Oberhausen. . Eine Stunde währt die als szenische Lesung angekündigte, feine Performance. Nach coolem Start nimmt die Handlung eine Volte ins Unglaubhafte.
Literaten, die ihrem Publikum einfach den eigenen Text vortragen und vielleicht noch ein Glas Wasser vortrinken, dürften es immer schwerer haben. Selbst im anheimelnd-beschaulichen Literaturhaus an der Marktstraße 146 wird der Leseabend mehr und mehr zur ausgefeilten Performance. Das galt für Nina Georges hörspielreif gestaltete Lesung – es galt noch mehr für „Schwimmen wie ein Delfin oder Bowies Butler“.
Exakt eine Stunde währte der als „szenische Lesung“ angekündigte Vortrag, zu dem Anja Liedtke gleich zwei Mitstreiter mitgebracht hatte: Die Autorin las dialogisch im ausgefeilten Wechselspiel mit Frank Schorneck, dessen samtiger Bariton zu einem Romanhelden vom Kaliber David Bowies wie angegossen passte. Und die Gitarrenschläge von Ray Paradise eröffneten die Performance standesgemäß mit „Space Oddity“, der schräg-schwebenden Ballade vom Raumfahrer Major Tom – den Bowie selbst 1980 mit „Ashes to Ashes“ so grob abservieren sollte.
„Meine erste große Liebe brachte mir Bowie nahe“, erzählte Anja Liedtke. Da tändelte der Weltstar gerade mit „Let’s Dance“ sehr clever auf Disco-Pfaden. Die Autorin aber erzählte von der Faszination des Blickes aus einem blauen und einem graugrünen Auge – und wie der junge Londoner David Jones dies einer Schulhofschlägerei zu „verdanken“ hatte.
Im Krankenhaus zur Literatur gefunden
Während Wochen im Krankenhaus habe der später so belesene Musiker zu Literatur und zum Buddhismus gefunden – und erkannt: „Das Bewusstsein kann das Sein bestimmen.“ Ihr eigener Roman erzählt allerdings vom arrivierten Rockstar der Jahrtausendwende.
„Sein Gesicht war jung, doch Mitte 50, gepflegt, doch nicht geliftet.“ So liest sie von der ersten Begegnung zwischen Bowie und Alex, der eigentlichen Hauptfigur ihres Romans: Die ziellos durch Europa reisende junge Frau hatte ihren Wagen (ihre Wohnung) weit oberhalb des Genfer Sees an einer Alm abgestellt – auf dem Refugium des „Starman“.
„Mit diesen Augen auf kurze Distanz konfrontiert zu werden, schockierte sie.“ Beim Einstellungsgespräch auf der Bergwiese zeigt sich Liedtkes Dialog-Kunst (in Text wie im Vortrag) besonders schön: pointiert, cool, ungezwungen. Ray Paradise rahmte die Szenen mit „Moonage Daydream“ – und mit John Lennons „Don’t let me down“.
Meister der Verwandlung
Der eigentlichen Volte der Romanhandlung muss man allerdings folgen wollen – oder eben nicht: Alex, der weibliche Butler, überredet ihren Boss, sich die dystopische Düsterwelt seines Albums „Diamond Dogs“ noch einmal vorzunehmen – und auf links zu drehen: „von den missgestalteten Mutanten zu neuer Menschlichkeit“.
„Du hast Biss, meine Liebe.“ Der Meister aller Verwandlungen krempelt seine Songs um zu einer Öko-Parabel – und Alex verwandelt ihr Äußeres in den Look des jungen „Ziggy Stardust“: „Er strahlte sie an, begeistert über den jungen Doppelgänger.“
Zum Schluss musste Anja Liedtke dann Gastgeber Rainer Piecha bremsen: „Du willst doch nicht das Ende verraten?“
>>> Zum Jahresausklang ein heiterer Kafka-Roman
„Schwimmen wie ein Delfin oder Bowies Butler“ von Anja Liedtke publiziert der Oberhausener Asso-Verlag in seiner Reihe „Assoline B1“. Das Taschenbuch kostet 12,90 Euro, erhältlich im Buchhandel oder online über assoverlag.de.
Als letzten Gast des Jahres im Literaturhaus kündigt der Verein für Donnerstag, 20. Dezember, um 19 Uhr Michael Kumpfmüller an: In seinem Kafka-Roman „Die Herrlichkeit des Lebens“ wirft er ein helles, fast heiteres Licht auf den berühmten Dichter. Der Eintritt kostet 12 Euro, ermäßigt 6 Euro, online literaturhaus-oberhausen.de