An Rhein und Ruhr. Bislang haben Wohlfahrtsverbände Flüchtlinge beraten und das Land hat gezahlt,. Jetzt will NRW die Jobs ausschreiben - für deutlich weniger Geld.

Die Wohlfahrtsverbände in Nordrhein-Westfalen fürchten eine deutliche Verschlechterung bei der Beratung von Geflüchteten im Land. Hintergrund sind neue Kriterien für die Finanzierung der Stellen. Die Verbände rechnen damit, künftig rund 15.000 Euro je Stelle zuschießen zu müssen. Das ist für viele Verbände nicht leistbar. Die Diakonie Paderborn-Höxter hat ihren Ausstieg aus der Asylverfahrens- sowie Psychosozialen Erstberatung und den Beschwerdestellen bereits beschlossen.

„Mit der Neuausrichtung der Förderrichtlinie wird die bisherige unabhängige und qualitativ hochwertige Soziale Beratungsarbeit für Geflüchtete nun in neoliberaler Manier kaputtgespart“, kritisiert Berivan Aymaz, die flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen im NRW-Landtag, das Konzept des Ministeriums für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration. Dort, im Hause von FDP-Minister Joachim Stamp versteht man die ganze Aufregung nicht: Es werden doch sogar fünf Millionen Euro mehr für dann 458 Stellen ausgegeben - und die lange geforderte psychosoziale Erstberatung bekommt auch 26 Stellen mehr.

Allein die Caritas im Bistum Essen rechnet mit 165.000 Euro Mehrkosten

Dara Franjic, Leiterin des  Referats Migration & Flüchtlinge bei der Caritas im Bistum Essen rechnet mit Mehrkosten von 165.000 Euro allein in ihrem Bistum.
Dara Franjic, Leiterin des Referats Migration & Flüchtlinge bei der Caritas im Bistum Essen rechnet mit Mehrkosten von 165.000 Euro allein in ihrem Bistum. © Caritas im Bistum Essen | Foto

„Wir haben diese psychosoziale Beratung lange gefordert - aber nicht zu Lasten der bisherigen Beratung in sozialen und rechtlichen Fragen“, so Dana Franjic vom Caritas-Verband für das Bistum Essen. Sie erklärt das Problem so: Die elf Beraterinnen und Berater der Caritas im Bistum Essen machen ihre Arbeit oft seit fünf Jahren, viele sind auch schon mehr als ein Jahrzehnt dabei. In dieser Zeit haben sie sich in die kniffligen Materie des Flüchtlingsrechts eingearbeitet, Kontakte zu anderen Hilfsangeboten aufgebaut, können bei Familienzusammenführung helfen. „Oft sind das hochkomplexe Vorgänge, die sehr schwer zu bearbeiten sind“, erklärt Franjic.

Die Fachkräfte sind mit den Jahren in den Tarifverträgen in den Lohngruppen nach oben gewandert - so lange das Land, wie bislang, 99% der Kosten übernahm, kein Problem - bei im Schnitt rund 68.000 Euro pro Vollzeitstelle. Jetzt aber gibt es vom Land lediglich Festzuschüsse: 53.100 Euro für eine volle Stelle. Das reicht maximal für das Anfängergehalt eines Beraters, der gerade von der Uni kommt - und sich erst einmal einarbeiten muss, so die Verbände.

Hinzu kommt: Die Träger der freien Wohlfahrtspflege, die bislang die Stellen im Land unter sich aufgeteilt haben, müssen sich künftig per Ausschreibung bewerben - um ihre bisherigen Mitarbeiter an der gleichen Stelle weiterbeschäftigten zu können - und dazu dann noch im Schnitt 15.000 Euro aus Eigenmitteln mitbringen. Für die Caritas im Bistum Essen macht das jährlich eine Mehrbelastung von rund 165.000 Euro.

„Direktive Umsetzung“ statt Zusammenarbeit auf Augenhöhe

„Damit wird das gute Zusammenwirken der Wohlfahrtsverbände, Kirchen und Flüchtlingsinitiativenmit dem Ministerium ernsthaft gefährdet“, sagt der Vorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrtspflege, Frank Johannes Hensel. Die AWo NRW kritisiert: „Damit vollzieht das Ministerium einen Paradigmenwechsel weg von einer Zusammenarbeit auf Augenhöhe hin zu einem direktiven Umsetzungsverständnis.“ Damit sei die – bislang insbesondere von Minister Stamp wiederholt unterstrichene – Unabhängigkeit der Beratung nachhaltig gefährdet.“

Denn pro Stelle rund 15.000 Euro zuschießen zu müssen wird manchen Träger der Freien Wohlfahrtspflege ins Nachdenken bringen - oder zum Rückzug, wie im Fall der Diakonie in Paderborn-Höxter. Stattdessen dürften - zudem mit der Pflicht, sich alljährlich neu im Ausschreibungsverfahren bewähren zu müssen - wenig qualifizierte Billigkräfte an den Start gehen.

Das Ministerium begründet die Neuausrichtung damit, dass „aus haushalts- und förderrechtlicher Sicht ein offenes, transparentes Verfahren geboten“ sei - deswegen habe man eine offene Ausschreibung vorgenommen. Für Berivan Aymaz ist das „ein Kaputtsparen eines erfolgreichen und qualifizierten Systems in neoliberaler Manier.“ Damit drohe das Stamp-Ministerium das langjährige Vertrauen zu zerstören.“ Daher habe sie den Vorgang auf die Tagesordnung des Integrationsausschusses gesetzt. Mit der Hoffnung, die bereits öffentlich erfolgte Ausschreibung noch kassieren zu können.