Oberhausen. Ist der Schulbesuch von Kindern eines Spitzenpolitikers reine Privatsache oder darf man dies zum Thema im Wahlkampf machen? Eine Betrachtung.
Das Privatleben von Politikern war in der Bonner Republik weitgehend tabu: Korrespondenten in der früheren Hauptstadt von Westdeutschland wussten so einiges über Liebesaffären, uneheliche Kinder, Homosexualität oder plötzliche Erkrankungen von Spitzenpolitikern. Geschrieben wurde darüber in der Regel nichts – denn in der Politik sind Inhalte wichtig und nicht das Privatleben, oder?
Allerdings waren schon die Alt-68er überzeugt: „Das Private ist politisch“. Mit der Boulevardisierung von Politik seit den 1990er Jahren, bei der zunehmend der Politiker als Mensch und nicht die knochentrockene Sachfrage in den Vordergrund rückte, spielt das Privatleben von Politikern eine immer wichtigere Rolle. Das hat auch einen tieferen Grund: Die Sachfragen in der modernen Gesellschaft werden immer komplizierter, da kommt es entscheidend darauf an, welchen Personen Wählern Vertrauen entgegenbringen, das Richtige zu tun.
Wenn man – wie US-Präsidentschaftskandidaten schon seit Jahrzehnten – mit der eigenen Familie in den Wahlkampf zieht, dann menschelt es natürlich am besten: Man will zeigen, dass man im Leben angekommen ist, solide lebt, die Alltagsprobleme der meisten Bürger kennt und vertrauenswürdig ist.
Wer Privates ausplaudert, macht damit auch Politik
Wer als Politiker von seinem Privatleben erzählt, gibt nicht nur etwas von seinem Seelenleben preis, sondern macht damit automatisch Politik: Von Mehrfach-Ministerin Ursula von der Leyen weiß jeder, dass sie Mutter von sieben Kindern ist – mit ihren Geschichten demonstrierte sie auch, dass ihr Betreuungsprobleme von berufstätigen Eltern nicht fremd sind. Über die Demenz ihres Vaters berichtete sie offen und wies so auf ein Tabu hin.
Mit dem einfachen Satz „Ich bin schwul – und das ist auch gut so“ outete sich Klaus Wowereit als erster Spitzenpolitiker bei seiner Berliner Bürgermeister-Kandidatur und nahm Gegnern den Wind aus den Segeln. Und wenn Gesamtschulbefürworter unter den Politikern, wie etwa der frühere NRW-Ministerpräsident Johannes Rau (SPD), ihre eigenen Kinder zu Gymnasien schickten, dann war das für politische Kontrahenten keine Privatsache, sondern gefundenes Fressen für politische Attacken.
Kann man als Politiker also Privates aus Wahlkämpfen heraushalten? Heutzutage ist das schwieriger denn je, wenn sich Politiker auf allen möglichen sozialen Kanälen mit Fotos und Erlebnissen präsentieren, um bei der jungen Generation Gehör zu finden. Aseptische Fotos oder Anekdoten ohne Freunde und Familie wirken nicht gerade lebensnah.
Kandidatur mit seiner Familie präsentiert
Zur Vorstellung seiner Kandidatur als Oberbürgermeister 2015 hat sich Daniel Schranz (CDU) selbst mit Ehefrau und Kindern vor Anhängern und Medien in seinem Wohn-Stadtbezirk Osterfeld präsentiert. Aber ist es deshalb erlaubt, private Entscheidungen der Familie Schranz auf die politische Bühne zu heben?
