Oberhausen. . Meinungen über die Lage auf dem Oberhausener Jobmarkt gehen auseinander. Der Chef-Wirtschaftsförderer des Ruhrgebiets hat Positives zu vermelden.

Keine Pausen, nicht einmal für den Gang zur Toilette oder um etwas zu trinken. Unbezahlte Überstunden. Immer mehr Druck, immer mehr Aufgaben und Anforderungen. Immer wieder berichten Angestellte in Oberhausen über unhaltbare Zustände an ihrem Arbeitsplatz.

Einzelfälle? Oder ein strukturelles Problem? Gibt es in der Stadt zu wenig gute Arbeit? Antworten auf diese und weitere Fragen gab es beim jüngsten Stadtgespräch, zu dem Arbeit und Leben, Volkshochschule sowie die Lokalredaktion der WAZ am Montag ins Bert-Brecht-Haus geladen hatten.

Warum kein vernünftiger Lohn?

„Warum ist der Einzelhandel nicht in der Lage, vernünftige Gehälter zu zahlen?“, wollte WAZ-Redaktionsleiter Peter Szymaniak von Marc Heistermann wissen, dem Geschäftsführer des Handelsverbandes, der mit Helmut Brodrick, Betriebsratsvorsitzender des Sterkrader MAN-Werkes, Oberbürgermeister Daniel Schranz, Verdi-Geschäftsführerin Henrike Eickholt und Rasmus Beck, Geschäftsführer der Business Metropole Ruhr und damit Chef-Wirtschaftsförderer des Ruhrgebiets, auf dem Podium stand. Oben genannte Beispiele seien Einzelfälle; passiere etwas Derartiges, sollten Betroffene den Weg zum Arbeitsgericht gehen, riet er.

Und mit 2600 Euro brutto seien die Löhne für Verkäufer/innen zunächst einmal auch gar nicht schlecht. Freunde unter den gut 60 Teilnehmern machte er sich mit diesen Aussagen nicht. Bei diesem Gehalt drohe Altersarmut, bemerkte ein Zuhörer. Das wiederum, so Heistermann, sei Sache der Politik, die nachsteuern müsse.

Marc Heistermann (links) vom Handelsverband und WAZ-Redaktionsleiter Peter Szymaniak.
Marc Heistermann (links) vom Handelsverband und WAZ-Redaktionsleiter Peter Szymaniak. © Tamara Ramos

Zudem gehe es vielen Einzelhandelsunternehmen wirtschaftlich nicht gut. Der Online-Handel mache ihnen zu schaffen. Und ein Unternehmen könne nur das verteilen, was auch da sei.

Für Henrike Eickholt, Verdi-Chefin der Städte Oberhausen Mülheim und Essen, reicht diese Erklärung nicht. Sie bemängelt, dass lediglich noch 40 Prozent der Beschäftigten in Einzelhandelsbetrieben tarifgebunden seien, 2010 seien es noch mehr als 50 Prozent gewesen. „Ein Schritt in die falsche Richtung.“

Eine ungewisse Zukunft

Sieht es in der Industrie, die Oberhausen einst so prägte, besser aus? MAN-Betriebsratsvorsitzender Helmut Brodrick meint: Nein. Junge Menschen, die heute in der Industrie anfangen, glaubten nicht daran, in dem Job auch bis zur Rente zu bleiben. Das alte Traditionsunternehmen GHH Rand schließt noch in diesem Jahr, der US-Mutterkonzern mache das Werk dicht – trotz guter Rendite. Das Babcock Fertigungszentrum sei erst jüngst vor der Insolvenz gerettet worden, die Zukunft sei ungewiss. Von 13.000 Beschäftigten im produzierenden Gewerbe 1998 seien heute nur noch 7000 übrig.

Positiver schätzt dagegen Wirtschaftsförderer Rasmus Beck die Lage ein. Die Beschäftigung in Oberhausen habe zugenommen, auch in der Industrie seien Arbeitsplätze hinzugekommen. Wahrgenommen werde dies vielleicht nicht sofort, weil es sich oft um kleinere oder mittelständische Betriebe handele.

Zwischen 2012 und 2016 habe es nur die Stadt Dortmund geschafft, mehr Arbeitsplätze in Gewerbegebieten zu schaffen als Oberhausen. Das sei ein großer Erfolg für die Stadt. Vor fünf Jahren, als er seinen Dienst als oberster Wirtschaftsförderer des Ruhrgebietes angetreten hat, habe er das nicht für möglich gehalten.

