Oberhausen. Alt-Superintendent Artur Schorzmann kann die Jammerei über den Mitgliederschwund nicht mehr hören – und erläutert, was Kirche bewirken könnte.

„Die Kirche“, sagt Artur Schorzmann, „wird immer mehr eine Kirche der Minderheit sein“. Und genau darin liege ihre große Chance. Worte, die angesichts schwindender Mitgliederzahlen überraschen. Zumal sie aus dem Mund des ehemaligen Superintendenten Oberhausens kommen. Der überzeugte Protestant und Querdenker feiert am 30. Oktober seinen 80. Geburtstag.

Die Mitgliederzahlen der evangelischen Landeskirchen sind 2018 erneut gesunken. Insgesamt gehörten zum Jahresende rund 21 Millionen Menschen der Evangelischen Kirche in Deutschland an. Dies entspricht wie im Jahr zuvor einem Rückgang von 1,8 Prozent.

Schwindende Mitgliederzahlen als natürlicher Prozess

Für Schorzmann „ein natürlicher Prozess“. „Die Kirche war von Anbeginn an in der Minderheit – und diese Position nimmt sie bis heute in den meisten Ländern der Welt ein.“ Schorzmann betont: „Die in Deutschland noch immer vorherrschende Verbindung von Kirche und Staat entspricht ihrem ursprünglichen Wesen nicht.“

Für fatal hält er es, wenn sich die Kirchengemeinden und -institutionen aus Sorge um ihre Mitgliederzahlen „nur noch um sich selber drehen“. Statt dessen sollten verstärkt Aufgaben in den Vordergrund rücken, die die christliche Gemeinschaft stets ausgezeichnet hätten. Dann beinhalte die gegenwärtige Krise die größte Chance: „Jetzt ist es an der Zeit, den Menschen zu zeigen, was unseren Glauben ausmacht.“

Artur Schorzmann vor wenigen Tagen auf der Terrasse seines Ferienhauses in Schweden.
Artur Schorzmann vor wenigen Tagen auf der Terrasse seines Ferienhauses in Schweden. © Schorzmann

Alles nur leere Worte? Wer Schorzmann kennt, wird an dieser Stelle mit dem Kopf schütteln. Denn viele Oberhausener werden noch wissen: Er hat immer gelebt, was er sagt. Geboren in einem kleinen Dorf in der Nähe der russischen Stadt Odessa, hat er die Flucht im Planwagen mit seiner Mutter und drei Geschwistern durchgestanden. Über Stationen in Norddeutschland kam Schorzmann nach Wuppertal. Dort baute er nach seinem Theologie-Studium zunächst eine Ökumenische Werkstatt auf.

Pfarrer wollte er sein. Da er sich damals die Gemeinden noch aussuchen konnte, entschied er sich für Oberhausen. 1976 übernahm er die Lutherkirche – und legte sich samt Gemeinde gleich mit der rheinischen Kirche an. „In den 1960er und 70er Jahren herrschte Aufbruchsstimmung“, erinnert sich Schorzmann lachend. Die Gemeinde wollte raus aus dem kirchlichen Dorf. Raus in die weite Welt. Und so knüpften die Mitglieder und ihr Pfarrer Verbindungen nach Namibia und Südafrika. Entgegen der Weisung der Kirchenoberen unterstützte die Lutherkirche die afrikanischen Befreiungsbewegungen gegen das Apartheidsregime. Obwohl die Gemeinde deshalb schließlich sogar in einem Verfahren vor der Verwaltungskammer verlor, „machten wir einfach weiter“.

Als Schorzmann 1988 Superintendent in Oberhausen wurde, wurde seine Gemeinde schon bald mit den Folgen des Balkankrieges konfrontiert. „Ähnlich wie 2015 kamen viele Kriegsflüchtlinge nach Oberhausen.“ Die Stadt aber sei darauf nicht vorbereitet gewesen. „Sie reagierte hilflos – mit Abschreckung.“ Die Flüchtlingszahlen sollten so schnell wie möglich wieder reduziert werden. „Also erhielten die Flüchtlinge kein Geld, nur Gutscheine und wurden – egal ob Christ oder Muslim – mit deutschem Essen versorgt.“ Seine Gemeinde aber tauschte, trotz aller Anfeindungen, diese Gutscheine schon bald in bare Münze um. Ein Arbeitskreis Asyl wurde gegründet, um den Menschen auch mit Rat und Tat zur Seite stehen zu können. Aus diesem Arbeitskreis entstand bereits nach wenigen Jahren die bis heute tätige Flüchtlingsberatungsstelle des evangelischen Kirchenkreises.

Das Centro blieb für ihn nicht mehr als ein Herzschrittmacher für diese Stadt

Die Neue Mitte Oberhausen

Das 143 Hektar große Industriegelände der Gutehoffnungshütte in Oberhausen, das zuletzt der Thyssen AG gehörte, wurde im Rahmen des Strukturwandels im Ruhrgebiet zur Brachfläche. Die Stadt Oberhausen suchte nach Investoren.

1991 erwarb die englische Investorengruppe Stadium von Edwin D. Healey einen Teil des Geländes, um hier mit dem Centro die Keimzelle für die Neue Mitte Oberhausen zu entwickeln. Davor war ein noch deutlich größer angesetztes Projekt der kanadischen Firma Triple Five im Gespräch, das in der Presse gerne als „Superhausen“ bezeichnet wurde.

Auch als Oberhausen mit dem Centro in den 1990er Jahren eine Neue Mitte finden wollte, stellte sich Schorzmann quer. „Ich war überzeugt, dass das niemals ein neues Herz für die Stadt werden würde, höchstens ein Herzschrittmacher.“ Die Konzentration auf einen reinen Konsumtempel hielt er für falsch: „Es hieß damals immer, das Einkaufszentrum würde tausende Arbeitsplätze nach Oberhausen bringen, in der Arbeitslosenstatistik aber hat sich das nie widergespiegelt.“ Statt dessen seien Kaufkraft und Leben aus der alten Stadtmitte verschwunden. Hier, in der alten Oberhausener Mitte, lebt Schorzmann übrigens bis heute.

Was er sich für die Zukunft seiner Kirche wünscht? „Hinterlassen wir Spuren für das Leben, indem wir uns für die Bewahrung der Schöpfung einsetzen und uns für den Natur-, Tier- und Klimaschutz stark machen.“ Aber auch: „Gott ist es immer um den Menschen gegangen, also sollten doch auch wir mehr für ein besseres Miteinander streiten und nicht die Augen verschließen, wenn Menschen im Meer ertrinken.“ Flüchtlingshilfe, Bildung, eine menschliche Pflege im Alter: Eine christliche Welt sollte für den streitbaren Geistlichen einen Alltag zum Ziel haben, in dem Herkunft, Glauben und Aussehen eben nicht die Zukunft bestimmen. „Machen wir uns im Dialog mit anderen Christen, mit Andersgläubigen und Menschen, die nicht glauben, doch einfach etwas mutiger auf den Weg.“