Oberhausen. Von Sommerloch kann wahrlich keine Rede sein angesichts des aktuellen Angebots vielversprechender Arthouse-Filme in Oberhausen.
Sage bitte niemand, der Hochsommer sei filmische Saure-Gurken-Zeit. Zumindest im Arthouse-Repertoire bietet Oberhausen in dieser Woche ergreifende Filmkunst vom hochdramatischen Überlebenskampf bis zum heiter-melancholischen Déjà-vu aus Paris.
Die Angst der Eltern um ihren ältesten Sohn
„Beautiful Boy“ erzählt von der Suchtkrankheit eines behütet aufgewachsenen Sohnes, zu sehen im Kino im Walzenlager jeweils um 18 Uhr. Regisseur Felix Van Groeningen stand mit dem jungen Timothee Chalamet als Nic ein grandioser Hauptdarsteller zur Verfügung. Der kalifornische „Rolling Stone“-Autor David Sheff und seine Frau Vicky waren eigentlich immer der Meinung, bei der Erziehung ihrer Kinder alles richtig gemacht zu haben. Als Nic dennoch drogenabhängig wird, versucht David rational und so gelassen wie möglich zu reagieren. Doch Nic enttäuscht immer wieder das Vertrauen seiner Eltern, lügt, stiehlt und bringt sich in Lebensgefahr. Die Film-Adaption vereint – übrigens in faszinierend „schönen“ Bildern – die Sichtweisen von David und Nic Sheff, die in jeweils eigenen Büchern von der Meth-Sucht, ihren falschen Verheißungen und ihren Verheerungen berichteten.
Den Enttäuschungen und Verletzungen eines Ehepaares folgt „Nuestro Tiempo“, im Original mit Untertiteln jeweils um 20.15 im Walzenlager-Kino. Autor und Regisseur Carlos Reygadas erzählt vom Schriftsteller Juan, der mit seiner Frau Ester auf einem großen Anwesen im Norden Mexikos residiert. Ester und Juan haben eine offene Beziehung verabredet. Als Ester auf einer Party dem gemeinsamen Freund Phil Avancen macht, ermutigt Juan sie – und ist dann überrascht von seiner Eifersucht. So beginnt seine schmerzhafte Arbeit am eitlen Selbstbild des gehörnten Ehemanns.
Vom Bahnhofsklavier ins Konservatorium
Wer schon mal mit dem TGV aus dem Ruhrgebiet nach Paris gereist ist, kennt das „öffentliche Klavier“ im Nordbahnhof: Der junge Mathieu (Jules Benchetrit) setzt sich in „Der Klavierspieler vom Gare du Nord“ immer wieder an die Tasten und spielt gedankenversunken klassische Musik. Als Vorstadt-Kind ist ihm diese Gabe vor seinen teils kriminellen Freunden jedoch peinlich. Die Begegnung mit dem Dozenten eines Konservatoriums könnte die Chance für Mathieu sein, um mehr aus seinem Leben zu machen. Ob er reüssiert, ist nicht immer gewiss. Die konventionell erzählte Geschichte punktet mit der Sogkraft der Musik – täglich zu erleben (außer im Gare du Nord) um 18.30 Uhr im Lichtburg Filmpalast.
Mit einem weiteren musikalischen Film fürs Herz geht’s nordwärts über den Kanal – ausgerechnet nach Cornwall. Doch keine Angst, ganz so hochglanzverkitscht wie bei Rosamunde Pilcher kommen uns die „Fisherman’s Friends“ nicht. In Port Isaac singen die Seebären traditionelle Shanties und wecken das Interesse eines Musikproduzenten aus London. Regisseur Chris Foggin, er stammt aus Sunderland an der Nordseeküste, rührt reichlich Seefahrerromantik in seine Feelgood-Komödie und verortet die wahren Erfolge nicht auf dem Konto, sondern im Zwischenmenschlichen. Tatsächlich gelang 2010 einem Shanty-Chor aus Cornwall der Sprung in die englischen Charts – soviel zur „wahren“ Geschichte, in der Lichtburg täglich um 16.15 und 20.45 Uhr.