Oberhausen. . Sogar eingespielte Musik gibt’s zum zweistündigen Vortrag im Literaturhaus. „Die Schönheit der Nacht“ fesselt überwiegend weibliches Publikum.
Im Literaturhaus herrscht an diesem Freitagabend eine fast familiäre Atmosphäre. Die Gäste sitzen in dichten Stuhlreihen oder in Gruppen zusammen, unterhalten sich rege. Bevor es losgeht, bevor die Schriftstellerin Nina George ihren Vortrag beginnt, versorgen sie sich mit einem Glas Wein oder Leckereien. Dann begrüßt Hartmut Kowsky-Kawelke die über 50 Besucher und gibt dem Gast aus Berlin das Wort.
Nina George hat an einem Tisch direkt hinter dem Schaufenster des ehemaligen Ladenlokals an der Marktstraße 146 Platz genommen. Blonder Wuschelkopf, rot umrandete Hornbrille, die Tischlampe auf das Manuskript gerichtet. Sie trägt ein dunkelblaues ärmelloses Kleid zur blau-weiß gestreiften Bluse.
Die Bretagne als zweite Heimat
Ihr Publikum ist überwiegend weiblich, aus der Oberhausener Mittelschicht mit Sinn für das Feinsinnige. George stellt sich kurz vor, sagt, dass sie 45 Jahre alt ist und seit ihrem 18. Lebensjahr schreibt, dass ihr die Bretagne, Frankreichs westlichster Winkel, neben Berlin zur zweiten Heimat geworden ist. Sie bezeichnet sich als Feministin und sagt, dass die weibliche Selbstfindung und die Wege, die dorthin führen, ihr großes Thema ist.
Und dann weiß man zum ersten Mal an diesem Abend einen Moment lang nicht, ob sie noch immer bei sich ist oder schon bei Claire, der etwa gleich alten Hauptfigur in ihrem jüngsten, im Frühjahr publizierten Roman „Die Schönheit der Nacht“.
Denn was ihren von einer Pause unterbrochenen, zweistündigen Vortrag für die Zuhörer so fesselnd macht, ist, dass, wer sich nur auf ihre dunkle Stimme konzentriert, glauben könnte, einem gut gemachten Hörspiel zu lauschen. Wo Nachdenklichkeit angesagt ist, wird sogar leise Musik eingespielt.
Perfekt wechselt die Rezitatorin mit leicht abgewandelter Stimme zu den verschiedenen Figuren, steigt immer wieder als Sprecherin ein, trägt mit einer Akzentuierung vor, als sei das ihr eigentliches Tagewerk.
Sie erzählt von einer erfolgreichen, zwar als distanziert geltenden Pariser Hochschullehrerin, die aber alles zu haben scheint, was zur modernen Frau von heute gehört: beruflicher Erfolg, also gutes Auskommen, dazu Familie und die Fähigkeit, über sich reflektieren zu können.
Für eine Stunde ins Hotelzimmer
Nach ihrer letzten Vorlesung vor der Sommerpause aber überkommt sie mal wieder das Bedürfnis, all das für kurze Zeit abzulegen und etwas anderes zu sein und nur das: sexuell begehrte Frau. Aus einem Café schleppt sie einen attraktiven Mann für eine Stunde ins Hotelzimmer ab. Die beiden sehen sich anschließend nie wieder.
Auf dem Weg vom Hotel zurück in den Alltag kommt es zu einer Begegnung mit einer anderen Frau, mit einem Zimmermädchen. Claire überrascht sie heimlich beim Singen, und das Mädchen seinerseits weiß, weshalb die vornehme Dame sich hier im Hotel aufgehalten hat.
Wenige Stunden später stellt ihr erwachsener Sohn ihr und ihrem Mann dieses Zimmermädchen als seine große Liebe vor. Julie heißt sie und ist so ganz anders als Claire, behält ihre Talente lieber für sich.
Wie sich die Beziehung dieser beiden so verschiedenen Frauen entwickelt, darin bringt Nina George mit ihrer Erzählung vom gemeinsamen Sommerurlaub beider Paare in der Bretagne Licht. Männer spielen dabei eine Nebenrolle. Es geht um Angst und Verlogenheit, um weibliche Geheimnisse und Sehnsüchte.
Beeindruckt von One-Woman-Show
Wie die Geschichte am Ende ausgeht, das sollen die Zuhörer selbst nachlesen. Einige von ihnen wappnen sich schon während der Pause mit Georges Büchern. Zu einer Diskussion über ihre Rolle als Schriftstellerin kommt es nachher nicht. Sie steht aber zu Einzelgesprächen zur Verfügung.
Viele Besucher drängt es nach Hause, einige zum Rauchen nach draußen. Andere tauschen sich über das Gehörte aus. „Eine One-Woman-Show. Von allen Lesungen die Beste, die ich bisher hier erlebt habe“, sagt ein Mann zu seinen Gesprächspartnerinnen. Sie widersprechen nicht.
>>>Info: Engagiert im PEN-Zentrum
Nina George veröffentlicht auch unter ihrem Ehenamen Nina Kramer sowie unter den Pseudonymen Anne West und Jean Bagnol. Seit 25 Jahren lebt sie vom Schreiben, mit wachsendem Erfolg. Anfangs waren es Sachbücher über Sex und Erotik mit Titeln wie „Warum Männer so schnell kommen und Frauen nur so tun als ob“ (2003) oder „Sex für Könner“ (2009).
Zu einer der meistgelesenen Autorinnen aus Deutschland brachte sie es aber mit Romanen wie „Die Mondspielerin“ (2010) und „Das Lavendelzimmer“ (2013). Seit einigen Jahren schreibt sie auch Kriminalromane. Seit 2015 engagiert sie sich auch in der Schriftsteller-Vereinigung PEN-Zentrum Deutschland, seit 2017 auch im Verband deutscher Schriftsteller.