Oberhausen. 150 Kinder zusätzlich könnten jährlich in Pflegefamilien untergebracht werden. Doch die Anzahl der Familien, die dazu bereit sind, sinkt stetig.
Immer weniger Familien in Oberhausen sind bereit, Pflegekinder bei sich aufzunehmen. Zeitgleich steigt die Zahl der Anfragen durch das Jugendamt beim Pflegekinderdienst stetig an. Was aber bedeutet es überhaupt, Kindern ein Zuhause auf Zeit zu geben? Zwei Oberhausener Familien berichten.
Lena (8) fliegt wie ein Flummi in die Höhe. Sie liebt das Trampolin. Celine (7) macht einen Handstand, schlägt gleich darauf ein Rad. Ihre Beine sausen nur so durch die Luft. Sie hat richtig Talent. Im Hintergrund bellen die drei Hunde, maunzt eine Katze. Der Garten ist ein Kinderparadies – und das Freiluft-Wohnzimmer der Großfamilie Pasternok. Matthias und Sonja Pasternok leben hier im Oberhausener Norden mit zurzeit noch sechs Kindern. Drei davon kamen als Pflegekinder zu der Familie.
Ihre Mutter starb, als sie 13 Jahre alt war
Sonja Pasternoks Augen leuchten. Sie sagt: „Ich bin ein reicher Mensch.“ Dabei hätte sich die 43-Jährige vor 17 Jahren niemals vorstellen können, sich eines Tages sogar um acht Kinder zu kümmern. „Meine älteste Pflegetochter und mein ältester Sohn sind vor kurzem ausgezogen.“ Aber die Oberhausenerin wollte einfach etwas zurückgeben. „Meine Mutter starb, als ich 13 Jahre alt war.“ Ihre Eltern lebten damals getrennt. Kontakt zum Vater hatten sie und ihre 15-jährige Schwester kaum. „Wir kannten ihn so gut wie gar nicht.“ Dennoch entschloss sich der Vater, seine Kinder zu sich zu holen. „Das war unser großes Glück, wir sind ihm sehr dankbar dafür.“ Viele Kinder aber hätten eben dieses Glück nicht.
Ihr Pflegesohn Lukas ist 14 Jahre alt. Er hat fünf Geschwister. Es habe keine Pflegefamilie gegeben, die alle hätte aufnehmen können. „Wir entschlossen uns, zumindest auch seine Schwester Lena zu uns zu nehmen.“ Die anderen Kinder leben heute verteilt in Deutschland. Dabei gebe es doch eine viel bessere Lösung: „Es müssten sich nur mehr Familien in Oberhausen bereit erklären, Pflegekinder aufzunehmen“, sagt Sonja Pasternok.
Dann, so ist sich auch Matthias Pasternok sicher, könnte vielen Geschwistern geholfen werden. „Sie würden vielleicht nicht in der gleichen Familie aufwachsen, aber sie könnten sich besuchen, ihre Geburtstage zusammen feiern, etwas miteinander unternehmen“, meint der 42-Jährige. Für Lukas, der an der Entwicklungsstörung Autismus erkrankt ist, sei dieser Kontakt besonders wichtig.
Die Kinder unterstützen sich gegenseitig
Die Pflegekinder seien in ihrer neuen Familie richtig aufgeblüht. „Lukas wird von unserem Sohn Jenke angespornt, selbstständiger zu werden“, erzählt Sonja Pasternok schmunzelnd. Als Lukas sich vor kurzem nicht getraut habe, ins Restaurant zu gehen, um das Essen für seine Familie abzuholen, habe der Siebenjährige ihn an die Hand genommen und sei mitgelaufen. „Wir waren auf beide sehr stolz!“
Doch nicht nur die Pflegekinder profitieren. „Bei uns ist immer etwas los, gerade in Corona-Zeiten waren und sind wir nie einsam“, erzählt Sonjas Tochter Waris. Die 17-Jährige meint: „Wer mit so vielen Kindern aufwächst, entwickelt viel mehr Mitgefühl und Teamgeist, das ist doch auch später für den Job wichtig.“ Klar, gingen ihr die vielen Kinder auch schon mal auf die Nerven. „Aber wenn ich dann mal eine Woche weg bin, vermisse ich alle ganz doll.“
Die Anfragen durch das Jugendamt in Oberhausen steigen stetig an
Aktuell leben in Oberhausen 312 Kinder und Jugendliche in 234 Pflegefamilien. 2018 waren es noch 284 Familien mit 331 Kindern. Ein herber Rückgang. Denn zeitgleich stiegen die Anfragen durch die Jugendämter deutlich an. Für den Pflegekinderdienst der Caritas Oberhausen ist das ein Dilemma. „Wir würden uns über mehr Bewerber sehr freuen“, betont denn auch Dienststellen-Leiter Jonathan Will. Das können Familien sein, Alleinlebende, gleichgeschlechtliche Paare.
So wie Katharina (39) und Nicole (40) Stolte. Sie hatten sich eigentlich nur als Kurzzeit-Pflegefamilie gemeldet, wollten für einen befristeten Zeitraum (bis zu sechs Monate) helfen, wenn es in einer Familie brennt. Doch dann kam Benjamin. Innerhalb von neun Tagen verwandelte das Paar eines der Zimmer in ihrer Wohnung in ein Kinderzimmer, besorgte Baby-Kleidung, ein Bett. Sechs Wochen alt war der Junge damals. Katharina war sofort „hin und weg“.
Gleichgeschlechtliche Paare herzlich willkommen
Nicole zögerte, hielt Abstand. Doch Benjamin schrie sich in ihr Herz. „Er hatte eine echte Attacke, wollte sich von Katharina, zu der er sonst einen super Draht hatte, nicht beruhigen lassen.“ Also nahm sie ihn auf den Arm und da blieb er – für die nächsten acht Stunden. „Danach hatte er mich.“
Der Zufall wollte es, dass aus dem Kurzzeitpflegeplatz für Benjamin ein Dauerpflegeplatz wurde. „Inzwischen läuft das Adoptionsverfahren.“ Stoltes sind überzeugte Eltern geworden, sie wollen weitere Dauerpflegekinder zu sich nehmen.
Auch, wenn ihnen klar ist: „Als gleichgeschlechtliches Paar werden wir immer wieder mit Vorurteilen kämpfen müssen.“ Sie gehen offen damit um und freuen sich schon jetzt auf die Kita-Zeit ihres Kleinen. „Wir wünschen uns für den Jungen, dass wir dort als Familie akzeptiert werden.“
Nein, rosarot ist der Alltag einer Pflegefamilie sicher nicht. Aber die Familien wissen: „Wenn wir Hilfe brauchen, bekommen wir sie bei unserer Caritas-Fachberaterin.“ Sonja Pasternok erzählt: „Wir haben seit 17 Jahren die gleiche Fachkraft an unserer Seite und sie hat uns immer geholfen, auch, wenn es mal Konflikte mit den leiblichen Eltern gab.“