinik für Geburtshilfe im Perinatalzentrum Level 1 des EKO, auf den Punkt. Gerade jüngere Schwangere aber würden sich oft in falscher Sicherheit wiegen. „Denn zu Beginn der Pandemie hieß es ja, dass fast nur ältere Menschen schwer erkranken würden“, führt Schüßler aus. Doch diese Annahme beinhalte mindestens einen gravierenden Denkfehler: „In der Schwangerschaft regelt sich das für die Krankheitsabwehr zuständige Immunsystem sofort herunter, da das ungeborene Kind sonst als Fremdkörper abgestoßen würde.“ Eine automatische Schutzfunktion für das Baby also, die in der Pandemie aber für jede werdende Mutter lebensgefährliche Folgen haben kann. „Schwangere stecken sich halt generell schneller an, das gilt auch für alle Viruserkrankungen, nicht nur für Covid.“
Dazu kommt die rasche Ausbreitung der Delta-Variante. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts werden mittlerweile über 99 Prozent aller Infektionen durch diese Mutation verursacht. Delta ist aber nicht nur ansteckender, sondern verläuft auch schwerwiegender. Die US-Gesundheitsbehörde CDC spricht davon, dass Delta so ansteckend ist wie die Windpocken. Das Durchschnittsalter der Covid-Patienten im Krankenhaus sank laut RKI deutschlandweit von 77 Jahren von Anfang Januar auf 46 Jahre Anfang August. Für Dr. Britt Hornei, Chefärztin der Klinik für Mikrobiologie am EKO, ist damit klar: „Alle, die nicht geimpft sind, werden sich mit dem Coronavirus infizieren.“
Und wieder einmal sind Länder, die früher mit den Impfungen begonnen hatten, auch bei ihren Empfehlungen weiter: „Die CDC in den USA empfiehlt eine grundsätzliche Impfung von Schwangeren“, sagt Hornei. Eine gleichlautende Entscheidung der Ständigen Impfkommission in Deutschland erwarten Experten allerdings noch in diesem September. „Elf deutsche Fachgesellschaften, darunter die Deutsche Gesellschaft für Perinatalmedizin, hatten sich bereits im Mai dafür ausgesprochen“, ergänzt Schüßler. Deshalb seien Corona-Schutzimpfungen für Schwangere nach einem Beratungsgespräch bei einem niedergelassenen Arzt bereits heute auch in Oberhausen möglich.
Schüßler erläutert: „Die Organbildung des Fötus ist nach dem ersten Schwangerschaftsdrittel abgeschlossen, damit steht einer Impfung ab dem zweiten Drittel nichts im Weg.“ Mögliche Fehlbildungen könnten zu diesem Zeitpunkt durch eine Impfung nicht mehr verursacht werden. „Auch zu vermehrten Fehlgeburten ist es in Amerika durch mRNA-Impfungen, die Schwangere auch bei uns erhalten, nicht gekommen.“ Ginge es nach ihm, sollten sich alle Frauen mit Kinderwunsch aber möglichst bereits vor der Schwangerschaft durch diesen Piks schützen. „Dann bliebe vielen Familien viel Leid erspart.“
Falschmeldungen im Internet versetzen Schwangere in Angst und Schrecken
Doch etliche Frauen zögerten. Zu groß sei ihre Sorge, dem Ungeborenen durch die Corona-Impfung möglicherweise zu schaden, weiß Britt Hornei. „Im Internet verbreiten sich Lügen wie die, dass eine mRNA-Impfung sogar das Erbgut verändern könnte.“ Die Mikrobiologin macht eine solche Irreführung einfach nur wütend: „Bei der in den Impfstoffen verwendeten mRNA handelt es sich um ein normales Zwischenprodukt der Zelle, das ausschließlich eine Botenfunktion hat und vom Körper rasch abgebaut wird, zu Erbgutschäden kann es überhaupt nicht kommen.“ So sieht es übrigens auch der Präsident des für die Überwachung von Arzneimitteln zuständigen Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), Professor Dr. Klaus Cichutek, der in den Medien ebenfalls immer wieder betonte: „Warnungen vor Erbgutschäden sind falsch und verursachen unbegründete Ängste.“
Die durch die Impfung angeregten Antikörper schützten dagegen sogar auch Neugeborene, die bislang noch nicht geimpft werden können, effektiv vor einer Corona-Infektion, betont Schüßler.
Der einzige wirksame Schutz
Durch die Delta-Variante kommt es inzwischen selbst bei vollständig Geimpften zu Impfdurchbrüchen. Selbst ein vollständig geimpftes Umfeld in der Familie und im Krankenhaus reichen deshalb nicht mehr aus, um Schwangere vor einer Ansteckung zu bewahren.
Eine aktuelle Studie aus Großbritannien zeigt: „Schwangere, die geimpft sind, können sich in seltenen Fällen zwar noch infizieren und auch andere anstecken, aber sie erkranken zumindest nicht mehr schwer an Covid 19“. Darauf weisen die EKO-Chefärzte Dr. Britt Hornei und Dr. Marc Schüßler hin.
Gleiches gelte für Kinder, die gestillt werden. „Sie erhalten diesen Nestschutz dann durch die Muttermilch.“ Durch eine Covid-Infektion der Schwangeren dagegen erhöhten sich nicht nur die Risiken für Frühgeburten und Präeklampsie (Schwangerschaftsvergiftung), „sondern auch für Totgeburten“.
Den zehn erkrankten Patientinnen im EKO konnten die Ärzte helfen, keine von ihnen musste beatmet werden. Schüßler rät: „Schwangere mit Corona sollten auf keinen Fall abwarten, bis sie Atemnot bekommen, sondern sofort ins Krankenhaus gehen – denn nur dort können sie Spezialmedikamente erhalten, die einen schweren Verlauf verhindern können.“