Oberhausen. Wenn unfreiwillig Urin abgeht, schweigen Betroffene über ihr Leiden. Dabei gibt es zahlreiche Behandlungsformen. Dafür ist aber ein Gang zum Arzt unerlässlich, betont Prof. Klaus Höfner, Chefarzt der Urologie im Evangelischen Krankenhaus.

Es tropft lange vor der rettenden Toilettentür. Oder beim Niesen, Lachen, Hüpfen. Frauen, die gerade Kinder bekommen haben, unterhalten sich über ihre Pipi-Pannen allenfalls hinter vorgehaltener Hand. Nur 15 Prozent aller Betroffenen gehen überhaupt zum Arzt, wenn die Blase macht, was sie will.

Die große Masse versorgt sich mit Vorlagen, traut sich nicht mehr zum Sport oder gar nicht mehr aus dem Haus. Oder hört auf, genügend zu trinken. „Bitte glauben Sie nicht, dass sie mit dem Problem allein sind”, beschwört Chefarzt Prof. Klaus Höfner vom Evangelischen Krankenhaus. „Es gibt Hilfe.”

Das Herz gilt als sauber, die Blase als schmutzig

Doch warum ist die unbeabsichtigte Blasenentleerung ein solches Tabu-Thema? Spricht man doch über andere Krankheiten ausgesprochen gerne. „Wenn Sie etwas am Herzen haben, ist das ein Thema. Das Herz ist rundum positiv besetzt, es ist ungemein populär, sauber noch dazu. Bei der Inkontinenz fürchten viele Gerüche, Urin ist besetzt mit Attributen wie asozial, schmutzig. Die Leute haben Angst vor Isolation”, weiß der Urologe. Männer, die häufig nach Prostata-Totaloperationen inkontinent werden, sehen ihre Männlichkeit verletzt. Frauen, bei denen Schwangerschaften oder Senkungen von Gebärmutter oder Blase beim „Tröpfeln” eine Rolle spielen, sind es eher gewohnt, sich eine Vorlage in den Slip zu tun.

„Eine Vorlage ist aber keine Therapie”, mahnt Höfner. Denn sie begünstigt Entzündungen und die wiederum die Inkontinenz, „das kann ein Teufelskreis werden”. Wenn die Inkontinenz leicht und vorübergehend ist, etwa nach einer Schwangerschaft, kann Beckenbodentraining helfen, auch bei anderen leichten Formen, sofern nur der Schließmuskel etwas schwach geworden ist. Aber: „Das muss man dann immer machen, sonst kehrt die Inkontinenz zurück.” Oft kommen aber viele Faktoren zusammen, wenn der Urin nicht mehr gehalten werden kann – Wirbelsäulenschäden etwa, Demenz, eingeschränkte Beweglichkeit.

Überreizung kann mit Medikamenten behandelt werden

Ist die Blase zu schnell gereizt und entleert sich deswegen, kann man sie mit Medikamenten etwas unempfindlicher machen und gleichzeitig die Blase trainieren, indem man nicht jedem Harndrang sofort nachgeht. Auch eine Injektion mit Botox kann bei einer solchen „überaktiven Blase” helfen. Die zu behandeln ist im Übrigen auch schon sinnvoll, bevor es zu einer Inkontinenz kommt. Doch zunächst muss abgeklärt werden, ob nicht andere, organische Ursachen da sind – denn auch bestimmte Blasenentzündungen oder ein Tumor können die Blase reizen.

Helfen solche Maßnahmen nicht, kann eine OP sinnvoll sein. Bei einer TVT-Operation beispielsweise wird ein kleines Band unter die Harnröhre gelegt, die Schnitte sind minimal. Bei einem anderen Verfahren wird die Lage der oberen Harnröhre so korrigiert, dass sie wieder „dicht” wird. Haben sich Scheide, Gebärmutter, Mastdarm oder Blase nach unten gesenkt, müssen diese Organe operativ gehoben werden. Bei Männern gibt es neben dem klassischen künstlichen Schließmuskel ein neues Verfahren, bei dem eine Schlinge die Barrierefunktion der Prostata ersetzt.

Es kommt auf den Leidensdruck an

„Es ist immer eine Ermessensfrage”, betont Prof. Hoefner, ob und welche Therapie gewählt wird. Das komme auch auf den persönlichen Leidensdruck an. Auch wenn man nicht jeden Patienten heilen könne – mindestens eine Verbesserung sei möglich. Der erste Schritt dazu: Der Weg zum Arzt.