Oberhausen. Raritäten einer Volldampf-Zukunft waren jetzt beim Flohmarkt im Industriemuseum zu sehen. Denn Steampunk-Fans stehen auf Dampfmaschinen.
Was ist „Steampunk“? Wer am Samstag einen Anhänger in voller Montur am Oberhausener Bahnhof traf, hielt instinktiv nach einer Dampflokomotive Ausschau. Steampunks erfreuen sich an einer Zukunft, die längst vergangen ist. Wo sie auftauchen, avancieren sie mit wallendem Rock oder Anzug samt Taschenuhr gewollt zum Hingucker. Kurzum: Sie leben heute ein wenig die literarischen Träume eines Jules Vernes oder H.G Wells aus. Für die Organisatorin des ersten Steampunk-Flohmarkts in der Zinkfabrik Altenberg, Clara Lina Wirz, passt das nach Oberhausen und zu seiner Industriegeschichte.
Gerade sei etwas weniger los, sagt Clara Lina Wirz und meint damit, die leeren Stände in der Elektrozentrale des LVR-Industriemuseums. Nein, selbst mit dem Lötkolben umgehen könne sie trotz ihrer Vorliebe für Steampunk nicht, gesteht die Flohmarkt-Chefin und lacht. Sie sei gut mit der Nadel, erklärt sie, auch wenn sie die alte blaue Bluse nicht selbst genäht hat. Die Rüschen der Bluse seien typisch für das viktorianische Zeitalter. „Sowas ist beliebt.“Dazu trägt man aber immer noch irgendwo ein futuristisches Element. Ein Herr mit Anzug, Weste und Zylinder macht das vor. „Beim Steampunk geht es ums: ‚Was wäre, wenn…?‘ „Also was wohl wäre, wenn die Welt statt mit Elektrizität vollends mit Dampfkraft funktionieren würde“, erklärt Wirz. Manche Fans stricken ihre Zukunft – andere bohren, hämmern oder schweißen sie. Zeche und Industrie: Steampunks gibt es im Ruhgebiet einige.
Nix Bares für Rares: Antiquitäten zu kleinen Preisen
Obligatorisch für die Zeit schwerer Zahnräder, dampfender Kessel und poliertem Messing ist die Schweißerbrille, die fast jeder Steampunk im Repertoire haben sollte. Die Stände in der Elektrozentrale des Museums halten all das und mehr bereit. Neben ausgefallenen Uniformen und Korsetts lauern alte Koffer, Uhren oder seltsame Militär-Funkgeräte potenzielle Käufer.
Vieles davon ist tatsächlich alt, manches sieht nur so aus. „Hier werden in erster Linie keine Antiquitäten gehandelt“, erklärt Clara Lina Wirz. Die Preise sind daher moderat. Eine Blechdose mit Hustenpastillen von 1930 kostet zwei Euro. Ein Koffer aus den 1950er Jahren 15 Euro. Die Gruselmaske von heute (ja, die Gothic-Szene ist ebenfalls da) nur 25 Euro.
„Als moderner Mensch kann man sich kaum vorstellen, wie es 1880 war, als Frauen nur mit Handschuh, Hut und Schleier die Straße betreten durften“, erinnert Händlerin Saskia Schürmann an die Gepflogenheiten der Frau im Zeitalter der industriellen Revolution. Heute wisse die Kunst- und Englischlehrerin aus Dortmund aus eigener Erfahrung, welche Haltung nötig sei, „um mit einem großen Hut ins Auto zu steigen. Weil ich das selbst schon ein paarmal erleben durfte.“
Konzert im Kulttempel Oberhausen
Steampunk Veranstalter Anachronika besteht zu einer Hälfte aus Clara Lina Wirz – und zur anderen aus Tobias Kurzawa. Letzterer ist neben seiner Tätigkeit als Veranstalter Gründungsmitglied der Steampunk-Band Aeronautica.
Aeronautica spielt am Donnerstag, 16. Januar, als Vorband der Berliner Steampunk-Band Coppelius auf deren „Bühnenabstinenzverweigerungskonzertreise“ im Kulttempel Oberhausen. Tickets sind ab 22,70 Euro derzeit noch erhältlich. Einlass ab 19 Uhr.
Historisch inkorrekt sind ihre Häkelarbeiten dennoch. Denn das sogenannte Upcycling, das Aufbereiten alter Dinge zu neuen Schmuckstücken also, es spielt in der Steampunk-Szene eine wichtigere Rolle als die Detailjagd. Kein Nachahmen, selbst ist der Steampunk. „Gab’s das damals schon? Mir doch egal!“ Dieses Lebensgefühl lockt die meisten zuerst über die Ästhetik der Kleidung. Souvenirs verändern, eine eigene Welt basteln und dabei Hightech-Geräte wie Computer bewusst mit Messing und Holz einbeziehen: das reizt auf Dauer. „Ich habe aber das Gefühl, dass wir Bastler immer weniger werden“, erzählt Saskia Schürmann während Duke Ellington von der alten Schaltwarte der Elektrozentrale zurückhallt.
Rolf Neumann steht in Mantel und Cowboyhut lässig am Eingang zum Flohmarkt. Tochter Fee Schmeiser blättert nebenan im grauen Karo-Tweed-Anzug in edlen Kleidern. „Es gibt ja nicht die eine Steampunk-Zeit, deswegen passen wir hierher“, sagt er. Fee geht’s ähnlich. „Ich habe immer gerne extravagante Kleidung getragen – ich warte also nur, bis die Zwanziger wieder in Mode sind.“ Steampunk-Fans wollen eben keine Dinge, die aussehen, wie sie eigentlich aussehen sollten. Unser Alltag existiert für sie nicht – sie sind Träumer. Und schon für H.G. Wells war klar: Träume sind unsere Zeitmaschinen für die Zukunft.