Oberhausen/Berlin. Der Maler mit Atelier im Kunsthaus Haven ist gefragter Gesprächspartner zur deutschen Identität in einem Deutschland-Porträt der New York Times.
Für die New York Times gelang der Berliner Korrespondentin Katrin Bennhold ein gar nicht so kleines Kunststück: Zum 30. Jahrestag des Mauerfalls porträtiert sie in Amerikas führender Tageszeitung die Befindlichkeit einer Nation, in der sich viele „wie Fremde im eigenen Land fühlen“. Mit Fotos aus dem Kunsthaus Haven stellt sie als einen ihrer Gesprächspartner auch Yury Kharchenko vor, den Maler und Pendler zwischen Oberhausen-Borbeck und Berlin-Charlottenburg.
Der 33-Jährige, als Kind aus jüdischer Familie aufgewachsen in Moskau und im Ruhrgebiet, spiegelt auch in seiner Kunst die komplexe Frage der eigenen – und der deutschen – Identität. „Man fragt sich unweigerlich“, so zitiert ihn die New York Times, „ob es wieder passieren könnte“. Und „es“ meint den Zivilisationsbruch des Holocaust. „Ja, ich sehe eine Verschlimmerung“, bestätigt Yury Kharchenko im Gespräch. Den Antisemitismus habe Deutschland leider nie abschütteln können. „Früher war das weniger offensichtlich.“
Obwohl zumindest der Westen des damals geteilten Deutschland nachdrücklich an einer Gedenkkultur gearbeitet habe, nennt Kharchenko – „nach dem was jetzt in Halle passiert ist“ – Antisemitismus und generell Fremdenfeindlichkeit „ein gesamtdeutsches Phänomen“. Ihm selbst ist es schon in der Kindheit und Jugend begegnet, sowohl in Moskau als auch im Ruhrgebiet: „Auch am Gymnasium gab es indirekte Ausgrenzungen – das trägt zur Selbstfindung bei.“ Selbst dem Kunststudenten an der Akademie in Düsseldorf begegneten die uralten Vorurteile. „Ich habe es unabhängig vom Bildungshintergrund erlebt. Das ist hart“.
Vielfältiges Oeuvre
So war für den gerade 20-jährigen Yury Kharchenko eine Attacke von Neonazis ein Auslöser, überhaupt erst die eigene Identität aus der jüdischen Kultur intensiv zu erforschen. „Ich habe sie erst spät entdeckt.“ Heute sagt er, sei er auch „kritisch gegenüber jenen, die ihre Identität ganz auf das Judentum verengen und andere Möglichkeiten nicht mehr zulassen“. Auch für den kosmopolitischen Künstler, der sein Atelier im Kunsthaus Haven als Rückzugsort schätzt, ist die Frage der Identität – „Wer bin ich? Wie bin ich großgeworden?“ – ein bestimmendes Moment. „Themenkunst“ sei sein vielfältiges Oeuvre damit keineswegs.
Im nicht so fernen Münster zeigt Yury Kharchenko derzeit eine Doppel-Ausstellung, zum einen in der Akademie Franz Hitze Haus, zum anderen in der Kunstkirche St. Joseph. „Existenzielle Malerei“ nennt Kay Heymer, der Leiter der Abteilung Moderne im Museum Kunstpalast, die Werke des 33-Jährigen. In Münster, hat Kharchenko erfahren, berührt vor allem seine Porträtkunst die Besucher. Inzwischen hat der Maler ein kleines Pantheon von William Shakespeare bis zu Amy Winehouse vor teils dramatisch-farbigen Kulissen in Szene gesetzt.
Superhelden sind mehr als banales Entertainment
Seine neuen Gemälde sind ganz anders – und bisher noch nicht ausgestellt. In dieser Serie zeigt er Figuren aus Comic- und Pop-Kultur vor der Silhouette des Grauens: den unverkennbaren Türmen von Auschwitz-Birkenau. „Erklären kann und will ich das jetzt nicht.“ Die Reaktion der ersten Betrachter, auf „zwei Welten, die man nicht verbinden darf“, sei Empörung gewesen, sagt der Maler: „Was soll der Quatsch?“
Zwei Ausstellungen in Münster
„Identitäten“ heißen auch die beiden Ausstellungen mit Werken von Yury Kharchenko in Münster: „Einblicke und Ausblicke“ ist noch bis zum 8. Dezember zu sehen in der Akademie Franz Hitze Haus, Kardinal-von-Galen-Ring 50.
Nur bis zum 24. November bleiben die Porträts „Frauen und Männer“ in St. Joseph, Sankt-Josefs-Kirchplatz 11, in der Münsteraner Kunstkirche ausgestellt.
Sein Forschergeist allerdings hat sich erst einmal verbissen in die lässigen Superhelden, die ebenso wie einst Märchengestalten eben nicht nur für banales Entertainment stehen: „Manche formulieren wichtige Postulate“. Und Yury Kharchenko zitiert aus Game of Thrones: „Vergiss niemals wer Du bist, der Rest der Welt vergisst es auch nicht. Trage dieses Wissen wie eine Rüstung.“ Auch so lässt sich eine deutsche Identitätssuche beantworten.