Steueroasen in NRW

Am Ball bleiben müsse Oberhausen dennoch, sagte Oberbürgermeister Daniel Schranz und versprach, verbliebene Industrieunternehmen in der Stadt halten zu wollen. „Durch gute Rahmenbedingungen.“ So wie beim Betrieb Franken Apparatebau, der einen Sportplatz der Feuerwehr übernehmen konnte, um eine neue Halle zu bauen. Die Feuerwehr hat einen neuen Platz bekommen. Und GHH Radsatz in Sterkrade habe schnell eine Genehmigung für den Bau einer neuen Halle erhalten.

Verdi-Geschäftsführerin Henrike Eickholt und Rasmus Beck, Geschäftsführer der Business Metropole Ruhr.
Verdi-Geschäftsführerin Henrike Eickholt und Rasmus Beck, Geschäftsführer der Business Metropole Ruhr. © Tamara Ramos

Was vielen an diesem Abend unter den Nägeln brannte: die in ihren Augen wachsende Ungerechtigkeit und ein Missverhältnis zwischen reichen und ärmeren Kommunen. Es könne doch nicht sein, dass Städte wie Oberhausen gezwungen sind, an der Steuerschraube zu drehen, während andernorts nicht nur keine Kita-Gebühren anfallen, sondern Städte ihre ohnehin bevorzugten Bürger weiter steuerlich entlasten. „Wir halten die gute Infrastruktur in Oberhausen vor, aber die Stadt Monheim kassiert die Steuern“, sprach Helmut Brodrick das Unternehmen Oxea an, das ihren Firmensitz bekanntlich in die Stadt am Rhein verlegt hat. Konkurrenz zwischen Städten dürfe es nicht geben. „Wir müssen uns als Metropole verstehen“, sagte Brodrick – und bekam Applaus.

Mit einer konkreten Forderung wendete sich eine Zuschauerin ans Plenum: mehr Investitionen in die Bildung! Und ein Gast ergänzte: „Betriebe müssen mehr ausbilden!“ Es könne doch nicht sein, dass Unternehmen jahrelang nicht ausbilden und sich dann über den Fachkräftemangel wundern.

Gewerkschaft steht hinter Edeka-Ansiedlung

Auch die Ansiedlung des neuen Edeka-Zentrallagers auf dem Waldteichgelände in Sterkrade war Thema beim Stadtgespräch. Oberbürgermeister Daniel Schranz lobt die Investition des Unternehmens, das viele neue Jobs schaffen soll. Zu Recht? Bringt die Ansiedlung tatsächlich gute Arbeit nach Oberhausen?

Ja, meint sogar Gewerkschafterin Henrike Eickholt, die naturgemäß ein besonders strenges Auge auf Arbeitgeber wirft. „Ich kenne Arbeitsplätze, die viel schlechter sind.“ Edeka zahle seinen Mitarbeitern den tariflich vereinbarten Lohn. Der sei in der Logistik-Branche zwar schlechter als im Großhandel, aber ein Tarifvertrag habe immer den Vorteil, dass sich Arbeitnehmer auf ihren Lohn und Zusatzleistungen verlassen könnten.

© Tamara Ramos

Auch Schranz kennt die allgemeinen Vorbehalte gegen die Logistik-Branche, sie verbrauche stets viel Platz und liefere nur wenige Billigjobs. Dies sei bei Edeka aber nicht der Fall. Ihn habe überzeugt, dass der Lebensmittelkonzern dort ordentliche tarifgebundene Arbeitsplätze schafft. Klar sei immer gewesen: „Die Stadt gibt die Flächen nicht für leere Hallen ohne Menschen her.“ Edeka plane langfristig. Und dass es sich bei einem guten Teil der 1000 Arbeitsplätze nicht um hoch qualifizierte Jobs handelt, hält er auch nicht für problematisch, im Gegenteil: „Wir benötigen auch Arbeit für Menschen mit geringeren Qualifikationen.“ Edeka habe zudem die Option, den Betrieb auf dem Gelände zu erweitern, dann seien sogar bis zu 1500 neue Arbeitsplätze drin.

Arbeitssuchende gezielt schulen

Wirklich für Oberhausen? Das wollte ein Zuhörer wissen. Kommen nicht 400 Mitarbeiter aus Moers nach Oberhausen? Ja. „Aber auch über 600 neue Jobs freue ich mich wahnsinnig“, sagte der ebenfalls eingeladene Jürgen Koch, Geschäftsführer der Arbeitsagentur, beim Stadtgespräch. Und schob verblüffend ehrlich hinterher: Für 1000 Plätze fehlten ihm kurzfristig sogar ausreichend geeignete Kandidaten.

Gemeinsam mit seinen Experten der Arbeitsagentur habe er auch schon Gespräche mit den Personalverantwortlichen von Edeka geführt. Um zu klären, welche Ansprüche Edeka an die künftigen Mitarbeiter stellt – und ob die Arbeitsagentur ihre Kunden entsprechend gezielt schulen kann.