Oberhausen. Die Stadt Oberhausen will einen Teil des Stahlwerksgeländes zum neuen Wohnquartier ummodeln. Doch Anwohner befürchten noch mehr Autoverkehr.
17 Uhr. Feierabend. Über die Osterfelder Straße ergießt sich ein Strom von Autos. Alle Welt will nach Hause. Kurz hinter der Ampel haben die Linken Stellung bezogen.
Nur ganz wenige Menschen wollen jedoch offenbar mit den Lokalpolitikern über die Wohnungsbau-Pläne der Stadt fürs Stahlwerksgelände sprechen. Genauer gesagt: Gekommen ist nur ein Bürger, der gleich um die Ecke in der Wittekindstraße wohnt. Seine Verärgerung über die Blechlawine an seiner Ecke ist groß.
Macht sich die Stadt keine Gedanken über den Verkehr?
„Ich habe nichts dagegen, dass in der Neuen Mitte gebaut wird – aber was das für die Anwohner für Verkehr bedeutet, darüber macht sich die Stadt keine Gedanken“, vermutet Stefan Serifi. Bereits seit den 1990er Jahren wohnt der 76-Jährige in der Wittekindstraße quer zum Stauknäuel nahe der Autobahn A42.
Dass auf der anderen Seite von Emscher und Kanal 1600 Wohnungen für bis zu 3500 Menschen gebaut werden sollen, findet Stefan Serifi sogar gut. Neue Bürger sind für leere Stadtkassen schließlich wie Ambrosia für griechische Götter.
Die Züge des Rangierbahnhofs, die vor seiner Haustür vorbeirauschen, hört Stefan Serifi allerdings jeden Tag. Sein Haus würde er lieber heute als morgen verkaufen – doch bei dem Lärm und der Lage hätte er davon nichts, sagt er. 16 Monate habe es gedauert, bis er endlich einen Mieter für den oberen Stock gefunden habe.
Feierabendverkehr rollt unvermindert
Während Serifi klagt, rollt der Feierabendverkehr unvermindert. Dies sei aber noch gar nichts, scherzt er. „Wenn die Köpi-Arena voll ist, kommt man hier weder vor noch zurück.“ Trotzdem hat der Rat der Stadt Ende Juni die rechtliche Seite für ein neues Wohnquartier geebnet: Mit großer Mehrheit beschlossen die Ratspolitiker, einen neuen Bebauungsplan aufzustellen; rund 10.000 Quadratmeter ist allein die Fläche an der Osterfelder Straße und Brammenring, die bebaut werden soll.
Der Eigentümer „Euro Auctions Immobilien“ und die Stadt wollen die Industriebrache zum Vorzeigeviertel umbauen. Nachhaltig, urban, durchmischt soll es werden. „Ein Quartier fürs Wohnen im 21. Jahrhundert.“ Doch 3500 neue Nachbarn bedeuten auch: Noch mehr Verkehr, noch mehr Lärm, noch mehr Staus und Abgase: Für Heike Hansen ist das Maß bereits jetzt voll.
Die Ratskandidatin der Linken wohnt in der benachbarten Siedlung Riwetho am Gehölzgarten Ripshorst und erklärt in der Industriebrache beim Einrichtungsdiscounter „Poco“, wieso das aktuelle Konzept fatal falsch liege. „Die zusätzliche Bebauung verschlimmert die Situation“ – und erst hinter dem Möbelhaus versteht man sie akustisch richtig.
Neuer Versuch bei der Straßenbahn 105 und S-Bahnhof?
Die Stadt Oberhausen überlegt, wie sie die umstrittene Verlängerung der Straßenbahnlinie 105 von Essen-Frintrop zum Centro in den Verkehrsplan einbeziehen kann. Sie wird im bisherigen Plan vorgehalten, die Struktur weist einen Ast durchs Grün in Richtung des möglichen Halts aus.
Auch Alternativen sind nach Angaben der Stadt denkbar: Zum Beispiel ist ein zusätzlicher S-Bahnhof kurz vorm Hauptbahnhof möglich. Man wolle sich zunächst aber keine Denkverbote auferlegen. Man wisse um die „belastete Situation an der Osterfelder Straße“ sowie die Ansprüche einer neuen Wohnsiedlung, heißt es. Klären soll diese Punkte das weitere Verfahren.
Was der Besucher auf dem Brachbereich des Stahlwerksgeländes dann hört, ist erstaunlich: Die Vögel zwitschern, die Grillen zirpen. Wer hier ein paar Minuten pro Tag verbringt, ob auf dem Fahrrad oder zu Fuß, mit und ohne Hund, der merkt, wie die Natur sich keine 500 Meter vom Centro ein Stück Land zurückholt.
Weil sie den grünen Kern der Stadt schützen wolle, richtete Heike Hansen Anfang Juli zusammen mit einem Netzwerk aus Nachbarn und engagierten Bürgern einen offenen Brief an Oberbürgermeister Daniel Schranz. Darin fordern die Unterzeichner unter anderem mehr Car-Sharing und Service-Angebote und ein Gesamtkonzept, in dem andere Projekte wie der Fitnesstempel „The Mirai“ an der Essener Straße oder eine Decathlon-Ansiedlung berücksichtigt werden.
Offener Brief an den Oberbürgermeister
Die neue Aufteilung solle alle Fortbewegungsmittel zu gleichen Teilen umfassen: Fahrrad, Auto, Bus und Fußgänger. Zurzeit allerdings fahren Busse der Stoag sogar andere Routen, um die Staus herum und würden damit Haltestellen meiden. „Zu Stoßzeiten in der Vorweihnachtszeit bedienen sie den Aquapark zum Beispiel nicht auf den Linien 957 und 961. Wofür soll ich mir ein Ticket kaufen, wenn ich am Ende die halbe Strecke zu Fuß nach Hause gehen muss?“, fragt Heike Hansen.
*Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Version wurde die Fläche von 10.000 Quadratmetern als zwölf Mal so groß wie das Kanzleramt beschrieben. Dies ist nicht korrekt, wir haben die Passage dementsprechend geändert.