Oberhausen. Eine anstrengende Ausbildung beginnen und zu Hause zwei kleine Kinder versorgen? Genau das soll durch eine Teilzeitausbildung gelingen.
Für ihre Tochter hat nach den Ferien gerade erst die aufregende Schulzeit begonnen. Der Sohn geht noch in den Kindergarten. Für Vanessa Dzakmic bedeutet das: Die Kinder müssen pünktlich gebracht und abgeholt werden, sie müssen versorgt werden, bald müssen sie und ihr Mann auch die Hausaufgaben im Blick haben und Zeit zum Zuhören muss auch noch bleiben. Jetzt noch eine Ausbildung beginnen? Daran hat Vanessa Dzakmic lange nicht denken können. Doch sie hat eine Möglichkeit gefunden: Seit wenigen Monaten macht sie eine Ausbildung zur Krankenpflegerin – in Teilzeit.
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Die Ausbildungszeit dauert vier statt drei Jahre. Dafür hat sie bei einer 30-Stunden-Woche mehr Zeit für ihre Familie. Ihre Mutter hilft dem Ehepaar zusätzlich, holt etwa die Kinder aus der Kita ab und kümmert sich um das Mittagessen. „Klar ist es trotz Teilzeit anstrengend“, sagt Vanessa Dzakmic. Sie ist dennoch glücklich über die Chance. „Was bin ich denn für ein Vorbild für meine Kinder, wenn ich ihnen vorlebe, dass man den ganzen Tag zu Hause ist und dafür auch noch Geld vom Staat bekommt?“
Nach dem Abschluss keine Lust mehr auf Schule
Die heute 28-Jährige ist in Oberhausen aufgewachsen und hat ihre Kindheit hier verbracht. Nach dem Hauptschulabschluss hatte sie keine Lust mehr auf Lernen, war froh, die Schule hinter sich lassen zu können. Für eine Ausbildung noch einmal die Schulbank drücken? Dafür fehlte der Jugendlichen von damals die Motivation.
Sie ging nach Bosnien, in die Heimat ihrer Eltern. Dort lernte sie ihren späteren Mann kennen, heiratete und bekam zwei Kinder. Seit 2018 ist sie wieder in Oberhausen. Der Mann besucht eine Sprachschule, um beruflich Fuß zu fassen, sie selbst wechselt seit Mai zwischen Diensten im Evangelischen Krankenhaus und dem Unterricht in der Krankenpfleger-Schule. „Es war eine große Umstellung“, sagt die Oberhausenerin. „Nach so einer langen Zeit musste ich das Lernen erst wieder lernen.“
Fachkräftemangel in der Pflege
Doch schon jetzt, rund dreieinhalb Monate nach Ausbildungsbeginn „kann ich ohne Krankenhaus nicht sein“, meint Vanessa Dzakmic. Durch ihren Cousin sei sie auf die Idee gekommen, Krankenpflegerin zu werden. Der junge Mann studiert Medizin, „ich wollte auch etwas tun, um für andere Menschen da zu sein.“
Durch ihren Berufswunsch sei die 28-Jährige ein positives Beispiel in zweierlei Hinsicht, sagt Marion Steinhoff, Beauftragte für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt bei der Oberhausener Arbeitsagentur. Dzakmic erlerne einen Beruf, um später für ihren Lebensunterhalt selbst aufkommen zu können, um finanziell unabhängig zu sein und sich persönliche Perspektiven zu schaffen. Auf der anderen Seite wirke sie gegen den Fachkräftemangel, der gerade in Pflegeberufen enorm sei.
EKO stockt Zahl der Auszubildenden auf
Die Teilzeitausbildung sei eine große Chance, um Unternehmen fähige Nachwuchs-Fachkräfte zu vermitteln, sagt Steinhoff weiter. Das Evangelische Krankenhaus habe dies erkannt. Tatsächlich hat die Klinik an der Virchowstraße die Zahl der Ausbildungsplätze noch einmal aufgestockt. 56 Auszubildende sind es in diesem Jahr, 28 (in Teilzeit) haben am 1. Mai begonnen, weitere 28 (Vollzeit) starten am 1. September. Im Vorjahr waren etwa 40, „und davor hatten wir durchaus auch sehr magere Jahre“, sagt Stefan Glowka, Praxisanleiter für die Auszubildenden am EKO.
Begleitung für ein Jahr
Unterstützung erhalten Auszubildende in Teilzeit von der gemeinnützigen Trivium GmbH, einer Tochter des Oberhausener Zentrums für Ausbildung und Qualifikation (ZAQ). Mit finanzieller Unterstützung des Landes und der EU werden die Teilnehmer ein Jahr lang begleitet und erhalten Unterstützung bei persönlichen und beruflichen Fragen.
Die Teilzeitausbildung eignet sich besonders für Personen, die Kinder oder pflegebedürftige Angehörige betreuen. Da diese Aufgaben immer noch zum Großteil Frauen übernehmen, sind auch die Teilnehmerinnen des Trivium-Angebotes fast ausschließlich Frauen.
Obwohl die Einrichtung nun schon seit elf Jahren Teilzeitauszubildende begleitet, „ist die Möglichkeit bei vielen Arbeitgebern noch immer unbekannt“, sagt Trivium-Projektleiterin Barbara Raasch. NRW-weit werden weniger als ein Prozent aller Ausbildungen in Teilzeit absolviert (nähere Infos: trivium-gmbh.de).
Das Evangelische Krankenhaus sei der einzige Arbeitgeber im Pflegebereich in Oberhausen, der eine Teilzeitausbildung anbietet, erklärt Ingrid Mura, Chancengleichheit-Beauftragte beim Oberhausener Jobcenter. „Wir bohren noch immer dicke Bretter bei den Betrieben, obwohl die Teilzeitausbildung viele Vorteile bringt.“ Die Auszubildenden seien in der Regel älter als Schulabgänger, bringen eine ausgeprägtere soziale Kompetenz und Lebenserfahrung mit. „Auf dem Arbeitsmarkt sind Teilzeitanstellungen Alltag, warum nicht auch in der Ausbildung?
Sowohl das Evangelische Krankenhaus Oberhausen als auch die Schwestereinrichtung, das Evangelische Krankenhaus in Mülheim, suchen noch Auszubildende. Nähere Infos: eko.de/ausbildung