Oberhausen. Wenn etwas in der Natur gut organisiert ist, dann ist es das Bienenvolk. Ein Oberhausener Imker verschaffte am Tag der Imkerei einen Einblick.
Sein Garten inmitten von Ein- und Mehrfamilienhäusern an der Baumstraße in Osterfeld-Rothebusch ist noch ein richtiger Nutzgarten. Kartoffeln wachsen hier ebenso wie Kohlrabi und Rhabarber. Und im Herbst werden auch Birnen geerntet. Zwischen Gewächshaus und Rasenfläche hat Reinhard Möhle fünf grüne Styroporkisten platziert. Es sind seine Bienenvölker. Am Tag der deutschen Imkerei hat er es für den Bienenzucht-Verein Oberhausen übernommen, Interessierte über sein Hobby zu informieren. Denn der reguläre Informationstag am Haus Ripshorst war wegen Corona abgesagt.
Gäste kommen und gehen bis zum Nachmittag. Gerade ist Möhle mit zwei Frauen im Gespräch, die sehr spezielle Fragen haben. Er geht mit ihnen hinüber zum Nachbargrundstück, zu seinem fünften Bienenstock. Der hat nach der Art eines Schaukastens eine durchsichtige Seitenwand, wenn eine Klappe geöffnet wird. Die Besucherinnen erblicken dahinter ein Gewusel von Hunderten von Bienen bei der Arbeit. Mittendrin, mit einem blauen Plättchen markiert, krabbelt das Oberhaupt ihres Staates, die Bienenkönigin.
Die Laufbahn der Arbeitsbiene
„Wenn die Arbeitsbiene aus der Larve geschlüpft ist, schlägt sie eine regelrechte Laufbahn ein: erst Stockputzen, dann Ammendienst, schließlich Honig eintragen, sodann Wächterin vor dem Flugloch und am Ende das Ausfliegen als Sammelbiene“, wird er später erklären. Vier bis sechs Wochen dauere so ein Bienen-Leben im Sommerhalbjahr. Im Winter, wenn die Insekten sich komplett in ihren Bienenstock zurückgezogen haben, könnten es auch sechs Monate werden.
Zurück in seinem Garten, sprechen die Frauen den Imker auf verschiedene Honigarten an. In nächster Nähe seines Gartens steht eine mächtige Linde. Es ist unter anderem Lindenhonig, der in seinen Stöcken entsteht. „Bienen machen es sich einfach, sie nutzen die nächste Nahrungsquelle. Und sie bleiben dieser Trachtpflanze treu“, sagt Reinhard Möhle und diskutiert mit den Frauen über die Temperatur, bis zu der der Honig höchstens erhitzt werden darf, um abgefüllt zu werden, damit Mineralstoffe, Eiweiße, Enzyme und Vitamine darin nicht abgetötet werden: 42 Grad.
Eine Probe mit dem Grashalm
Jetzt geht es zu den vier anderen Stöcken. Möhle klappt einen von ihnen von oben auf und zieht einen Holzrahmen mit dem Wabenmuster vorsichtig nach oben. Hunderte von sechseckigen Wabenzellen aus Bienenwachs werden sichtbar. Darin lagern jene Bienen, die „Innendienst“ haben, den Honig ab. Die Frauen dürfen mit einem Grashalm daraus eine Probe nehmen. Dutzende Bienen krabbeln darum herum, lassen sich bei ihrer Arbeit scheinbar nicht stören.
„40.000 bis 50.000 Bienen hat so ein Volk“, beantwortet Möhle eine weitere ihrer Fragen. Ihn selbst fasziniert der geordnete An- und Abflug. Knapp die Hälfte eines Volkes rücke zum Nektarsammeln aus, berichtet er nachher. „Solange Sie sich nicht vor ihr Flugloch stellen, stechen sie nicht“, erklärt der Imker den Frauen. Den Gästen ist das trotzdem nicht ganz geheuer. Tatsächlich wimmelt es an einer Stelle des Bienenstocks nur so, einer Spalte, die von allen angeflogen wird. Die Sammelbienen übergeben ihre Beute an den Innendienst. Eine der Frauen beklagt sich über ihren Mann. „Der schlägt immer gleich um sich, wenn er eine Biene sieht“, seufzt sie.
Patin eines Bienenstocks
Zurück an Möhles Gartenhäuschen, legt der Gastgeber einer der beiden Frauen ein kleines Stück Harz in die Hand. Sie kommen auf Gelée Royale und Propolis zu sprechen. Ersteres ist eine nährstoffreiche Hinterlassenschaft in denjenigen Wabenzellen, in denen die Larven wachsen, aus denen später die Königin schlüpfen wird. Sie werden damit von den Arbeitsbienen aufgepäppelt. Propolis ist eine harzartige Masse, die die Bienen selbst herstellen. Mit ihr dichten sie kleine Ritzen und töten nebenbei damit Bakterien und Pilze ab.
Die erste Frau verabschiedet sich schließlich. Auch die zweite geht, nachdem sie bei Reinhard Möhle ein Glas Honig für fünf Euro erworben hat. Denn schon stehen die nächsten Besucher bei ihm, Mutter und Tochter. Die Tochter darf einem von Möhles Bienenstöcken als Patin einen Namen verleihen, schreibt ihn mit Filzstift auf eine Baumscheibe. Die Scheibe wird später daran befestigt. Auch Kinder an das Faszinosum eines Bienenvolkes heranzuführen, ist schließlich eines der Ziele des Imkertags.
Die Biene als Teil des Ökosystems
„Honig lässt sich importieren, Bestäubungsleistung nicht“, heißt es auf einem Transparent im Garten von Imker Reinhard Möhle. Am Imkertag will er auf die Bedeutung der Honigbiene und ihrer wilden Artgenossen für den Fortbestand unserer Tier- und Pflanzenwelt hinweisen. Immer größer werdende, mit riesigen Landmaschinen bearbeitete Felder, denen es zunehmend an wildgewachsenen Grüninseln fehlt, und geschotterte Außenanlagen in den Städten engen deren Lebensraum ein.
Mit dem Nahrungsvorrat geht vor allem die Anzahl der Wildbienen zurück. Zu ihnen gehören Hummeln und Wespen. Sie wiederum bilden die Nahrungsgrundlage für viele Vögel.
Außerdem werden 80 Prozent der einheimischen Wild- und Nutzpflanzen von Bienen bestäubt. Um in den Blüten Nektar für 500 Gramm Honig einzusammeln, müsste eine einzelne Biene rund 40.000 Flüge unternehmen. Tatsächlich fliegt eine Biene bei ihrem Ausflug nach Angaben von Reinhard Möhle 50 bis 60 verschiedene Pflanzen an. Die Pollen, die dabei an ihr kleben bleiben, streift sie in der nächsten Blüte ab und befruchtet sie damit. Mit dem Wachs, den sie ausschwitzt, bauen ihre Schwestern den Bienenstock auf.