Oberhausen. . Nicht allen Haustieren geht es gut, manche müssen leiden. Fachleute vermuten, dass so mancher Bürger unterschätzt, wie teuer die Haltung ist.
Nichts als Gruselgeschichten. Wenn die Leiterin des Mülheimer Tierheims, Marion Niederdorf, Oberhausens Amtstierärztin Dr. Alexandra Ritsert und Eveline Müller von der Katzenhilfe Oberhausen erzählen, hört sich das so an: Staffordshire-Mix Bruno fiel aus einem Fenster im dritten Stock eines Hauses.
Die Feuerwehr fuhr den schwer verletzten Hund und seine Besitzerin zur Tierklinik. Eine horrende Tierarztrechnung drohte. Brunos Frauchen verschwand prompt von der Bildfläche. Aus der Klinik, aus der Wohnung, aus Brunos Leben.
Mutter von Katzenwelpen tot
Noch eine Schauergeschichte: 80 Tauben saßen so dicht gedrängt in einer Voliere, dass der Kot der oben sitzenden Tiere auf die darunter fiel. Der Kot war im Gefieder der Tauben bereits versteinert.
Oder: Eine Mutter-Katze wird überfahren, liegt tot auf einer Wiese – neben sich zwei Tage alte Welpen. Niemand hilft.
Es gibt unendlich viele weitere Geschichten, noch schlimmere. Das wirft die Frage auf: Sind die Tiere, die von Tierschützern gerettet werden, in einem immer schlechteren Zustand?
„Ich glaube, es hat in den vergangenen Jahren zugenommen“, sagt Marion Niederdorf über die oft elende Verfassung der Schützlinge. Sie schätzt, dass sich immer mehr Menschen Tiere zulegen, die sich das gar nicht leisten können. „Wie soll ein Hartz IV-Empfänger von dem bisschen Geld, das er hat, ein Tier versorgen?“, fragt sie. Wenn Tiere krank würden, könne das teuer werden. Die Behandlung eines Beinbruchs würde Tausende Euro kosten.
Marion Niederdorf erzählt von 14 sehr extremen Fälle im Jahr 2018, die nicht alle so gut ausgingen wie bei Bruno. Für den Rüden übernahm das Tierheim die Behandlungskosten. Eine kaum mehr bewegungsfähige Katze mit faustgroßen Zysten am Körper und einer Krebserkrankung konnte nicht mehr gerettet werden.
Perserkatze Tinkerbell dagegen, die wegen eines Tumors ein dick verquollenes Auge hatte, wurde operiert und fand ein schönes Zuhause.
Haltern fehlt die Einsicht
Tiere werden nicht nur draußen entdeckt und im Tierheim oder bei anderen Tierschützern abgegeben. Sie werden auch beschlagnahmt. Dafür ist das städtische Veterinäramt zuständig.
Ein Team um Dr. Alexandra Ritsert kümmert sich u.a. um das Tierwohl. Die Mitarbeiter des Veterinäramtes sind auf Tipps aus der Bevölkerung angewiesen. „Wenn wir informiert werden, kommen wir auch für ein einzelnes Kaninchen oder für Kaninchen in einem zu kleinen Käfig raus“, macht sie deutlich. Beides sei Tierquälerei.
„Wir ordnen in einem solchen Fall an, dass die Haltungsbedingungen in einer Frist verbessert werden müssen. Tut sich nichts, wird in letzter Konsequenz das Tier fortgenommen und womöglich ein Tierhalteverbot ausgesprochen.“ Das geschah 2018 gleich fünf Mal. 2017 gab es einen Fall.
Veterinäramt nimmt Polizei zum Schutz mit
Vor acht Jahren hat Ritsert beim Veterinäramt angefangen. „Da konnte man etwas für Tiere erreichen“, sagt sie. 90 Prozent der Leute hätten sie durch gutes Zureden überzeugt. Mittlerweile kämen sie oft nur mit Durchsuchungsbeschlüssen in die Wohnung und müssten oft Polizei als Schutz vor aggressiven Tierbesitzern mitnehmen. Hinzu komme, dass bei den Haltern die Einsicht fehle.