Thorsten Berg jedenfalls, OB-Kandidat der SPD, hat in seiner Bewerber-Rede auf dem SPD-Parteitag nicht darauf verzichtet. Dort beklagte er zunächst, dass die Toiletten in Oberhausener Schulen immer noch zu dreckig seien – trotz täglich zweimaliger Reinigung. „Die Reinigung der Sanitärbereiche muss endlich in ausreichendem Maße erfolgen – und zwar nicht nur in Corona-Zeiten“, verlangt Berg. „Wir werden das ändern!“ Und geht dann in einem Nebensatz Schranz persönlich an. „Aber vielleicht ist das ja in Bottrop bereits besser gelöst. Dorthin schickt nämlich der CDU-Oberbürgermeister seine Kinder zur Schule!“
Ganz im Sinne der Alt-68er scheint also Berg, geboren 1969, davon überzeugt zu sein: „Das Private ist politisch.“
Berg empört die CDU-Politiker
Intern reagierten die Christdemokraten, in den letzten Wahlkämpfen auch nicht gerade mit Samthandschuhen wedelnd, auf die spitze Bemerkung von Berg irritiert – und nach einiger Denkpause ziemlich empört: Hier habe die SPD jeglichen Anstand missen lassen, sind viele überzeugt.
Sie werten die Nebensätze des SPD-Kandidaten nicht als rhetorisches Stilmittel, um eine Prise Humor in einer emotionalen Bewerberrede eines politischen Seiteneinsteigers unterzubringen, sondern als wohlkalkulierten Stoß mitten ins Herzensthema der Christdemokratie, der Liebe zur Heimat. Denn aus dem Berg-Satz kann man auch die Vorwürfe herauslesen: Begeistert sich der amtierende Oberbürgermeister nicht mit ganzem Herzen für Oberhausen, weil er seine Kinder außerhalb der Stadtgrenzen lernen lässt? Sind die Oberhausener Schulen für seine Kinder nicht gut genug?
Schranz reagiert auf Provokation der SPD
Daniel Schranz sah sich jedenfalls gezwungen, in seiner Kandidatenrede auf dem Sondertreffen der CDU-Delegierten darauf zu reagieren. Ohne den Namen Berg nur einmal zu erwähnen, sagte er: „Ich wäre nun wirklich nicht auf die Idee gekommen, die Kinder oder andere Familienangehörige von Mitbewerberinnen und Mitbewerbern in den Blick zu nehmen. Auf dieses Niveau werde ich mich auch ganz sicher nicht hinabbewegen. Lassen Sie uns die Grenzen des Anstands auch in Wahlkampfzeiten respektieren!“
Oberbürgermeister-Wahl am 13. September 2020
Im Feld der Oberhausener Oberbürgermeister-Kandidaten werden derzeit Daniel Schranz (CDU), seit 2015 amtierender Oberbürgermeister von Oberhausen, und dem SPD-Politiker Thorsten Berg die größten Chancen eingeräumt, die meisten Stimmen der Wähler am 13. September 2020 auf sich zu vereinen.
Daniel Schranz (45) hatte 2015 mit seiner zweiten OB-Kandidatur nach 2004 gegen SPD-Bewerber Apostolos Tsalastras im ersten Wahlgang 52,5 Prozent der Stimmen erzielt. Er war zuvor seit 2001 CDU-Oppositionsführer im Stadtrat.
Thorsten Berg (51) ist zwar lange Sozialdemokrat, aber hatte bisher noch kein politisches Mandat. Der politische Seiteneinsteiger ist seit vielen Jahren Leiter der Sterkrader Stadtsparkassen-Filiale – die SPD will mit seiner Wirtschaftserfahrung und seinem frischen Zugang zur Politik im Wahlkampf punkten.
Inhaltlich äußerte er sich naturgemäß nicht. Zu hören ist allerdings, dass seine Kinder nur deshalb auf ein Bottroper Gymnasium gehen, weil er am Stadtrand von Osterfeld wohnt – und das Gymnasium in Bottrop das nächst gelegene ist.
Dass seine Kinder nicht die große Gesamtschule Osterfeld mit Abitur-Chance besuchen, können politische Konkurrenten wohl kaum ausschlachten: Christdemokraten waren bisher nicht dafür bekannt, sich für Gesamtschulen einzusetzen – im Gegenteil: Sie forderten jahrzehntelang den Erhalt des dreigliedrigen Schulsystems mit Gymnasien an der Spitze.