Oberhausen. Elfriede Jelineks „Prinzessinnendramen“ inszeniert Paulina Neukampf für das Theater Oberhausen als abgründig schwarzhumorigen Hörspaziergang.
Für Österreich hatte Elfriede Jelinek, die in ihrem Heimatland Vielgeschmähte, gleich zweimal Aufführungsverbote ihrer Dramen erlassen. Und wer das kurze Geleit zu „Schneewittchen“, der ersten ihrer fünf „Prinzessinnendramen“ liest, mag weiteren Theaterdonner erwarten: „Der Text ist nicht für eine Bühnenaufführung vorgesehen!“ Stattdessen wünschte sich die Nobelpreisträgerin „zwei riesige, popanzartige Figuren“ zu leicht verzerrten Stimmen aus dem Off.
Nun, beim ersten Hörspaziergang des Theaters Oberhausen kommen die Stimmen ausgesprochen klar aus den Ohrsteckern des Smartphones. Und wer die Schauspieler, die „garantiert kontaktfrei“ dieses Hörspiel begleiten, einen „Popanz“ schimpfen wollte – den dürfte nicht einmal der Verweis auf die bekannt giftige Wiener Schmäh entschuldigen. Vielmehr ist’s ein starkes Zeichen für die Passion, mit der dieser Beruf gelebt wird, wie Regisseurin Paulina Neukampf und ihr Team selbst unter den unmöglichen Umständen des Seuchenschutzes ambitioniertes „Schauspiel“ möglich machen.
Produktive Reibung zwischen Spiel und Sound
Und dieses fast Unmögliche gelingt in packender Qualität. Der von Lise Wolle und Daniel Rothaug eingesprochene Text ist äußerst zielsicher um genau jene allzu selbstverliebten Jelinek’schen Sottisen gekürzt, die dem Verständnis dieser radikal feministischen Märchen-Deutung im Wege stünden. Und die verbotene „Bühnenaufführung“ wird zu viel mehr als einem bebilderten „Hörspiel“.
Dafür bürgt nicht nur die enorm produktive „Reibung“ zwischen per Kopfhörer Gehörtem und stummem Spiel – sondern ebenso sehr die Reibung zwischen Ton-Kulissen wie Vogelgezwitscher und knirschendem Schnee inmitten des vorsommerlichen Alt-Oberhausen. So begegnet der Hörflaneur dem Jäger (Daniel Rothaug), bei Jelinek die zynische Inkarnation des Todes, als Passant in der Europapassage mit ihren schönen bis schaurigen Vitrinen. Man muss schon gut hinhören, damit im sanften, fast zu schönen Ton des Sprechers nicht die blanke Drohung verklingt: „Ich bin der Tod und aus. Der Tod als die ultimative Wahrheit.“
Schmerzhaft püppchenhaft im Schaufenster
Der anderen Todesgestalt aus „Schneewittchen“, der Königin und Stiefmutter, begegnen die Hörspaziergänger im lauschigen Hof des Gdanska-Theaters: Zu Agnes Lampkins grandios dosiertem Mienenspiel, während sie quasi in Zeitlupe eine Apfelschälmaschine rotieren lässt, hört man das sonst so prinzessinnenhafte Schneewittchen schneidend giften: „Da kommt doch tatsächlich eine Tussi daher, nicht annähernd so fesch wie ich, um einiges älter, was sie gewiss bis in die Träume hinein wurmt, und will mich allen Ernstes meines Wesens berauben.“ Ein Jelinek-Satz wie gemeißelt.
Apropos „Tussi“: Geradezu schmerzhaft püppchenhaft in Glitzerrock und aufgerüschter Bluse drapiert sich Lise Wolle ins Schaufenster des Perückenstudios: „Wenn man schön ist, kann man sich in Bescheidenheit kleiden“ – dieser famose Satz fehlte leider in der Hördatei. Aber man darf aus nächster Nähe bewundern, wie dieser müde Vamp einen schlichten Perückenwechsel mit dieser messerscharfen Märchen-Deutung synchronisiert.
„Alles gut?“ fragt ein besorgter Trinker
Da ist allein das letzte Bild womöglich überdeutlich – doch am Altmarkt-Pavillon, eingerichtet als kleinbürgerliches Wohnzimmer, sorgen die lautstarken Trinker vor den Stufen von Herz Jesu ungeahnt kreativ für Reibung: „Alles gut?“ fragt einer besorgt, als Susanne Burkhard sich aufs Bügelbrett fallen lässt. Es ist die Mordszene – und Daniel Rothaug spricht zur schönen Leiche mit höhnischen Schönklang: „Waren Sie auch eine von diesen Frauen, die nur Kinogestalten in die Welt setzen?“
Dieses erste der drei „Prinzessinnendramen“ ist schon mal großes Kino im Kleinformat.