Ritsert erzählt von Hunden, die nie im Freien herumlaufen dürfen und deshalb die Wohnung verdrecken. Im vergangenen Jahr mussten sie über 40 Nackthunde aus einem Haus holen, abgemagerte Pferde retten und Katzen, die nach dem Auszug ihrer Besitzer in Wohnungen zurückgelassen wurden.
Die 80 Tauben, in der Voliere dicht gedrängt, konnten am Ende übrigens gerettet werden. Es dauerte jedoch ewig, sie von den zementharten Hinterlassenschaften ihrer Vogel-Kollegen zu befreien.
Bei all den Geschichten kann die Tierärztin nicht sagen, ob solche Fälle zugenommen haben – oder Bürger dafür stärker sensibilisiert sind und diese eher melden.
>>> Händler bieten Billig-Welpen im Kaisergarten an
Eine weitere häufige Form der Misshandlung beschreibt Veterinärin Dr. Alexandra Ritsert: „Es werden immer mehr Hunde bei sommerlichen Temperaturen im Auto gelassen.“ Die Hundebesitzer könnten sich nicht vorstellen, was für eine Quälerei in der Hitze schon ein kurzer Moment im Auto fürs Tier bedeute. Ein weiteres zunehmendes Problem seien die Hundehändler aus Osteuropa. „Die sprechen jetzt schon Leute auf Parkplätzen an oder im Kaisergarten“, warnt Ritse.
Wenn einem so ein kleiner Hund plötzlich entgegen gehalten werde, sei man viel eher bereit, das Tier zu kaufen. Viele Leute spekulierten aber auch auf die sehr günstigen Rassehunde. Ritsert: „Sie vergessen nicht nur das Elend der Elterntiere, sondern, dass die Behandlungskosten der meist kranken Welpen ein Vielfaches mehr kosten, als die Ersparnisse beim Kauf.“
>>> Katze „No Name“ wiegt gerade mal 2,4 Kilo
Bei Eveline Müller, Leiterin der Katzenhilfe Oberhausen, steht das Telefon nicht mehr still. Menschen, die ihre manchmal 14, 15 Jahre alten Katzen plötzlich nicht mehr wollen, melden sich. Eveline Müller wird nicht selten unter Druck gesetzt: „Wenn Sie meine Tiere nicht nehmen, setze ich sie aus.“
Eine scheußliche Geschichte jagt die andere: Eine alte Dame fütterte einen älteren verwilderten Kater. Das Tier lief auf drei Beinen, es hatte mehrere Verletzungen. Diese waren so dramatisch, dass der Kater nicht mehr zu retten war.
Katzenhilfe bietet Kastrationsgutscheine an
Eine andere Katze, die „No Name“ getauft wurde, wurde mit nur noch 2,4 Kilogramm an Gewicht mehr tot als lebendig gefunden. Sie hat es geschafft und bringt jetzt schon 4,2 Kilogramm auf die Waage. Auch „Red“ trug seinen imposanten roten Katerkopf auf einem skelett-artigen Körper, ehe er von der Katzenhilfe aufgepäppelt wurde. Immer wieder müssen schwer verletzte Katzen mit komplizierten Knochenbrüchen betreut werden, weil sie angefahren wurden oder aus dem Fenster fielen.
Und dann gibt es auch noch all die unkastrierten Katzen, die Eveline Müller Sorgen bereiten. Zur Zeit bietet die Katzenhilfe für bedürftige Katzenbesitzer Kastrationsgutscheine an. Interessierte müssen sich aber mit 40 Euro an den Kosten beteiligen. Mit der Aktion soll das Katzenelend eingedämmt werden. Normalerweise kostet die Kastration eines Katers gut 80 Euro – und die einer Katze mehr als 140 Euro.