Oberhausen. Kenah Cusanit las im Literaturhaus aus ihrem Debüt: „Babel“ handelt vom deutschen Archäologen Koldewey und entstaubt mit Humor antike Artefakte.

Robert Koldeweys Reise über den Orient nach Hamburg bis in die Heimat Berlin wird bei ihrem Besuch in Oberhausen jäh durch eine Kehrmaschine unterbrochen. Sie sei gewarnt worden, sagt die 40-jährige Schriftstellerin Kenah Cusanit. Wenn die Reinigung beginne, müsse sie womöglich innehalten. Der Lärm, er stört bei einer Lesung nun mal. Die hochgelobte Autorin unterbricht aber nur kurz den Weg ihres Romanprotagonisten Robert Koldewey nach Hause. „Ich bin schon fast fixiert auf die Maschine“, stellt sie lachend fest. Dann führt sie die Gedanken des Archäologen Koldeweys zu Ende – naja, zumindest einen Teil der Heimreise schaffen die Hörer.

In ihrem Debüt „Babel“ erzählt die studierte Altorientalistin aus einem langen Arbeitstag des intellektuellen Archäologen Robert Koldewey, ein hochgebildeter Entdecker (1855 bis 1925), der Berlins Pergamonmuseum die Schätze Babylons (unter anderem das Ischtar-Tor) bescherte – und dafür jahrelang im heutigen Irak graben ließ. Die Autorin lässt ihren Archäologen sinnieren, während er sich auf seinem Lager vor seinem Blinddarm zu retten sucht. Aber sie lässt ihn sich ebenso streifen durchs Berlin des Jahres 1909 – eine Stadt im Wandel, frisch motorisiert, verkehrstechnisch dagegen wirr.

Der Roman „Babel“ zeigt auch das metropolitane Berlin des 20. Jahrhunderts

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So wird Robert Koldeweys Weg zur heimischen Wohnung in ihrem Roman zu einer Irrfahrt. Doch er kommt an und stolpert bereits an der Eingangstür über Briefe seines Ex-Assistenten Walter Andrae. Absende-Adresse: Bagdad.

In Brief zwei lauern gleich zehn Spezialfragen über Dampfschifffahrt. Dem Archäologen wird übel bei dem Gedanken, dass sich ein „Dilettant“ an seinem Boot zu schaffen macht. Er antwortet detailliert. Trotzdem ist selbst die Anleitung zur richtigen Befeuerung des Dampfkessels, ohne Koks, stattdessen mit Holzkohle lesens- bzw. hörenswert. Das liegt vor allem an der pointierten Sprache der Autorin.

Beschwerliche Ausgrabungen, erzählt mit trockenem Witz

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Kenah Cusanits Roman „Babel“ basiert auf dem später veröffentlichtem regen Briefverkehr Koldeweys, der wie sie selbst, in Blankenburg im Harz geboren wurde – allerdings bis ins Studium hinein kaum eine Rolle in ihrem Leben spielt. Sie gibt dem Forscher eine ungewöhnliche Stimme, und der Leser ahnt an vielen Stellen, wie beschwerlich die Ausgrabungen, das Leben mit dem Mythos „Babylon“ vor der Nase gewesen sein muss. Wie der Sand in den Augen reibt, die Sonne auf der Haut brennt, der Leser spürt es Wort für Wort.

Die Lektüre von Babel wird daher zur Expedition: In jedem Satz gibt es Neues zu entdecken, unerwartet lauert dort oftmals auch trockener Witz. Am Ende steht die Frage: „Wer braucht Theologen, wo es Theodolite (Winkelmessgeräte) gab?“ Die Hörer im Literaturhaus honorieren die Lesung nach knapp einer Stunde mit Applaus.