Oberhausen. Auf Instagram erzeugt Ahmad Chinnawi mit seinen Videos Illusionen, um eine andere zu nehmen: Dass gehörlose Menschen weniger schaffen können.
Das Video ist keine drei Sekunden alt, da schrumpft sich Ahmad Chinnawi plötzlich auf den Gehweg. Die Oberhausener Version der Comicfigur Ant-Man ist geboren. Es folgen Gesten. In Gebärdensprache sagt Chinnawi: „Wir Gehörlosen können alles“ – bevor ihm die Superkräfte versagen und ihn eine lebensgroße Version seiner selbst mit dem Schuh plättet.
Andere zum Lachen bringen, auch mal augenzwinkernd auf die eigene Rolle schauen und für Akzeptanz werben: Diese drei Zutaten machen den Clip mit fast 4500 Aufrufen zu seinem beliebtesten Werk auf der Social Media-Plattform Instagram und Ahmad Chinnawi zum wohl bekanntesten tauben Zauberer der Stadt.
Ahmad Chinnawi dreht am Gasometer und am Eiffelturm
Wobei sich der 29-Jährige oft auch als „creator“ bezeichnet – meist mit dem Zusatz „deaf“ für „taub“. Seine Leidenschaft sieht so aus: Ausgerüstet mit dem Handy und dem Kopf voller Ideen zieht Ahmad Chinnawi los und filmt sich, etwa vor dem Gasometer, dem Eiffelturm oder dem eigenen Küchenschrank. Dann verändert er seine Größe, vermehrt 50-Euro-Scheine oder lässt seine Verlobte Carina Tenhaken einfach verschwinden. Wie, dass verrät der Oberhausener natürlich nicht – schließlich gibt ein Magier seine Tricks nicht preis. Nur so viel: Der Laptop macht Überstunden.
Rückblick. Eine schwere Krankheit sorgt bereits in Chinnawis erstem Lebensjahr dafür, dass er nicht hören kann und nie wird laut sprechen können. Gehör verschafft sich der Taube danach trotzdem. Seine Lippen arbeiten, seine Hände wirbeln und der Knopf am Ohr erzeugt Geräusche. So ausgestattet absolviert er die Gehörlosenschule in Essen, schnürt bei Adler Osterfeld II und RW Essen III in der Kreisliga die Fußballschuhe und arbeitet inzwischen für den Kreis Borken als Vermessungstechniker. Kurzum: Ein ganz normales Leben.
Chinnawi: „Ich brauche kein Mitleid“
Und doch stößt Ahmad Chinnawi immer wieder auf Verunsicherung, auf Vorurteile, auf gut gemeinte Anteilnahme. „Dabei brauche ich kein Mitleid, ich kann mich verständigen. Ich möchte hörenden Menschen zeigen, dass wir Gehörlosen alles können“, erläutert der Mann mit Bart und Brille.
Kein Magier ohne ein gutes Team
Kein Magier ohne ein gutes Team: Privates Glück hat Ahmad Chinnawi mit seiner Verlobten Carina Tenhaken gefunden, die ihn nach Kräften unterstützt. „Ich kann mich nur ganz stolz bei ihr bedanken, ohne sie wäre es echt schwierig“, sagt der 29-Jährige.
Immer wieder als Schauspieler in den Videos zu sehen ist zudem David Marschner, der außerdem die Untertitel synchronisiert. Auch im Gespräch mit Ahmad Chinnawi ist sein bester Freund dabei und übersetzt die Gebärdensprache.
Um eben solche gedanklichen Schranken hochzuklappen, fängt Ahmad Chinnawi 2019 mit dem Filmen an. Zwei Youtube-Videos über Gebärdensprache stoßen auf wenig Resonanz, dazu geht sein Handy in die Brüche. Ein neuer Ansatz muss her, den ihm der US-Amerikaner Zachary King liefert. Unter dem Künstlernamen „zachking“ ist der bei Instagram mit seinen 23,3 Millionen Abonnenten so etwas wie der Ober-Creator.
Tausende Zuschauer bei Instagram
Ende Mai 2019 lädt Ahmad Chinnawi also seine erste eigene Illusion auf der Plattform hoch, um anderen ihre Illusion vom hilfsbedürftigen Gehörlosen zu nehmen. Seine Botschaft kommt an, seine Videos schauen regelmäßig mehrere Tausend Menschen und kommentieren kräftig. Vor allem Bestätigung. Und immer wieder die Frage: „Wie machst du das?“
Selbst Instagram habe sich schon per Textnachricht bei ihm gemeldet und ihn ermutigt, seine Arbeit fortzusetzen, erzählt Ahmad Chinnawi. „Das hat mich riesig gefreut und ist ein Antrieb für mich, weiterzumachen.“ Weiterzumachen, bis auch der Letzte die Botschaft des tauben Zauberers vernommen hat.