Oberhausen. 100 Jahre ist’s her, dass Industrie-Design den Siegeszug antrat. Die Ausstellung „Nützlich & schön“ im Peter-Behrens-Bau führt zu den Anfängen.
Ohne Kunststoffe geht heute gar nichts mehr. Ihren Durchbruch erzielten sie nach dem Ersten Weltkrieg. Seitdem wird der Alltag der Menschen mehr und mehr von ihnen begleitet. Das brachte es mit sich, dass Gegenständen auch ein anderes Design gegeben werden konnte, als es Werkstoffe wie Blech oder Holz ermöglichen. Rund 15 Interessierte sahen sich am Sonntag mit Gästeführer Ingo Dämgen die Ausstellung „Nützlich & schön“ im Peter-Behrens-Bau des LVR-Industriemuseums an. Sie zeigt anhand von über 500 Exponaten, wie sich das Aussehen von Produkten unter dem Einfluss von Kunststoffen zwischen 1920 und 1940 entwickelt hat.
Dämgen führte die Teilnehmer zunächst zu jenem Teil der Ausstellung, der sich mit den stofflichen Grundlagen beschäftigt. Dabei machte er deutlich, dass es kein Zufall ist, dass sich an Rhein und Ruhr bis heute ein Schwerpunkt der deutschen Kunststoffherstellung befindet. Denn Bakelit, der erste industriell erzeugte Kunststoff, wird aus Phenol gewonnen und das wiederum aus der Verflüssigung von Steinkohle. Und Formaldehyd, das ebenfalls dazu benötigt wird, wird aus Methanol gewonnen, das wiederum ebenfalls Kohle als Rohstoff benötigt. Und Aluminium, das für markantes Design, vor allem aber für Leichtbau steht, benötigte für seine Erzeugung einen preiswerten Strom – aus Braunkohle.
Legosteine und Lichtschalter
Plastik jedenfalls, wie der Volksmund die vielen nicht-metallischen Kunststoffe nennt, lässt sich leicht verformen. Ob zu eckigen Legosteinen oder zu runden Lichtschaltern. Und es leitet keinen Strom. „Dadurch konnte Porzellan bei der Verwendung von Schaltern ersetzt werden“, erläuterte Dämgen.
Nur empfahlen sich nicht alle harten Kunststoffe dafür, darin Lebensmittel aufzubewahren. Und das wiederum verhalf einer preiswerten Variante von Glas zum Durchbruch: Pressglas. „In Duisburg und Oberhausen gab es Fabriken dafür“, sagte Dämgen. Ein Blick auf die Herstellung von Kunstfasern wie Kunstseide oder die Veredelung von Metallen durch Chrom und zu Edelstahl rundet den ersten Teil der Ausstellung ab.
Neue Bekleidung dank Kunstfasern
Hauptsächlich zeigt sie die enorme Bandbreite an Produkten aus diesen Materialien, die seit Ende des Ersten Weltkriegs in unser Leben Einzug hielten: vom Damenstrumpf, dem Tanzkleid und der Haarspange über Spielsachen aus Spritzguss, Radio, Telefon und Schreibmaschine mit Bakelit-Gehäusen sowie einem Motor-Kurbelgehäuse und einer Kanne aus Aluminium bis hin zu zahnmedizinischen Instrumenten aus Edelstahl.
Zwei besondere Vorteile verbanden sich mit den neuen Materialien. Dank Formbarkeit konnte man dem Haarföhn oder dem Staubsauger ein windschlüpfiges Aussehen geben. Und man sparte durch Kunststoff gegenüber Blech viel Gewicht. Ingo Dämgen ließ das einige Teilnehmende anhand eines Zusatzgewichts spüren, das er auf einen modernen Föhn auflegte, um den Unterschied zur früheren Bauweise zu verdeutlichen.
Ein Teil der Ausstellung ist dem Einfluss gewidmet, den die Kunstschule Bauhaus in Dessau damals auf die Gestaltung von Produkten gewann. Wer kennt sie nicht, die Schreibtischlampe mit ihrem halbkugelförmigen Lampenschirm, ursprünglich aus Bakelit? Sie stammte von Bauhaus-Designer Christian Dell (1893 bis 1974). Und die bis heute verbreiteten Stahlrohrsessel hat sein Kollege Marcel Breuer (1902 bis 1981) entworfen.
Gebärdendolmetscher kam nicht
Bei der Führung war angekündigt worden, dass sie auch für Gehörlose geeignet sei. Darauf hatte sich Dorit Straube aus Königshardt mit ihrer Tochter Julia (22) am Sonntag eingefunden. Die junge Frau ist seit ihrer Geburt schwer hörgeschädigt. „Sie kann nur grobe Geräusche wahrnehmen, keine Stimmen“, erklärte ihre Mutter. Aber der angekündigte Dolmetscher in Gebärdensprache war nicht erschienen. Dorit Straube musste für ihre Tochter übersetzen. „Das kann ich aber nur für den Hausgebrauch. Ich bin ja keine Expertin. Dafür fehlt mir das Vokabular“, sagte sie. Was man nicht in Gebärden übersetzen könne, werde übrigens für die Gehörlosen buchstabiert. Doch dafür war die Führung zu komplex. Zur Entschädigung für die entgangene Profi-Übersetzung bekam die junge Frau das Buch zur Ausstellung geschenkt.