Oberhausen. Ludwiggalerie, Theater, Musikschule, VHS und Bibliothek sowie die Kurzfilmtage tischen auf. Das Menü schmeckt 150 Gästen hervorragend.

Kulturanbieter der Stadt öffnen ihre Pforten und laden zu erlesenen Kurzprogrammen ein, die Gäste suchen sich ihre persönlichen Highlights aus und reisen von Veranstaltung zu Veranstaltung. Schlaflos, die beliebte Kulturnacht, hat in Oberhausen Tradition. Ihre 13. Ausgabe fand nun Corona-geschuldet am Samstag im Schloss-Innenhof statt. 150 Zuschauer genossen das abwechslungsreiche und erlesene Programm, das das Kulturbüro mit Unterstützung des Veranstaltungsprofis Uwe Muth von der Agentur Sensitive Colours zusammengestellt hatte.

Beteiligt waren die Ludwiggalerie, Theater, Musikschule, VHS und Bibliothek sowie die Kurzfilmtage. Das Menü der Spitzenköche schmeckte hervorragend, allein es fehlte die Gemütlichkeit. „Der Künstler lebt nicht von der Gage allein, Teil seines Brotes ist Ihr Applaus“, begrüßte Kulturdezernent Apostolos Tsalastras die Zuschauer, die schon ein bisschen von den angenehmen jazzigen Klängen der Musikschul-Lehrerband auf den Abend eingestimmt worden waren.

Multitalent Nito Torres moderierte

Nito Torres blühte bei der Moderation von „Schlaflos in Oberhausen“ sichtlich auf. Alle Künstler freuten sich, endlich wieder vor Publikum auftreten zu können.
Nito Torres blühte bei der Moderation von „Schlaflos in Oberhausen“ sichtlich auf. Alle Künstler freuten sich, endlich wieder vor Publikum auftreten zu können. © FUNKE FotoServices | Kerstin Bögeholz

Auf Stühlen, in Paaren mit großen Abständen im Schlosshof platziert, genossen sie den zunächst noch herrlich warmen Spätsommerabend. Auf jeden der Sitzplätze hatten die Veranstalter ein Fläschchen Wasser gestellt, was als nette Geste empfunden wurde. Es sollte jedoch die einzige kulinarische Zutat bleiben, die der zweieinhalb Stunden lange Kulturreigen zu bieten hatte. Er spielte sich ohne Pausen zwischen den einzelnen Darbietungen auf der Bühne vor dem Kleinen Schloss ab, jeweils kurz anmoderiert von Multitalent Nito Torres.

Der zelebrierte seinen ersten öffentlichen Auftritt seit dem 15. März und teilte seine Freude darüber mit den Gästen: „Ist es nicht geil, wieder einmal im Publikum sitzen zu dürfen?“ Ja, fanden die Zuschauer da auch noch, sie wussten ja noch nicht, dass es beim Sitzen bleiben bleiben würde. Und schon öffnete sich das Turmfenster des Kleinen Schlosses und heraus schaute der Schauspieler Peter Waros, passend zur Ausstellung „Otfried Preußler“ in der Ludwiggalerie als Räuber Hotzenplotz. Wie er es schaffte, 150 Erwachsene mit einer Kurz-Lesung aus dem Kinderbuch des berühmten Autors zu fesseln, ist schon fantastisch.

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Der im Grunde liebenswert tollpatschige Ganove mit den sieben Messern im Gürtel, die ängstliche Großmutter mit ihrer Kaffeemaschine und Seppel als Kasperle getarnt mit dessen Zipfelmütze erwachten zum Leben. Was Waros beherrscht - neun Jahre lang spielte er an der Oberhausener Theaterbühne - ist Vorlesekunst vom Feinsten.

Längst einen Weltruf als Filmfest erworben

Peter Waros verzauberte das Publikum mit seiner Lesung aus dem Räuber Hotzenplotz.
Peter Waros verzauberte das Publikum mit seiner Lesung aus dem Räuber Hotzenplotz. © FUNKE FotoServices | Kerstin Bögeholz

Es folgte der Beitrag der Kurzfilmtage, vorgetragen von deren Chef persönlich im Dialog mit der Schauspielerin Anna Polke. Von der lebendigen Illustration der Preußlerschen Kindergeschichte reiste das Publikum in die Zeit, als die ehemalige DDR noch als SBZ, sowjetisch besetzte Zone, bezeichnet wurde und die Angst vor „den Russen“ noch sehr ausgeprägt war, auch wegen der Einstellungen hoher politischer Vertreter der damals noch jungen Bundesrepublik.

