Oberhausen. Jahrelang suchte eine Oberhausenerin nach der Ursache für ihre fürchterlichen Schmerzen. Ein Zufall führte sie ins St.-Marien-Hospital (KKO).

Stellen Sie sich vor, Sie wachen nach einer Operation aus der Narkose auf – und man hätte vergessen, Ihnen Schmerzmittel zu geben. So fühlen sich Fibromyalgie-Patienten, Tag für Tag. Warum Sie dann nicht laut schreiend durch die Gegend laufen? Weil viele Betroffene regelmäßig Morphium nehmen – und weil sie sich an ihre Schmerzen gewöhnt haben, selbst an die schlimmsten. So wie die 56-jährige Oberhausenerin, die ihren Namen – aus gutem Grund – lieber nicht nennen möchte.

2003, drei Jahre nach der Geburt ihres Kindes, bahnten sich die Schmerzen zum ersten Mal einen unüberhörbaren Weg in ihr Leben. „Ich hatte Nacken- und Schulterschmerzen und so ein unangenehmes Ziehen im Rücken.“ Na ja, dachte sie damals noch, kein Wunder, „schließlich saß ich als leitende Mitarbeiterin einer Bank ja viele Stunden am Schreibtisch“. Doch egal, was sie machte, die Schmerzen gingen nicht weg. Im Gegenteil: „Sie breiteten sich aus, erst in die Arme, dann in die Beine – es fühlte sich an, als würden Sehnen und Muskeln auseinanderreißen.“ So begann, was die Oberhausenerin selbst als „meine Ärzte-Odyssee“ bezeichnet.

Labor- und Röntgenuntersuchungen brachten kein Ergebnis

Die Laborwerte waren in Ordnung, Röntgen- und MRT-Untersuchungen blieben ergebnislos. Krankengymnastik, Sport, Massagen, diverse Kuren – keine Behandlung konnte langfristig helfen. Egal, an welchen Facharzt, egal an welche Klinik sie sich wandte, sie hörte immer nur: „Alles in Ordnung.“ Das aber konnte nicht sein. Denn in der Zwischenzeit war aus der fröhlichen, aktiven Frau ein Mensch geworden, der

Das St.-Marien-Hospital in Oberhausen Osterfeld, hier eine Außenaufnahme aus 2012, gehört zum Katholischen Klinikum Oberhausen. Noch gibt es dort eine Schmerzambulanz, in der rund 600 Patienten pro Quartal behandelt werden.
Das St.-Marien-Hospital in Oberhausen Osterfeld, hier eine Außenaufnahme aus 2012, gehört zum Katholischen Klinikum Oberhausen. Noch gibt es dort eine Schmerzambulanz, in der rund 600 Patienten pro Quartal behandelt werden. © WAZ FotoPool | Tom Thöne

Verabredungen absagte, Tage im Bett verbrachte, unzählige Schmerzmittel schluckte. „Sie sind einfach mit Job und Kind überfordert, gehen Sie doch mal zur Psychotherapie“, war der wohl noch am nettesten formulierte Vorschlag ratloser Mediziner.

„Das machte ich dann sogar, obwohl ich mich total unverstanden fühlte.“ Denn die Krankheit hatte natürlich auch Spuren in ihrer Beziehung hinterlassen. „Diese Veränderung von einem aktiven zu einem passiven Menschen, diese täglichen Schmerzen, das Unverständnis, auf das ich bei Ärzten, aber auch in der Familie und bei Freunden stieß, ja, das alles hatte mich irgendwann auch depressiv gemacht.“ Den Job, den sie so geliebt hatte, musste sie aufgeben. Seit 13 Jahren ist sie inzwischen arbeitsunfähig.

