Oberhausen. Ödön von Horváths „Jugend ohne Gott“ packt als Mahnung „von heute“. Das Junge Schauspiel Düsseldorf beeindruckt mit rasantem und präzisem Spiel.

Sollte die von den Berlinern so genannte „Einheitswippe“ – das Denkmal für die deutsche Einheit vor dem Humboldt-Forum – so ähnlich geraten wie dieses Bühnenbild für das Junge Schauspiel Düsseldorf: Man müsste wohl vehement abraten. Denn für Kristo Šagors Inszenierung von „Jugend ohne Gott“ ist der in alle Richtungen kippende – und oft genug zu einem verhängnisvollen Grat aufragende – Bühnenboden eher ein Mahnmal des Faschismus: Niemand kann hier Halt finden, weder die Jugendlichen noch ihr Lehrer.

Für ältere Jugendliche dürfte diese über zwei Stunden packende Dramatisierung des Romans von Ödön von Horváth das Highlight dieses „Westwind“-Festivals gewesen sein. Das Große Haus des Theaters war denn auch am Montagabend erfreulich gut besucht. Hermann Hesse konstatierte an Horváths großartiger Erzählung von 1937: „Sie schneidet quer durch den moralischen Weltzustand von heute“. Diesem „von heute“ ist das kleine Ensemble aus zwei Schauspielerinnen und drei Schauspielern bedrängend nahe.

Thriller statt Geschichtsstunde

Man gibt keine Geschichtsstunde in Dialogen, sondern einen Thriller, der den alltäglichen Faschismus und seine Verstrickungen fast en passant sichtbar macht. „Wie ein Raubvogel zieht die Schuld ihre Kreise“, sagen die Fünf im Chor. In ihrer blau-roten Kluft, changierend zwischen Sportdress und den Uniformen von Eliteschulen oder Militärakademien, widersprechen die Schüler schon äußerlich der „Humanitätsduselei“ ihres jungen Lehrers.

Der Klasse ist ihr Lehrer zu weich: „Was ist das für eine Generation?“ fragt sich Thomas Kitsche in der Rolle des Pädagogen zwischen Anpassung und Widerstand.
Der Klasse ist ihr Lehrer zu weich: „Was ist das für eine Generation?“ fragt sich Thomas Kitsche in der Rolle des Pädagogen zwischen Anpassung und Widerstand. © Westwind | David Baltzer

Nur Thomas Kitsche bleibt als unglücklicher Pädagoge ganz in der Rolle des erst Angepassten, später Widerständigen. Die anderen Vier vom Jungen Schauspiel übernehmen in rasantem Wechsel, dabei stets punktgenau, die ganze Fülle der Horváth’schen Figuren in Klassenzimmer und paramilitärischem Trainingslager. „Krieg und Sieg“ brüllen sie für die Kamera (statt „Cheese“).

Während die jungen Proto-Faschos den Schießübungen entgegenfiebern, begegnet der Schüler Z. dem Mädchen Eva und ihrer jugendlichen Diebesbande – Horváths Bild eines Graswurzel-Widerstands der Verarmten und Verstoßenen.

Der Boden schwankt wie ein Schiffsdeck

Der mit Z. verfeindete Schüler N. wurde mit einem Stein erschlagen. Mit Trommelschlägen und rasant verknappten Dialogen treiben Kristo Šagor und sein Ensemble das Gerichts-Drama voran: Erst gesteht der Lehrer sein Wissen über Eva und Z. „Wenn der Herr Lehrer nicht die Wahrheit gesagt hätte“, so Eva vor dem Tribunal, „dann hätte ich auch geschwiegen.“

Doch dieser „einzige Erwachsene, der die Wahrheit liebt“ treibt mit seinen Nachforschungen noch einen Schüler aus reichem Hause, den mutmaßlichen Mörder von N., in den Selbstmord. Als sich der diskreditierte Lehrer aufmacht ins Exil der „Kolonien“, schwankt der Boden so heftig wie ein Schiffsdeck in schwerer See. Für die Zurückbleibenden hatte der Chor zum Geburtstag des „Ober-Proleten“ die Losung ausgegeben: „Kriecht im Staub und lügt, was ihr könnt!“