Lars Henrik Gass und Anna Polke stellten Briefwechsel zwischen Luise Albertz (SPD) und Hermann Höcherl (CSU), dem damaligen Bundesinnenminister vor. Sie entführten die Zuhörer ins Jahr 1963, als Luise Albertz erstmalig einen Zuschuss für das Festival erbat, das sich, 1954 gegründet, bereits einen Weltruf als Filmfest erworben hatte, auch weil man dort Filme aus dem Ostblock sehen konnte. Und genau das war der Stein des Anstoßes und der wahre Grund für die Verweigerung der Förderung.

Das vielleicht schönste Abendlied aller Zeiten

Zurück ins Hier und Jetzt ging’s mit dem Auftritt von Ronja Oppelt, die in Begleitung von Martin Engelbach, dem musikalischen Leiter des Theaters und Soundkünstler Yotam Schletzinger speziell zu Schlaflos passende Chansons präsentierte. Sie lud die Zuschauer ein zu einer Reise durch die Nacht. Auch sie ging auf die der Pandemie geschuldeten Situation ein: „Ihr seid so weit weg, aber schön dass ihr da seid!“ Während kreiselnde Lichtpunkte auf der Schlossfassade optische Akzente setzten, sang sie von Mond und Sternen, Sehnsucht, Liebe und Hoffnung und beendete ihren sehr beeindruckenden Beitrag mit dem vielleicht schönsten Abendlied aller Zeiten von Hans Dieter Hüsch: „Schmetterling, komm nach Haus, Känguru, komm nach Haus, kleiner Bär, komm nach Haus, die Lampen leuchten – der Tag ist aus“.

Das Stück „Herkunft“ eröffnet die neue Spielzeit

Die Ausstellung „Räuber Hotzenplotz, Krabat und die Kleine Hexe. Otfried Preußler, Figurenschöpfer und Geschichtenerzähler“ ist bis zum 10. Januar 2021 in der Ludwiggalerie, Konrad-Adenauer-Allee 46, zu sehen. Geöffnet ist sie dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr. Öffentliche Führungen gibt’s an Sonn- und Feiertagen um 11.30 Uhr. Sie sind in Verbindung mit dem Museumseintritt kostenlos.

Die Premiere des Theaterstücks „Herkunft“ findet als Eröffnung der neuen Spielzeit im Theater Oberhausen im Großen Haus am Freitag, 9. Oktober, um 19.30 Uhr statt. Karten sollten wegen der Corona bedingten Einschränkungen des Spielbetriebs möglichst frühzeitig vorbestellt werden. Weitere Termine: am 18., 28. und 30. Oktober.

Zuschauer vermisst hatte auch Dagmar Schönleber, preisgekrönte Kabarettistin, Liedermacherin und Autorin, die auf Einladung von VHS und Bibliothek Auszüge aus ihrem neuen Bühnenprogramm „Respekt“ servierte: „Sie sind jetzt schon mein Lieblingspublikum, einfach, weil Sie da sind.“ Von ihr gab’s ein Rezept gegen Hasser und Hetzer im Netz: „Ich ballere sie zu mit Kitschigkeit.“ Sie animierte dazu, sich ihr anzuschließen und ununterbrochen „alberne Poesie“ unter Ekel erregende Kommentare zu setzen als große Armee der Liebe: „Willst du glücklich sein im Leben…“

Zuschauer flüchten vor der Kälte

Fesselnd und sehr beeindruckend wird ganz sicher die Uraufführung von „Herkunft“, einer Adaption des preisgekrönten Romans von Saša Stanišić für die Theaterbühne, für die der Beitrag von Alexander Xell Dafov eine hervorragende Werbung war. Viele Zuschauer haben den aber nicht mehr erlebt, denn weil es immer kälter wurde und die Stühle immer unbequemer erschienen, verließen nach und nach Schlaflose den Schlosshof, so dass am Ende der Veranstaltung nicht mehr viele übrig blieben.

Wohl dem, der sich zwischendurch abgesetzt hatte, um sich die wunderschöne Ausstellung im Schloss anzusehen, die Kindheitserinnerungen wach werden und über Illustrationskunst staunen lässt.