Auf eigene Kosten zum Heilfasten

Auf eigene Kosten fuhr sie zum Heilfasten an den Bodensee. Und dort, in der Kurklinik, hatte einer der Ärzte endlich den Verdacht: „Sie haben sicher Fibromyalgie.“ Seitdem, sagt die Patientin, sei es in die richtige Richtung gelaufen. Wieder kam ihr ein Zufall zu Hilfe: „Mein Kind musste im Katholischen Klinikum Oberhausen operiert werden, ich erzählte dem behandelnden Arzt beiläufig von meiner Erkrankung und er riet mir, mich an die Klinik für Anästhesie Intensivmedizin und Schmerztherapie im St.-Marien-Hospital zu wenden.“ Ein guter Rat, wie sich schon bald herausstellen sollte. Chefärztin Dr. Elke Fortkamp-Schneider nahm die Oberhausenerin sofort stationär auf.

Experten vermuten eine gestörte Schmerzverarbeitung

Fibromyalgie heißt wörtlich übersetzt „Faser-Muskel-Schmerz“. Die Ursache dieses Schmerzsyndroms ist nach wie vor ungeklärt. Es handelt sich nicht – wie lange vermutet – um ein Weichteilrheuma. Fibromyalgie zählt weder zu den entzündlich-rheumatischen Erkrankungen noch handelt es sich um eine Krankheit der Muskeln und Gelenke. Charakteristisch sind chronische Schmerzen, oft im Rücken, den Armen und Beinen.

Experten vermuten eine funktionelle Störung der Schmerzverarbeitung im Gehirn. Die Schmerzhemmung vom Gehirn zum Rückenmark ist jedenfalls nachweisbar verändert. Rund zwei Prozent der Bevölkerung sind betroffen, hauptsächlich Frauen ab dem 35. Lebensjahr.

„Ich hatte endlich jemanden gefunden, der zuhörte, der mich und meine Beschwerden ernst nahm“, erzählt die Patientin. Vor allem aber: „Ich erhielt nach fast einem Jahrzehnt zum ersten Mal eine umfassende Behandlung, die mir dauerhaft half.“ Dazu gehörten in erster Linie: „Eine gute medikamentöse Einstellung, in diesem Falle eine Arzneimittel-Kombination mit Morphium, die es der Patientin ermöglicht, einen klaren Kopf zu behalten und wieder am Leben teilzuhaben“, erzählt Fortkamp-Schneider. Diese am St.-Marien-Hospital praktizierte neue Form der ganzheitlichen, multimodalen Schmerztherapie umfasst außerdem: Ein angepasstes Sporttraining, vor allem im gut temperierten Bewegungsbad, Entspannungstechniken, Hintergrundinformationen über die Erkrankung und psychologische Gespräche.

Nein, die 56-Jährige ist auch heute nicht gesund. Sie wird es nie wieder werden. Aber sie kann ihre Schmerzen dank dieser Behandlung leichter ertragen. „Mein Suchen hat ein Ende gefunden.“ Sie hat gelernt, ihre Einschränkungen anzunehmen, besser auf sich aufzupassen. Beruhigt in die Zukunft blicken aber kann sie trotzdem nicht. Denn das Katholische Klinikum Oberhausen befindet sich im Insolvenzverfahren. Ob die Klinik für Schmerztherapie bleibt, ob die rund 600 Patienten (pro Quartal) die Schmerzambulanz als Anlaufstelle behalten – das bleibt abzuwarten. „Wo soll ich dann hin?“, fragt sich die 56-Jährige jetzt voller Sorge. Denn mehr als zehn Schmerzkliniken im näheren Umkreis sind bereits in den letzten Jahren aus finanziellen Gründen geschlossen worden. Zwar gibt es auch in der Helios St.-Elisabeth-Klinik Oberhausen eine kleinere stationäre Schmerztherapie. „Aber die ambulante Versorgung übernehmen in Oberhausen sonst nur wenige niedergelassene Ärzte und die sind doch bereits heute überlaufen“, meint die Patientin.

Diese Sorge kann ihr auch Elke Fortkamp-Schneider nicht nehmen. Die Chefärztin hofft aber darauf, dass nicht nur rein wirtschaftliche Aspekte die Zukunft ihres Hauses bestimmen werden. „Wir haben schließlich die Verantwortung für Hunderte von Patienten, die sich bislang stets auf uns verlassen konnten.“