Oberhausen. Am Tag nach der konstituierenden Sitzung des Oberhausener Stadtrates erlebt die Politik noch einige Nachwehen: Die AfD reicht Beschwerde ein.
Gelbes Tatort-Flatterband zur Absperrung, Warntafeln mit roter Warnschrift, leere Garderoben, Desinfektionsspender, Abstandsregeln und in Masken gehüllte Menschen – da mag die Stadthalle an der Düppelstraße gegenüber dem Rathaus, benannt nach der tapferen langjährigen
Oberhausener
SPD-Oberbürgermeisterin Luise Albertz, an diesem Pandemie-Tag noch so kalt und trostlos wirken, doch man spürt, dass dieser Auftakt einer neuen Ratsperiode ein ganz besonderer Moment gelebter Demokratie ist.
Ganz besondere Kleidung bei erster Ratssitzung
Die 56 anwesenden
Ratsmitglieder
mit ihren Mund-Nasen-Schutztüchern im Saal Berlin, darunter mehr als die Hälfte erstmals in diesem
Stadtrat
, sind am 13. September von den Bürgern gewählt worden, die Geschicke ihrer Heimatstadt in den nächsten fünf Jahren zu lenken. Und so haben sich die Ratsmitglieder ganz besonders gewandet – wie der frühere Grünen-Fraktionschef Andreas Blanke in einen feinen Anzug oder die SPD-Fraktionsvorsitzende Sonja Bongers in vornehmes Schwarz.
Oder sie haben sich Spezial-Mundschutz in ihren Parteifarben aufgesetzt wie Marc Hoff (FDP, ganz in gelb) oder Thomas Krey (SPD, ganz in Rot). Andere strahlen begeistert über beide Wangen, was man bei SPD-Ratsherr-Frischling Axel J. Scherer trotz Maske gut beobachten kann – endlich Mitglied dieses obersten Entscheidungsgremiums der Stadt!
Um 15.50 Uhr erheben sich alle Ratsmitglieder dann auf Bitten von Oberbürgermeister Daniel Schranz (CDU) zu einem formal-nüchtern, aber doch so demokratisch-wichtigen Akt: Die neuen Ratsleute schwören zwar keinen Eid auf die Verfassung, aber stimmen einer trockenen Erklärung als Basis ihrer fünfjährigen Arbeit zu: „Zu meiner heutigen Amtseinführung bin ich zur gesetzmäßigen und gewissenhaften Wahrnehmung meiner Aufgaben verpflichtet worden.“
Was das eigene Gewissen einem sagt, ist bekanntlich verschieden: Und so glauben die einen, die erste Ratssitzung mit Beteiligung der AfD nur überstehen zu können, wenn man ein deutliches Zeichen setzt. Linken-Ratsmitglieder haben sich T-Shirts mit Symbol und Schriftzug der „Antifaschistischen Aktion“ (Antifa) angezogen, Fraktionschef Yusuf Karacelik schreitet – alle Tagesordnungsformalien ignorierend – zum Rednerpult, um seinem Herzen Luft zu machen: „Dies ist eine Zäsur historischen Ausmaßes: Erstmals seit Ende des Zweiten Weltkriegs, seit Ende der Nazi-Herrschaft ziehen die geistigen Erben des Faschismus’ in den Rat der Stadt ein.“
AfD reicht Beschwerde ein
Die anderen wiederum fühlen sich angesprochen, lassen die Provokation nicht auf sich sitzen und beschweren sich noch am nächsten Tag darüber, dass Ratsvorsitzender und Sitzungsleiter Schranz nicht anordnet, die Antifa-Kleidung auszuziehen. Schließlich habe Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) selbst eine kleine Antifa-Nadel nicht im Berliner Plenum zugelassen – um die Würde des Parlaments zu wahren. „Gelten für die Würde des Rates der Stadt andere Maßstäbe als für andere parlamentarische Institutionen?“, fragt AfD-Fraktionschef Wolfgang Kempkes in einer Beschwerde-Mail den Oberbürgermeister am Dienstag.
Und weil sich die demokratisch gewählten AfD-Ratspolitiker durch die linken Demonstranten vor der Halle beim Eintreten nicht nur beleidigt und belästigt fühlten, sondern nach eigener Darstellung auch noch angerempelt wurden, reicht die Oberhausener AfD auch noch eine Fachaufsichtsbeschwerde gegen Stadtspitze und Polizei beim Innenministerium NRW ein. Sie hatten ein Sicherheitskonzept nicht für notwendig gehalten – das sieht die AfD jetzt erst recht anders.
Bei der ersten Ratssitzung ging es allerdings nicht nur feierlich und randalig zu, sondern auch spaßig und arbeitstechnisch: Nach einer recht launigen Vorstellung der Bürgermeister-Kandidaten („Will man mich hier verhindern, oder was?“ Werner Nakot bei kurzzeitigem Mikrofonausfall), wurden Nakot (CDU), Manfred Flore (SPD) und Andreas Blanke (Grüne) mit großer Mehrheit per Liste von 49 Ratspolitikern in geheimer Wahl zu ehrenamtlich arbeitenden Stellvertretern des Oberbürgermeisters gewählt.
In letzter Minute hatte sich Kempkes zwar zuvor noch von seinem Ratskollegen Erich Noldus als Bürgermeister-Kandidat vorschlagen lassen – er erhielt allerdings nur vier Stimmen.
Fachausschüsse eingerichtet
Die AfD scheiterte auch noch mit ihren Vorschlägen, einen eigenen Ausschuss für Beschwerden und Petitionen einzurichten (zuständig ist jetzt wie schon bisher der Hauptausschuss) und einen gesonderten Ausschuss für Familienpolitik. Die vierköpfige AfD-Fraktion meldete sich zwar häufiger zu Wort, auf ihre Redebeiträge ging allerdings kein anderes Ratsmitglied ein.
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Und so ging nach den Aufregungen der ersten beiden Stunden die Kommunalpolitik ihren Gang – das Arbeitsfundament für den Rat wurde gelegt: Wie zwischen den anderen Fraktionen und Gruppen abgesprochen, wurden zwölf Fachausschüsse mit ihren Vorsitzenden und Mitgliedern gewählt, die Sachkostenpauschale für die Fraktions- und Gruppenarbeit leicht erhöht und die Aufsichtsratsmitglieder für die Stadttöchter bestimmt.
Hauptausschuss übernimmt in Pandemie-Zeiten
Mehr als zwei Drittel des Rates stimmten am Ende der ersten Ratssitzung kurz vor 20 Uhr dafür, in Pandemie-Zeiten erst einmal nicht mehr als Ganzes zusammenzukommen – und dem kleineren Hauptausschuss die üblichen Ratsentscheidungen zu übergeben, um die Ansteckungsgefahren untereinander zu minimieren. Dies lehnte nur die AfD strikt ab – als nicht gerechtfertigte zu starke Einschränkung der Demokratie.