Oberhausen. . Rüdiger Schürken arbeitete 30 Jahre bei der Grubenwehr und riskierte im Notfall sein Leben. Für „Mehr als Kohle“ erzählt er seine Geschichte.
Leicht bekleidet steigt er in das enge Rohr. Auf den Ellenbogen und Knien kommt Rüdiger Schürken dabei nur langsam voran. Das Hemd ist durchnässt, unter dem Helm läuft der Schweiß vorbei an seiner Maske. Zentimeter für Zentimeter arbeitet sich der Bergmann so vorwärts, immer weiter rein in den Backofen – die Gluthitze unter Tage ist hier kaum zu ertragen, aber es hilft nichts: Er muss zu Schleuse!
Diese Geschichte gibt's hier als Multimedia-Reportage
Als Schürken die schwere Tür endlich aufgedrückt hat, steht er im absoluten Schwarz. Seine Ohren sind wie mit Watte ausgestopft, kein Geräusch ist zu hören; nur sein Herz schlägt ihm bis zum Hals. Dann, nach unendlich langen Minuten, kriecht sein Grubenwehr-Kumpel aus dem heißen Loch. Die Werte im Schacht sind zwar nicht in Ordnung, „aber direkte Gefahr bestand damals nicht“, sagt Rüdiger Schürken heute. „Doch diesen Tag werde ich nie vergessen.“
Bereut hat der 71-Jährige Oberhausener seine Zeit unter Tage nie. Zeche Sterkrade, Jacobi, Osterfeld und zum Ende hin Lohberg: 36 Jahre Bergmann, davon 30 bei der Grubenwehr – Bergbau ist bei Familie Schürken Teil des Erbguts. Schon Vater, Großvater und Urgroßvater sind auf dem Pütt. „Und ich war auch immer der Schmutzigste im Sandkasten“, erklärt der Rentner und lehnt sich entspannt auf seinem Sofa zurück, bevor er herzlich lacht.
Die Barbara wacht über’m Fernseher
Das kleine Haus in Klosterhardt hat er mit seinen eigenen Händen gebaut. Im dunklen Wohnzimmer mit der Massivholzanbauwand zeugen noch jede Menge Grubenlampen, eigene und gekaufte davon, was diese Familie seit Generationen ausmacht. Über’m Fernseher wacht stilecht Barbara, die Schutzpatronin der Bergleute, hier aus Holz.
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„Wirklich große Katastrophen sind mir Gott sei Dank erspart geblieben“, sagt Rüdiger Schürken. Doch im Notfall war es eben kein Aberglaube, der Hilfe leistete, sondern Menschen wie er, die den Kumpeln bis heute helfen.
Denn eine Grubenwehr hat jede Zeche, egal wo. Und wer bei der Grubenwehr ist, bei dem lag zumindest damals immer ein Piepser auf dem Tisch. Und wer wie Schürken auch noch Truppführer war, hat zusätzlich die Verantwortung für seine fünf Mann starke Truppe – neben der Verantwortung, die er sowieso für jeden Bergmann, der in Schwierigkeiten steckt, hat. Regelmäßige Fitnesstests, Übungen mit Kreislaufgeräten und simulierte Brände sind deshalb Pflicht. Eine Sonderstellung im Betrieb gibt es dafür zwar nicht, „aber für unseren Werkschef waren wir schon so etwas wie eine Eliteeinheit, auf die er stolz war.“
Schürkens Weg führt ihn nach seiner Lehre 1961 in Sterkrade übers Fachabi nach Bochum, wo er sechs Semester Bergbau studiert. Er findet sich damit ab, dass Bergmann damals kein Traumjob ist. „Für mich war immer klar – datt will ich machen! Aber wenn ich das anderen erzählt hab, kam oft nur ,Oh, Gott!’ zurück.“
Später wird er auf Zeche Osterfeld Steiger
Auf der Zeche Osterfeld wird er später Steiger, jedoch sorgen die Schichtzeiten dafür, dass er sich immer mehr von seiner Familie entfremdet. „Da war keine Zeit fürs Kino oder Theater oder die Kinder. Und viele Leute haben mich dann auch gefragt, ob ich wirklich dafür studiert habe.“
Als die Zeche neue Leute für die Grubenwehr sucht, meldet sich Schürken. Fortan ist er nur einen halben Tag unter der Erde und nachmittags zu Hause. Den Zusammenhalt der Kumpel untereinander, das Gemeinschaftgefühl lernt er aber schon in der Jugend kennen. „Alles hängt an einem Seil“, habe ihm sein Lehrer in der Ausbildung bereits mitgegeben.
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Unter Tage sei dazu stets Kreativität und Improvisation gefragt gewesen. „Wenn du einfährst, musst du halt oft erstmal friemeln, damit irgendwas wieder funktioniert“, erinnert sich Schürken. Aber die Bereitschaft bei Leerlauf etwas zurecht zu basteln, habe stetig nachgelassen. „Irgendwatt hat sich dann geändert.“
Abschied geht unter die Haut
Wenn er nochmal von vorne anfangen könnte, würde Rüdiger Schürken alles genauso machen. „Der lange Abschied der Kohle geht mir schon unter die Haut. Warum nicht eher?“, fragt der 71-Jährige. Schließlich gehe der Bergbau nun auf seinem „technologisch gesehenen“ Höhepunkt zu.
Der deutsche Bergbau sei der sicherste auf der ganzen Welt und das könne auch gut verkauft werden – nach China, Australien und in andere Länder, wo weiterhin abgebaut wird. „Da man die Technik aber bald gar nicht mehr im Betrieb zeigen kann, ist das leider nicht möglich.“