Oberhausen. Die Blind-Date-Lesungen zum Deutschen Buchpreis setzten auf das Überraschungsmoment. In Oberhausen begegneten die Zuhörer der Autorin Anne Weber.

Ob die Oberhausener das polnische Sprichwort „Neugier ist die erste Stufe zur Hölle“ kennen, wissen wir nicht. Jedenfalls ließen sie sich für die von der Schmachtendorfer Buchhandlung „Zweitbuch“ organisierte „Blind-Date-Lesung zum Deutschen Buchpreis 2020“ klar nicht gemäß Rudi Carrells „Lass Dich überraschen“ zu einem Abend im Zentrum Altenberg bewegen. Dabei war dieses Ereignis ziemlich exklusiv, darf doch jeder der sechs Anwärter für den renommierten Preis genau einmal vor der Verkündigung des Gewinners sein Buch irgendwo in der Republik vorstellen. Übrigens per Losentscheid, was das Blind Date erklärt.

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Deshalb standen die Chancen nicht schlecht, in Oberhausen den favorisierten Thomas Hettche mit seinem „Herzfaden“ erleben zu können. Interessierte aber so gut wie niemanden, weshalb statt des großen Eisenlagers die kleine Schmiede zum Tatort wurde. Dass sich dort gerade mal genügend Menschen für eine Fußballmannschaft einfanden, nannte Zweitbuch-Chef Lars Baumann zurecht „sehr enttäuschend“.

Aus spannendem Lebenslauf einen Roman gemacht

Die bekamen von ihm nach ungebührlich, ja ärgerlich langer Wartezeit mit Anna Weber eine Autorin präsentiert, die seit 1983 in Paris lebt und gleichermaßen in französischer wie deutscher Sprache publiziert. Auf das Thema ihres jüngsten Romans „Annette, ein Heldinnenepos“ (Matthes Seitz Berlin, 22 Euro) sei sie zufällig gestoßen, als ihr in Südfrankreich die da schon weit über 90-jährige Anne Beaumanoir begegnete. Eine hochvitale Persönlichkeit mit einem spannenden Lebenslauf, von dem sie gegenüber Anne Weber freimütig berichtete.

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Was die 56-jährige zum Anlass nahm, daraus ein veritables „Heldinnenepos“ zu formen. In beachtlicher, mit vielen französischen Wendungen durchsetzter Prosa, die gleichwohl auf den Buchseiten in epischer Versform aufscheint. Nur eine typographische Rechtfertigung des Romantitels, denn von Reimen oder poetischer Rhythmik ist hier trotz ausufernder Sätze keine Rede.

Glückliche Kindheit in der Bretagne

Was in dieser erzählerischen Biographie plastisch aufscheint, ist eine ungewöhnliche Vita – mit glücklicher Kindheit in der Bretagne, Aktivitäten in der Résistance, wo sie in Paris zwei jüdische Kinder rettet, und schließlich ab 1955 als Unterstützerin für die algerische Nationale Befreiungsfront FLN mit heftigen Folgen für ihr weiteres Leben.

Sechs Autorinnen und Autoren auf der Shortlist

Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels vergibt alljährlich den renommierten Deutschen Buchpreis, der den Ausgezeichneten noch einmal eine ganz andere Prominenz und Breitenwirkung ihrer Literatur beschert. In diesem Jahr findet die Preisverleihung am 12. Oktober statt, erst dann wird der Preisträger oder die Preisträgerin öffentlich bekannt gegeben.

Auf der Shortlist der Nominierten stehen neben Anne Weber, die jetzt in Oberhausen ihren Roman vorstellte, die Autoren Bov Bjerg („Serpentinen“), Thomas Hettche („Herzfaden“), Deniz Ohde („Streulicht“), Dorothee Elmiger, („Aus der Zuckerfabrik“) oder Christine Wunnicke („Die Dame mit der bemalten Hand“).

Dass eine Dame im Publikum davon nichts hören wollte, sorgte für einen kleinen Missklang in dieser fast mehr historisch als literarisch interessanten Lesung. Dabei spielte die FLN auch in Deutschland (Stichwort Kofferträger) eine gewichtige Rolle, wie sich leicht nachlesen lässt. Ebenso, dass Anne Beaumanoir später eine angesehene Professorin für Neurologie war, was man lieber von der Romanautorin erfahren hätte.

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So bleiben gemischten Gefühle: Man war bewegt von „Annette“ und beschämt ob des Desinteresses an diesem attraktiven Blind Date, für das man Zweitbuch wirklich dankbar sein muss.

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