Oberhausen. . Interview mit Experten von „Demokratie leben!“ und „NRWeltoffen“: Anke Hoffstadt und Dirk Paasch entschlüsseln rechte Verführungsmuster.

Ein Jahr nach der Bundestagswahl sagt eine neue Studie der Bertelsmann-Stiftung und des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung: Populistische Einstellungen nehmen deutschlandweit zu – vor allem in der politischen Mitte. Wir sprachen mit Dr. Anke Hoffstadt und Dirk Paasch von den Oberhausener Koordinierungs- und Fachstellen „Demokratie leben!“ und „NRWeltoffen“ über die Zunahme rechtspopulistischer Tendenzen auch in unserer Stadt.

Die Ergebnisse der Bundestagswahl 2017 brachte für die SPD in Oberhausen ein historisches Ergebnis. Die Sozialdemokraten kamen nur auf 33,4 Prozent. Die CDU erhielt 26,0 Prozent, Die Grünen landeten bei 5,2 Prozent, Die Linke bei 8,3 Prozent, die FDP verbesserte sich auf 9,5 Prozent. Gewinner war die AfD mit 13,1 Prozent. Wie erklären Sie sich diesen Zulauf?

Anke Hoffstadt: Um das verstehen zu können, sollten wir uns ansehen, wie Rechtspopulismus funktioniert. Die Mechanismen sind einfach: Es geht um Ausgrenzung auf vertikaler und horizontaler Ebene. Und darum, eine angeblich gemeinsame Identität zu schaffen.

Können Sie dafür Beispiele nennen?

Anke Hoffstadt: Die bekannteste vertikale Ausgrenzung ist wohl die Hetze gegen politische Eliten. Dabei geht es um eine radikale Ablehnung gegenüber „denen da oben“, gegen die, die „uns nicht richtig regieren“. Vertikale Ausgrenzung findet aber auch nach unten statt und richtet sich gegen sozial Schwächere. Dieses Ausgrenzungssystem wendet sich gegen alle Menschen, die Sozialleistungen beziehen – auch gegen Menschen mit Behinderungen oder Alleinerziehende. Ihnen wird vorgeworfen, sich in der sozialen Hängematte auf die faule Haut zu legen. Dabei entsprechen solche diskriminierenden Verallgemeinerungen weder der Realität noch sind sie hilfreich für ein solidarisches Miteinander. Nicht zuletzt spielen Rechtspopulisten Menschen gegeneinander aus. Etwa, wenn sie in horizontaler Ausgrenzung gegen alle polemisieren, die für sie „nicht hierher gehören“. In ihrem Sprachgebrauch: gegen „Ausländer“ und „Flüchtlinge“.

Sie sagten gerade, die „uns“ nicht richtig regieren? Wer ist denn mit uns gemeint?

Anke Hoffstadt: Dieses „uns“ suggeriert eine gemeinsame Identität aller Deutschen. Auf rechten Demonstrationen taucht etwa der Spruch „Wir sind das Volk“ immer wieder auf. Eine Sichtweise, die ignoriert, dass es das Volk an sich gar nicht gibt. Auch die Menschen in Deutschland sind und waren immer vielfältig, aber das wird von Rechtspopulisten geleugnet.

Wer ist für solche Botschaften empfänglich?

Dirk Paasch: Rechtspopulisten setzen auf Abstiegsängste. So sind es vor allem also Menschen aus der Mittelschicht, die sich angesprochen fühlen sollen. Menschen, die Angst davor haben, irgendwann Hartz IV zu beziehen und durch das soziale Raster zu fallen. Wer sich mit dem Rücken zur Wand sieht, ist für rechtspopulistische Verheißungen offener – auch wenn völlig klar ist, dass Rechtspopulisten keine konkreten sozialpolitischen Lösungen haben.

Sind die Folgen der Agenda 2010 wie etwa die Einschnitte ins Sozialsystem eine Ursache für Rechtspopulismus?

Dirk Paasch: Auch. Dieses Konzept hat für viele Menschen zu einer tiefgreifenden sozialen Verunsicherung geführt. Hier können Politik-Angebote, die die Neiddebatte schüren, natürlich andocken. Da kommt Migration als großes Thema seit 2015 sehr gelegen, wenn Rechtspopulisten soziale Ungleichheit strategisch ausnutzen wollen. Es sind schnell Feindbilder geschaffen mit Slogans wie „Die Flüchtlinge sind Schuld, dass es uns mies geht“.

Auch wenn das natürlich faktisch falsch ist, holen solche Parolen Menschen ab, die sich politisch nicht vertreten fühlen. Nicht umsonst verzeichnete die AfD in Stadtteilen wie Osterfeld, Alstaden, Lirich und Mitte die stärksten Zuläufe. Mit diesem Wissen halten die demokratischen Parteien aber zeitgleich das beste Mittel in der Hand, um rechtspopulistischen Parteien das Wasser abzugraben.

Und was wäre dieses beste Mittel, um Rechtspopulisten das Wasser abzugraben?

Dirk Paasch: Eine gerechtere Sozialpolitik. Bezogen auf Oberhausen hieße das zum Beispiel für Osterfeld vor allem noch mehr sozialen Wohnungsbau. Wir haben in diesem Stadtteil eine große migrantische Community. Ein stärker lenkendes Quartiersmanagement könnte dazu beitragen, dass Nachbarschaft vielfältiger wird. Die Stadt hat das erkannt und steckt bereits viel Geld und Engagement in ihre Quartiersarbeit.

Reicht eine gerechte Sozialpolitik aus?

Anke Hoffstadt: Sie ist der Kernpunkt. Wichtig ist aber auch, dass die Bürger merken, dass sie in ihrer Stadt ernst genommen werden und dass sie etwas bewegen können. Wenn sie anregen, die Innenstadt mit Begegnungsorten zu beleben, sollte sowas gehört werden. Eine sanierte Straße, Spielplätze, die neu gestaltet werden, Treffpunkte für Jung und Alt, die erhalten bleiben – wer erlebt, dass seine Meinung etwas bewirkt, ist eher bereit, demokratische Strukturen zu schützen.

Und was halten Sie von den rechtspopulistischen Tönen, die inzwischen auch aus so manch etablierter Partei zu hören sind?

Dirk Paasch: Wer sich für rechtspopulistische Positionen entscheidet, sollte sich bewusst sein, dass er die demokratischen Grundsätze unserer Gesellschaft in Frage stellt. Das kann nach hinten losgehen.

>>> Kommunales Handlungskonzept gegen Rechts

Mit Mitteln des Landes und der Stadt konnte 2017 mit der Arbeit am Projekt „NRWeltoffen“ begonnen werden. Ziel ist es, auch in Oberhausen ein kommunales Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus und Rassismus zu entwickeln.

Koordiniert wird „NRWeltoffen Oberhausen“ von Historikerin Anke Hoffstadt und Clemens Heinrichs (Leiter der Gedenkhalle). Dirk Paasch von „Demokratie leben!“ unterstützt gemeinsame Projekte.

Die Stadt Oberhausen wurde im Juni 2015 in das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ im Bereich lokale Partnerschaft für Demokratie aufgenommen. Durch das Bundesprogramm werden in ganz Deutschland Städte, Landkreise und kommunale Zusammenschlüsse unterstützt, „Partnerschaften für Demokratie“ aufzubauen.