280 Mitarbeiter produzieren in Oberhausen Räder für Schienenfahrzeuge in ganz Europa. Die EU sichert viele Geschäfte für GHH Radsatz.

Oberhausen. Technik aus Oberhausen lässt Straßenbahnen von Warschau bis Gent, von Danzig über Wien bis Brüssel über die Schienen gleiten. Die Hälfte des Waren-Umsatzes stammt aus Exporten ins europäische Ausland. 280 Menschen arbeiten Seite an Seite, jeder Zweite hat ausländische Wurzeln. An ihrer Spitze steht ein leidenschaftlicher Europäer. Es gibt wohl kaum ein Unternehmen in Oberhausen, das die Bedeutung der EU für die hiesige Wirtschaft so gut spiegelt wie GHH Radsatz in Sterkrade. „Ohne Europa könnten wir nicht bestehen“, sagt Geschäftsführer Ronald Seidelman.

Hervorgegangen aus dem einstigen Konzern MAN-GHH ist Radsatz heute ein international tätiger Hersteller von Rädern, Radsätzen und Fahrwerken für Schienenfahrzeuge wie beispielsweise ICE-Züge. Bediente das Unternehmen früher ausschließlich den deutschen Markt, profitiert es heute von den offenen Grenzen Europas.

Gefährliche Politik

Doch Ronald Seidelman macht sich Sorgen. Die politische Entwicklung in der EU erinnert ihn zu sehr an sein Geburtsland, die USA. Seidelman, der seit 1971 in Deutschland lebt, hält den Isolationismus und Nationalismus von Donald Trump für „eine gefährliche Politik, die niemandem nützt“. Ähnliches gelte für Kräfte in Europa, die die Europäische Union für überflüssig halten „und zerstören wollen, was wir über Jahrzehnte aufgebaut haben“. Streben einzelne Länder weiter eine nationale Abschottung an, sei der Frieden in Gefahr, warnt Seidelman.

GHH Radsatz liefert Fahrwerke von Sterkrade aus in viele Länder Europas.
GHH Radsatz liefert Fahrwerke von Sterkrade aus in viele Länder Europas. © FUNKE Foto Services | Gerd Wallhorn

Doch woher kommt die große Unzufriedenheit der Menschen mit dem bestehenden System? „Uns geht es so gut wie lange nicht“, sagt Ronald Seidelman. Das führe zu einem sehr hohen Sättigungsgrad. „Es fehlt den Menschen an Zielen, für die sie arbeiten.“ Früher sei es etwas ganz Besonderes gewesen, ein eigenes Auto, eine Wohnung oder gar Haus zu besitzen. Heute ist dies für viele Bürger eine Selbstverständlichkeit.

Im übertragenen Sinn gelte das auch für den Frieden: Er ist zur Selbstverständlichkeit geworden. „Viele Menschen haben vergessen, dass die lange Friedenszeit dazu beiträgt, dass es uns heute so gut geht.“ Daher seien die nationalistischen Tendenzen so gefährlich: „Wenn man sich von seinen einstigen Partnern abwendet und sich abschottet, ist es bis zum Krieg nicht mehr weit.“

Aus diesem Grund schätzt der Radsatz-Chef auch die Internationalität seines Teams: Deutsch-französischer Vertriebsleiter, ein Einkaufsleiter, der viele Jahre in China, dann in Indien gelebt hat, ein Werksleiter, der lange in Mexiko gearbeitet hat. „Ich habe mir die Leute selbstverständlich nicht danach ausgesucht“, sagt Seidelman. „Aber die offene, diplomatische Umgangsart ist mir sofort aufgefallen.“ Ohne diese Qualitäten könne man ein Unternehmen wie GHH Radsatz, das mittlerweile zum tschechischen Mutterkonzern Bonatrans gehört, kaum leiten.

Im Betrieb wirbt der Geschäftsführer, der wegen seiner US-Staatsangehörigkeit selbst kein Wahlrecht hat, daher ganz offen und intensiv für die Europa-Wahl. „Parteipolitisch würde ich niemals Einfluss nehmen. Aber ich möchte, dass die Menschen wählen gehen.“

Ein Brexit würde auch GHH Radsatz treffen

GHH Radsatz hat keine direkten Kunden in Großbritannien. Ein Brexit würde das Unternehmen dennoch treffen. „Ein Austritt Großbritanniens wird zu Verschiebungen auf dem Markt führen“, erklärt Ronald Seidelman.

Der Fahrzeughersteller Hitachi beispielsweise betreibe ein Fertigungswerk in England. Konkrete Folgen seien schwer abzuschätzen. „Dafür ist das Chaos um den Brexit zu groß. Wir wissen zu wenig und müssen sehr gut aufpassen, was passiert.“

Nicht mehr kritikfähig

Seidelman ist das Jammern und Meckern leid. „Wenn man nicht wählt, darf man sich am Ende auch nicht beschweren.“ Und: „Wir sind heutzutage nicht mehr sehr kritikfähig, wir müssen lernen, uns wieder gegenseitig zuzuhören und miteinander zu diskutieren.“ Kritik werde zu schnell abgeschmettert. „Dabei kann nur aus Kritik eine Diskussion erwachsen, die letztlich zu einer Verbesserung der Situation führt.“