Oberhausen. 9241 Menschen wählten 2018 den Freitod in Deutschland. Eine Katastrophe auch für Angehörige. Für sie bietet das KKO am Dienstag eine Hotline an.

Die Lage scheint ausweglos, der Kopf ist voll von schlechten Gedanken. Gründe für Kummer liefert allein der Blick auf aktuelle Nachrichten: Kinderpornos, Proteste in Hongkong, die Hängepartie um den Brexit. Das kann depressiv machen – doch es gibt auch gute Neuigkeiten. Die Zahl der Suizide ist zum dritten Mal gesunken, wie eine Erhebung der Gesundheitsberichterstattung des Bundes zeigt. Statistisch gesehen gab es vor 40 Jahren sogar fast doppelt so viele Selbstmorde. Also, alles nicht so schlimm?

Mitnichten. Zum „Tag der Suizidprävention“ am Dienstag, 10. September, bietet das Katholische Klinikum Oberhausen (KKO) eine neue Hotline an – denn die telefonische Beratung zielt auf eine andere Gruppe ab. „Zu 90 Prozent kommen Suizide in Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen wie Depression, Alkoholabhängigkeit, Persönlichkeits- oder Essstörungen vor“, erklärt Dr. Jörg Signerski-Krieger. Er ist der Chefarzt des Kompetenzzentrums für seelische Gesundheit am KKO im St. Josef-Hospital. Und für ihn ist es wichtig, vor allem den Angehörigen von Patienten, die Selbstmord-Gedanken in sich tragen, mehr Beachtung zu schenken.

Suizid: Angehörige leiden mit und fühlen sich hilflos

„Oftmals leiden die Verwandten und Freunde nämlich mit und fühlen sich hilflos“, benennt der Chefarzt ein großes Problem. Dr. Jörg Signerski-Krieger spricht ruhig und sachlich von einem Thema, das bei den meisten Menschen für ein komisches Bauchgefühl sorgt.

„Kopf hoch“ oder „Wird schon alles wieder“ sind Sätze, die depressive Menschen höchstens überhören. Und Angehörige benötigen unfassbar viel Geduld, Einfühlungsvermögen und Toleranz im Umgang mit den gefährdeten Betroffenen; um am Ende trotzdem festzustellen, dass man nur ein Laie sein kann.

Wenn jemand Selbstmord begeht, bleiben die Angehörigen deshalb mit ihren Schuldgefühlen beladen zurück – und weil Abschiedsbriefe teilweise keine Lösung enthalten, wenn sie überhaupt geschrieben werden, fallen die Angehörigen und Nahestehenden häufig selbst in ein tiefes Loch. Für den Psychiater eine völlig natürliche Reaktion: „Niemand denkt dann, er habe alles richtig gemacht – auch wir in der Klinik nicht.“ Dabei stellen sich die Zurückgebliebenen oftmals unentwegt eine Frage: „Hätte ich den Selbstmord irgendwie verhindern können?“

Klare Anzeichen vor einem Selbstmord gibt es nicht

„Nein“, sagt Dr. Jörg Signerski-Krieger. Für ihn gibt es keine klaren Zeichen, ob jemand Suizid begehen will. „Sie lassen sich einfach nicht immer verhindern.“ Familie und Verwandte schauen in ihrer Not und tiefen Trauer dennoch zurück in die Vergangenheit – und maximieren ihre Schuldgefühle. „Die Suche nach eigenen Fehlern führt aber nur zu mehr Sorge und noch mehr Zweifel an sich selbst.“

Tag der Suizidprävention: KKO-Hotline für Angehörige

Das Kompetenzzentrum für seelische Gesundheit, Psychiatrie und Psychotherapie im St. Josef-Hospital bietet zum Anlass des Tages der Suizidprävention am Dienstag, 10. September eine Hotline für betroffene Angehörige und Nahestehende an.

Von 17 bis 19 Uhr hört ein Experte genau zu, was Sie plagt und worunter Sie leiden. Falls Sie jemanden kennen, der Suizid-Gedanken hat, wenden Sie sich bitte an: 0208/837-4401. Wenn Sie selbst Selbstmordgedanken haben, können Sie rund um die Uhr die Telefonseelsorge anrufen: 0800/1110111.

Wenn sich jemand das Leben nimmt, rät er, sollte man auf die Angehörigen aktiv zugehen und ein Gespräch anbieten. „Wir wollen den Tag darum nutzen, um die Hilfestellung ins Rollen zu bringen.“ Im Vorfeld Hilfe holen, wenn jemand konkrete Selbstmord-Gedanken hegt, etwa per SMS oder mündlich geäußert, sei zudem die beste Reaktion.

Er verweist auf die niedergelassenen Psychotherapeuten in Oberhausen, die neben der Hilfe im St.-Josef-Hospital, eine Anlaufstelle für psychisch Kranke sind. Für den Dienstag stellt er aber fest: „Eine Diagnose per Telefon funktioniert nicht.“

Psychotherapie kann Leben retten – zu wenig, Leben kosten

Ähnlich wie andere Experten möchte Dr. Jörg Signerski-Krieger mit der Aktion zum „Tag der Suizidprävention“ psychische Erkrankungen in den Blick der Öffentlichkeit rücken. So kritisierte der Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer im Juli den Bundesausschuss, der sich um die Bedarfsplanung der psychotherapeutischen Praxissitze kümmert: Die vom Ausschuss beschlossene Reform sei willkürlich und führe zur Unterversorgung. Derzeit warten Betroffene im Schnitt satte 20 Wochen, bis sie überhaupt behandelt werden. Eine lange Zeit, denn das kann im Ernstfall Leben kosten.