Oberhausen. Wer so pflegebedürftig ist, dass er in einem Altenheim versorgt werden muss, der verliert sein lebenslang Ersparte relativ schnell.
Beifall für die systemrelevanten Berufe, Prämien für Pflegekräfte – und ein mittlerweile breiter Konsens in der Gesellschaft, dass Pflegekräfte zu recht besser bezahlt werden müssen: Das sind die Nachwirkungen der ersten Corona-Phase in Deutschland. Und tatsächlich erhalten die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes von Bund und Kommunen nach der kürzlichen Tarifeinigung bis zu 4,5 Prozent mehr Lohn. Pflegekräfte dürfen sogar mit bis zu 8,7 Prozent mehr Lohn rechnen. Doch bisher wurde kaum darüber diskutiert, wer die höheren Lohnkosten für Pflegekräfte am Ende eigentlich zahlt.
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Denn die Preise für die Unterbringung von Angehörigen in Pflegeheimen sind in den vergangenen Jahren so stark angestiegen, dass in Oberhausen mittlerweile über 45 Prozent der Heimbewohner auf Sozialhilfe aus der Stadtkasse angewiesen sind. Das geht aus einer neuen AOK-Analyse fürs Rheinland hervor.
Finanzreform der Pflegeversicherung gefordert
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz hat davor gewarnt, immer mehr Menschen am Lebensende in die Armutsfalle zu schicken, wenn diese pflegebedürftig werden. Die Eigenanteile in den Heimen stiegen rasant und unaufhörlich, während die Leistungen aus der Pflegeversicherung seit Jahren konstant blieben, kritisiert Vorstand Eugen Brysch. Immer mehr Menschen würden nach einem langen Arbeitsleben abhängig von Sozialhilfe. Zuletzt zogen die Sozialhilfeausgaben für Pflegebedürftige nach Angaben des Statistischen Bundesamtes mit 8,8 Prozent so stark an wie seit 25 Jahren nicht mehr.
Der Verband hält eine grundlegende Finanzreform für notwendig. Die Pflegeversicherung müsse künftig die gesamten Pflegekosten übernehmen. „Der Pflegebedürftige selbst wird in den letzten Jahren seines Lebens geschröpft, bis er seine Rechnungen nicht mehr bezahlen kann“, meint Brysch.
Die anderen Heimbewohner setzen ihre Rente und ihr Sparvermögen ein, um die hohen Eigenanteile für die monatliche Pflegeheimbetreuung tragen zu können. Die Heimpreise liegen in Oberhausen nach einer Auflistung der Stadt zwischen 3000 und 5000 Euro.
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Nur ein Teil davon trägt die Krankenkasse über die Pflegeversicherung: Je nach Altenheim im Stadtgebiet müssen 1900 bis 3000 Euro aus privater Tasche aufgebracht werden. Ursache für die hohen Heimaufwendungen sind zu 80 Prozent die Kosten fürs Personal. Jeder Lohnzuschlag führt zu steigenden Preisen, die entweder von den Kassen der Städte oder aus den Taschen der Betroffenen bezahlt werden müssen.
Hoher Eigenanteil für Pflegeheim erschreckt Angehörige
Stefan Welbers, Leiter des Sterkrader Seniorenzentrums „Gute Hoffnung“ und Sprecher der über 20 Oberhausener Altenheime, kennt aus seiner Praxis, wie sehr ältere Menschen von dem hohen Eigenanteil aufgeschreckt sind. „So mancher will von uns Tipps haben, wie man sein Erspartes noch schützen kann. Sie sagen, wir haben uns ein Leben lang wenig gegönnt, um fürs Alter vorzusorgen, und plötzlich wird alles aufgezehrt. Das empfinden viele als ungerecht.“ Doch bis auf ein kleines Schonvermögen müssen Betroffene ihr Erspartes für die gute Pflege aufbringen – eine Schenkung, etwa an die Kinder, muss zehn Jahre zuvor erfolgt sein, sonst wird dieses Geld auch herangezogen.
Welbers hält es für einen Geburtsfehler der Pflegeversicherung, dass diese nur eine Teilkasko- und keine Vollkasko-Versicherung ist. „Die Pflegeversicherung sollte zu einer Vollversicherung ausgebaut werden – wie die Krankenversicherung. Da zahlen Krankenhaus-Patienten ja auch keinen hohen Zuschuss zu den Kosten.“
Nach seinen Angaben verdienen Pflegekräfte im Schnitt 3000 Euro brutto, Fachkräfte bis zu 3600 brutto im Monat. Einen Aufschlag von 1000 Euro im Monat sei auf dem engen Fachkräftemarkt eigentlich notwendig – um auf das Niveau von Bankkaufleuten zu kommen. Wenn diese Kosten durch den Ausbau der Pflegeversicherung aufgefangen würden, müssten allerdings die Pflegebeiträge von Arbeitgebern und Beschäftigten deutlich steigen.
Pflegebedürftigkeit so lange hinausschieben wie es geht
Zugleich hält der Seniorenheimleiter es aber dringend für erforderlich, die Pflegebedürftigkeit in stationären Häusern hinauszuschieben so lange wie es geht – durch gute Beratung und aktive geistige wie körperliche Förderung im Alter, um Schwerstpflegebedürftigkeit, so weit es geht, zu vermeiden.
Jochen Kamps, langjähriger Leiter der Arbeiterwohlfahrt (Awo) sieht das ähnlich – und fordert eine Neubesinnung der Pflegepolitik in Deutschland. „Es geht nicht nur ums Geld, dauerhaft geht es nicht so weiter, immer mehr teure stationäre Pflegeheime zu bauen.“ Die Gesellschaft müsse auf allen Ebenen dafür sorgen, dass Menschen später pflegebedürftig werden und länger besser zu Hause leben können.
„Wir benötigen barrierefreie Wohnungen, Pflegeerleichterungen durch technische Assistenz, den Ausbau von ambulanten Diensten, mehr Hilfen für Alltagsnotwendigkeiten wie Einkauf oder Reinigung der Wohnung.“ Hier seien auch die Kommunen gefragt. „Wenn man so viel Geld aufbringen muss, um Pflegebedürftige in Heimen zu versorgen, dann kann man auch das Geld nehmen und dafür sorgen, dass Wohnungen umgebaut, Beratungen und Hilfen im Quartier verbessert werden“, meint der Sozialfachmann. „Es gibt kein Feld, in dem man so viel Gutes tun kann, das auch wirtschaftlich vernünftig ist.“