Oberhausen. . „Die Geste“ heißt die Jubiläums-Ausstellung der Ludwiggalerie. Bis 13. Januar zeigt sie aus allen Epochen Zeichen der „stummen Dichtung“.

Den ersten Schrecken muss man verdauen: Wolfgang Mattheuers Vor-Wende-Skulptur „Jahrhundertschritt“ ist weniger „Die Geste“ – so der Titel der Jubiläumsausstellung in der Ludwiggalerie – als vielmehr wuchtiger Marschtritt: einen nackten Fuß weit vorgestreckt, das andere Bein in Uniformhose und Schaftstiefeln, der linke Arm reckt die Arbeiterfaust, der rechte streckt überlang den Hitlergruß.

Doch eigentlich gibt die Wucht-Bronze im Schlossentree einen falschen Eindruck von dieser großteils aparten Ausstellung, die eben weit mehr ist als eine Bestandsaufnahme zum 20. dieser gelungenen Kombination von städtischer Kunsthalle und dem gewaltigen Fundus der Sammlung Peter und Irene Ludwig.

Da Vinci nannte die Malerei die „stumme Dichtung“

Überzeugend vermittelt „Die Geste“ unseren kulturellen Schatz an wortloser Sprache – und Sprachlosigkeit, wo Ikonographien ferner Jahrhunderte und Kontinente für uns Heutige einen Übersetzer bräuchten. Der „stummen Dichtung“, wie Leonardo da Vinci die Malerei genannt hat, und ihrer einst sprechenden Details steht man heute allzu oft als funktionaler Analphabet gegenüber.

© Ludwiggalerie

Ist es gestische Verarmung, die Myriam Thyes’ fünfminütiges Video „Smart Pantheon“ so bildschön elegisch betrauert? Tippende Hände lässt sie ineinander gleiten: als Bilder im Smartphone – und als stets neues Bild im Bild. An der Wand gegenüber zeigt Anne Bernings über zwei Meter hohes Buchrücken-Relief „Art Books“ die coole Raucherpose des dandyhaften Max Beckmann – und einige Holzbände weiter die blutenden Füße und Hände des Gekreuzigten in brutaler Untersicht. Und das sind nur die monumentalsten Blickfänge im Entree.

Exponate aller Epochen und Kontinente

„Begegnungen“ sind für Christine Vogt, die Direktorin der Ludwiggalerie, das erklärte Prinzip dieser Ausstellung, die munter Exponate aller Epochen und Kontinente in Dialog bringt. Eine „Anbetung“ des Kindes in der Krippe, die sonst neben anderen Renaissance-Meistern hängen würde, reiht sich hier neben Flachbildschirm und Roy Lichtensteins plakativen Fingerzeig – von dem man wissen sollte, dass er den „We want you“-Uncle Sam des Ersten Weltkriegs zitiert.

Derartige „Begegnungen“ können konfliktreich sein oder missverständlich – vor allem sind sie anregend: So zitiert Walter Dohmens Kupferstich ein Selbstporträt des jungen Albrecht Dürer: die einander berührenden, „argumentierenden“ Finger. Ganz ähnlich wirkt die im Buddhismus als „Rad der Weisheit“ bekannte Geste, zu sehen bei einer daneben postierten Statuette.

Galante Gesten:
Galante Gesten: © Ludwiggalerie

Das Barock wollte in Malerei und Plastik mit Gesten unmittelbar an die Seele rühren. „Mehr Dramatik geht nicht“, sagt Christine Vogt beim ersten Rundgang – und hat als Kuratorin doch auch weit jüngere „barocke“ Werke gefunden. Die Madonna des Chilenen Claudio Bravo, eine Leihgabe aus St. Petersburg, vereinte 1980 in fotorealistischer Manier verhaltene Posen und höchste Dramatik. Das Gemälde hängt in jenem Saal, der mit „Gesten der Liebe“ und „Gesten der Trauer“ nicht nur die heftigsten Kontraste inszeniert, sondern auch Werke zeigt, vor denen man unbedingt verweilen sollte.

Gesten wirken auch in der Abstraktion

Und sei es die Gruppensex-Szene auf einem altperuanischen Tongefäß. Auch sie bedarf einer „Übersetzung“, bedarf des Wissens, dass ein öffentliches Liebesritual auch als Gottesdienst verstanden wurde. Die kleine, aber kraftvolle Reihe „Gestischer Malerei“ von Ernst Wilhelm Nay bis zu Emil Schumacher zeigt eine Etage tiefer: „Geste“ kann selbst in der Abstraktion wirken.

Nur Gottfried Helnweins huldigender Stifterporträts von Peter und Irene Ludwig hätte es in dieser inspirierend bestückten Ausstellung nicht bedurft: Sie zeigen Glätte und Blicke – aber wo wäre die Geste?

>>> Mit Werken von Ellen Auerbach bis Hanefi Yeter

Die Ausstellung „Die Geste“ eröffnet am Samstag, 22. September, um 19 Uhr. Sie bleibt bis zum 13. Januar 2019 in der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen.

Der Eintritt kostet 8 Euro, ermäßigt 4 Euro, für Familien 12 Euro. Parallel zeigt die Panoramagalerie „Stoffwechsel – die Ruhrchemie in der Fotografie“. Dort ist der Eintritt frei.

Der 250-seitige Katalog „Die Geste“, erschienen im Kerber Verlag, kostet 39,80 Euro, mit Essays von vier Autorinnen neben den großformatigen Abbildungen.