Oberhausen. Clemens Heinrichs, Leiter von Gedenkhalle und Bunkermuseum, erinnert an die Befreiung am 11. April 1945 – und warnt vor „alten und neuen Nazis“.
Verdrehte Bahngleise, zerstörte Güterwaggons, Bombenkrater – so sah Oberhausen am Ende des Zweiten Weltkriegs an vielen Stellen aus. Von fast 18.000 Wohnungen waren etwa 10.000 zerstört oder beschädigt.
Die Spannung in der Stadt war in der unmittelbaren Umbruchphase groß. Eine Augenzeugin berichtete: „Die Nazi-Nachbarn flohen nach Osten vor lauter Angst. Wir trauten uns aus dem Erdbunker nicht raus. Ein Nachbar war von der Westfront geflüchtet und übernahm das Kommando. Nach Tagen lugten wir durch ein Loch nach draußen. Ich sah in weiter Entfernung einen schwarzen Soldaten. Sie müssen hier sein. Wir trauten uns nicht, die weiße Fahne an einem Stock aus dem Bunker zu halten. Was tun, wenn die Nazis wiederkommen?“
Bis Ende März 1945 waren Sterkrade und Osterfeld von den Alliierten besetzt worden, danach folgte ein Dauerbeschuss von Alt-Oberhausen durch die Artillerie. Umgekehrt feuerten auch die Deutschen in die bereits befreiten nördlichen Stadtgebiete. Bei diesen zehn Tage anhaltenden Gefechten kamen beiderseits des Kanals noch viele Menschen ums Leben. Dann aber nahmen die Amerikaner am 11. April Alt-Oberhausen kampflos ein. „Und dann kam mein Vater nach Hause und hat gesagt, die Panzer sind reingefahren, die haben keinem Menschen was getan“, erinnert sich eine Oberhausenerin. An diesem Tag endete der Krieg in Oberhausen.
Angriffe kosteten 1700 Oberhausenern das Leben
Ein jüdischer Oberhausener, der als britischer Soldat im Herbst 1945 zurück in seine Heimatstadt kam, steuerte in einem Brief an seine Familie in Palästina den folgenden Eindruck bei: „Das Ruhrgebiet besteht nicht mehr.“ Für viele kam das Kriegsende allerdings zu spät. Von den Oberhausener Juden lebten vielleicht noch 30 in der Stadt. Von den Tausenden Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen in der Stadt waren über 1200 ums Leben gekommen, über 500 von ihnen durch Luftangriffe. Bombenangriffe und Artilleriefeuer kosteten etwa 1700 Oberhausenern das Leben. Über 5700 Oberhausener starben als Soldaten der Wehrmacht, in Polizei-Bataillonen, als SSler oder Waffen-SS im Krieg.
Entsprechend der Einstellung jedes Menschen war die Reaktion auf die neue Situation in der Stadt eine geteilte. Eine Oberhausenerin berichtete später über eine neue, ungefährliche Normalität: „Ich habe empfunden, dass Ruhe war, dass es keinen Alarm mehr gab, kein Heulen der Flugzeuge, kein Krepieren und Detonieren der Bomben.“ Nazis und Profiteure sahen die Besetzung und Kapitulation als Niederlage.
Eine „Stunde Null“ hat es nie gegeben
Andere aber sahen ganz klar: „Wir waren befreit. Für manche Nazis war es eine Niederlage, aber für mich persönlich war es eine Befreiung.“ Und ein damals Jugendlicher äußerte: „Für mich waren in diesem Moment die amerikanischen Jungs auf den Panzern die Garantie dafür, dass wir nicht mehr in den Krieg mussten. Der befreite Teil von Deutschland war befreit von mörderischen Bombenangriffen, befreit von der Nazidiktatur und deren Verfolgungen.“
Die Pandemie als Krise der Demokratie
Wann die Gedenkhalle im Schloss Oberhausen wieder öffnen wird, ist ebenso fraglich, wie bei allen anderen Kultur-Institutionen. Allerdings gibt’s online auf gedenkhalle-oberhausen.de einen eigenen Blick auf die Corona-Krise – nämlich als Krise der Demokratie.
Die Homepage verweist auf Heribert Prantl, den Kolumnisten der Süddeutschen Zeitung: In Zeiten von Corona sei Sichergeglaubtes nicht mehr sicher, und was eigentlich Irrsinn sei, gelte jetzt als geboten. Der Ausnahmezustand sei ausgerufen und die Angst rufe nach Prävention und Repression. Man müsse sich fragen, so Prantl, was dies mit unserer Gesellschaft und der Demokratie mache. Wie leicht lässt sich eine demokratisch verfasste Gesellschaft in eine autokratisch beherrschte Gesellschaft transformieren?
Wie versuchen Rechtspopulisten bis Rechtsextremisten die Situation für sich auszunutzen? Die Gedenkhalle zitiert einen Beitrag des Soziologen Matthias Quent für die „Zeit“: Niemand dürfe darauf hoffen, so Quent, „dass Rechtsradikale verantwortlich mit dieser Ausnahmesituation umgehen.“ Nicht nur das Gesundheitssystem und die Wirtschaft, sondern auch die Demokratie braucht einen Rettungsschirm.
Eine „Stunde Null“ hat es auch in Oberhausen nie gegeben. Dafür gab es nach 1945 noch viel zu viele Verflechtungen mit dem NS-Regime, das durch die alliierten Armeen beendet worden war – nicht durch die Deutschen selber. Nazi aber wollte nach dem Krieg zumindest offiziell fast niemand mehr sein. Von den Oberhausenern, die am 12. März 1933 bei der Kommunalwahl der NSDAP mit etwas mehr als 37 Prozent die meisten Stimmen gegeben hatten, dürften im Durchschnitt entsprechend viele überlebt haben. Viele von ihnen dürften nach 1945 nicht einfach nur das Hemd gewechselt haben, sondern weiter der NS-Ideologie angehangen haben.
75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs und des Menschheitsverbrechens Völkermord sollte man sich klar machen, dass die Deutschen schon 1933 wissen konnten, auf wen sie sich mit Hitler und der NSDAP einließen, und dass dies Diktatur, Krieg und Vernichtung der Juden bedeutete. Dass noch in den 1950er Jahren Ehemalige der Waffen-SS, die sich nie von rechtsextremistischer Ideologie lossagten, ungestört in aller Öffentlichkeit an Gedenkfeiern teilnahmen, belegt eine politische Indifferenz nicht nur in Oberhausen – allen neu eingeübten demokratischen Errungenschaften zum Trotz.
Guter Grund, heute noch wachsam zu sein
Die nationalsozialistische Ideologie endete nicht mit dem 11. April oder 8. Mai 1945, sondern wird bis heute von alten und neuen Nazis, welcher Spielart auch immer, weiter betrieben – ein guter Grund dafür, auch heute noch wachsam zu sein, um nicht wieder Menschen zu Opfern werden zu lassen, unabhängig davon, ob sie Juden, Flüchtlinge, Homosexuelle oder einfach nur Demokraten sind.
Der Autor Clemens Heinrichs ist Leiter der Gedenkhalle im Schloss Oberhausen und des Bunkermuseums im Knappenviertel.