Oberhausen. Oberhausener sorgen sich, dass ihre Innenstadt verödet. Doch was stört sie? Was wünschen sie sich? Was war früher besser? Eine Umfrage.

Dieter Lausberg sammelt mit einer Greifzange Kippen vor seinem Laden ein. Es ist kurz vor Pfingsten, für ein paar Stunden scheint die Sonne. Besonders viel ist nicht los in der Innenstadt, Lausberg hat jeden Fitzel vom Boden entfernt – fast so, als erwarte er hohen Besuch. Schon seit 30 Jahren verkauft er hier Spielzeug. So wenige Kunden wie in den vergangenen Monaten hatte er noch nie. Auf die Frage, wie er die Entwicklung der Innenstadt bewertet, legt er die Greifzange auf der rechten Schulter ab, runzelt die Stirn und sagt: „Böse, böse“.

In einer Umfrage unserer Redaktion zum „Corona-Check“ haben wir Oberhausenerinnen und Oberhausener gefragt, ob sie Sorge haben, dass die Innenstädte durch die Pandemie noch mehr veröden. Jüngere wie Ältere antworteten gleichermaßen, dass sie sich um die Innenstadt sorgen. Auf einer Skala von eins bis fünf – fünf bedeutet extreme Sorge – liegt der Wert im Durchschnitt bei 3,85. Wir sind in die Innenstadt gegangen und haben Passanten gefragt, was sie stört.

Spielzeug-Ladenbesitzer in Oberhausen: Menschen meiden wegen Corona die Innenstadt

„Es macht schon traurig, durch die Innenstadt zu laufen“, sagt Ladenbesitzer Lausberg. Wegen Corona seien die Bordsteine ja hochgeklappt. Das verschärfe den Eindruck des Niedergangs. „Die Junkies und Alkoholkranken tun ihr Übriges.“ Direkt neben seinem Geschäft an der Langemarkstraße ist eine Passage, er zeigt mit der Greifzange dorthin. „Die Leute kacken und pissen da regelmäßig ‘rein. Ich verstehe es nicht.“

Im Geschäft steht sein Sohn, Christoph Lausberg, an der Kasse. Er darf öffnen, weil der Spielzeugladen gleichzeitig ein Paketshop ist. Christoph Lausberg sagt: „Ich denke, dass auch nach Corona die Leute ihre Masken erstmal aufziehen, wenn sie in die Stadt gehen. Das nimmt dann erst mit der Zeit ab, bis es wieder normaler wird.“ Und sein Vater ergänzt: Ältere hätten Angst vor Corona und blieben zu Hause. „Ich kenne viele 80-Jährige, die immer noch nicht geimpft sind.“ Bis die Innenstadt so besucht sei wie vor Corona, dürfte also noch mehrere Monate dauern.

Jürgen, 75 Jahre alt, ist einer von denen, die Angst haben. Er will seinen Nachnamen nicht nennen. „Hier kennen mich zu viele“, erzählt er, als er über den Saporoshje-Platz schlendert. Er sei aus Angst schon lange nicht mehr zu seinem Arzt in die Stadt gegangen – zu viel Risiko. „Ich bin jetzt mein eigener Arzt“, sagt er und lacht. Früher hat er Autos in Essen verschrottet, repariert und verkauft. Jetzt ist er Rentner. Gegen Bluthochdruck helfe am besten eine kalte Badewanne. „Wichtig ist auch Bewegung.“ Deswegen unternimmt er täglich Wanderungen durch die Innenstadt. „Ich kaufe aber nie was. Erstens habe ich alles. Zweitens muss ich meine Kröten zusammenhalten.“ Die Innenstadt gefalle ihm gut, besonders im Vergleich zur Einkaufsmeile in Essen. „Unsere Straßen hier sind breiter angelegt, dann kann man besser den Abstand einhalten.“

Passantin: In der Innenstadt gibt es fast nur noch Ein-Euro-Läden

Auf der Marktstraße steht Lore Beverungen vor Fielmann – ihr Mann leitete das Geschäft bis zu seinem Tod. Die 72-Jährige erzählt, dass sie nach Kempen ziehen will, wenn sie ihren Vater nicht mehr pflegen muss. Sie lebt in der Innenstadt und fühlt sich nicht mehr zu Hause. Alles hier sei grau in grau. „Auf der Marktstraße fehlen mir Blumen und Sitzmöglichkeiten“, sagt sie. „Früher habe ich Freunde am Wochenende immer bei Feinkost Schmitz getroffen – aber das ist lange vorbei.“ Schade sei, dass man beim Einkaufen kaum noch Bekannte treffe. „Die meisten gehen ganz früh morgens, damit sie ja niemanden sehen.“ Sie glaubt, es liegt an der Ellbogengesellschaft: Die Stadt sei voll von Rüpeln, die nicht grüßen, auf den Boden starren und einen anrempeln. Ein Leben ganz ohne Innenstadt kann sie sich dennoch nicht vorstellen. „Man will Sachen anfassen, bevor man sie kauft. Das geht im Internet nicht.“

Wie wir an die Ergebnisse des Corona-Checks gekommen sind

Durch die Umfrage des Corona-Checks wollte unsere Redaktion herausfinden, wie sich die Pandemie konkret auf die Lebensweise der Menschen im Ruhrgebiet ausgewirkt hat. Und: Wie die Menschen auf die Zeit nach Corona blicken. Insgesamt haben sich 15.304 Personen an der Umfrage beteiligt, allein in Oberhausen 906. Daten-Analystin der FUNKE-Mediengruppe, Dr. Ana Moya, sagt zum Corona-Check: „Insgesamt haben wir ein sehr valides Stimmungsbild. Der Corona-Check gibt Einblicke in die Empfindens-Welt der Menschen unserer Region.

Monika Lochthove (72) kennt die Innenstadt schon seit ihrer Kindheit. „Früher hatten wir noch gute Geschäfte für Haushaltswaren und Modehäuser wie Magis oder Mensing. Jetzt gibt es immer mehr Ein-Euro-Läden.“ Wenn überhaupt – wegen Corona gebe es viel Leerstand. Auch der Markt wird immer kleiner, mittlerweile sind es nur noch drei Stände. „Wenn ich schön einkaufen möchte, fahre ich nach Rüttenscheid oder Düsseldorf.“ Ihrer Meinung nach war die Eröffnung des Centro der Anfang vom Ende. „Das Center hat der Innenstadt den Stecker gezogen.“