Oberhausen. . Heimarbeit und Mitbestimmung halten zunehmend Einzug in Oberhausener Firmen. Behörden ziehen mit. Manch ein Betrieb hält sich außen vor.
Die 42-jährige Oberhausenerin Janine Wolf ist ein typisches Beispiel dafür, wie sehr neue Techniken den Arbeitsalltag von Arbeitnehmern revolutionieren: 2005 fuhr die Verkaufsleiterin eines Hotels für Verkaufsgespräche noch zu Kunden, mittlerweile erledigt sie einen Großteil ihrer Arbeit von zu Hause aus über den Laptop.
In der jüngsten Zeit kommt kaum eine Polit-Talkshow, Zukunftsprognose oder ein Wahlkampf ohne dieses Schlagwort aus: Digitalisierung. Dieser Megatrend eines tiefgreifenden gesellschaftliche Wandlungsprozesses bringt eine enorme Flexibilisierung mit sich – und verändert dramatisch, wie Menschen arbeiten. Von wo oder um wie viel Uhr man arbeitet, wird in vielen Branchen im Prinzip egal. Arbeitnehmer erhalten größere örtliche und zeitliche Flexibilität denn je – und mehr Mitgestaltungsrechte und -pflichten.
Bedürfnisse treiben Entwicklung voran
Getrieben ist diese Entwicklung nicht nur von der Technik allein, sondern von den Bedürfnissen der Menschen selbst: Dass Kunden bereits jetzt rund um die Uhr im Internet Bankgeschäfte und Einkäufe erledigen sowie Urlaube buchen – das ist bequem. Dies verlangt aber auch funktionierende Dienstleistungen Tag und Nacht. Die notwendige Flexibilität lässt Freizeit- und Berufswelt verschwimmen – und schürt Ängste: Nicht wenige befürchten zu Recht, für den Arbeitgeber künftig ständig erreichbar sein zu müssen. Andere sorgen sich, mit der zunehmend verdichteten Arbeit nicht mehr mithalten zu können – oder wegrationalisiert zu werden.
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Bisher jedoch bleibt das Thema Digitalisierung seltsam unkonkret. Wir haben deshalb vor Ort in Oberhausen nach praktischen Beispielen gesucht. Wie verändern sich Arbeitsbedingungen für Beschäftigte? Welche Arbeitszeitmodelle kommen zum Einsatz? Ist Heimarbeit eine Mehrarbeitsfalle? Müssen Beschäftigte vieles ganz neu lernen?
Kritische Fragen zur Belastung
So haben wir Unternehmen aus der Kreativbranche begleitet, weil dieser Wirtschaftszweig neue Trends oft aufsaugt, häufig schneller als andere. Die Werbeagentur Move Elevator etwa denkt Zusammenarbeit und Hierarchie ganz neu. Andere dagegen sind zurückhaltender: Das Ausmaß der Flexibilität ist auch eine Frage der Unternehmenskultur.
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Wir haben Arbeitnehmer und Arbeitgeber in Oberhausen beobachtet, ihnen kritische Fragen zur Belastung und Zufriedenheit im Beruf gestellt. Wir zeigen, wie sich Unternehmensgründer auf die neue Lage einstellen, welche Tipps ein erfahrener Business-Coach hat, wie moderne Arbeitsplätze gestaltet sein müssen – und welche Zweifel oberste Gewerkschaftsfunktionäre haben.
Neue Serie startet
Gesprochen haben wir auch mit einem Pionier des digitalen Lernens in Oberhausen darüber, wie man Belegschaften auf einen solch tiefgreifenden Wandel vorbereiten kann. Außerdem befragten wir Lehrer dazu, wie Schulen Kinder für die neue Arbeitswelt trainieren.
Unsere Ergebnisse präsentieren wir in den nächsten Wochen in dieser achtteiligen Serie.
Verdi-Chefin: „Arbeitnehmer können sich schnell überarbeiten“
Die Oberhausener Verdi-Chefin Henrike Eickholt ist besorgt über die Lage der Heimarbeiter. Ein Interview:
Was verändert Digitalisierung für Angestellte?
Henrike Eickholt: In allen Branchen ist durch Digitalisierung vieles im Umbruch. Alles wird jetzt auf Effektivität getrimmt. Bei Banken, Versicherungen, an jedem Büroarbeitsplatz hat die Intensität, die Schnelligkeit zugenommen. Gleichzeitig fehlt vielerorts Personal. Im Einzelhandel sind Menschen beispielsweise für fünf Abteilungen zuständig und werden dann noch am Umsatz gemessen. Diese Signale gibt es überall – von der Stadt bis zum Unternehmen.
Was halten Sie aus Gewerkschaftssicht von Heimarbeit?
Zunächst gibt es Berufsgruppen, für die Heimarbeit überhaupt nicht in Frage kommt. Menschen, die im Einzelhandel oder bei der Stoag als Busfahrer arbeiten, können ihre Tätigkeiten nicht von zu Hause erledigen. Wer Heimarbeit macht, dem fällt es oft viel schwerer, zwischen Beruf und Privatem zu trennen, ein gesundes Mittelmaß zu finden. Es passiert leicht, dass Menschen sich dann überarbeiten. Als Gewerkschaft ist für uns zentral : Wie wird Arbeit erfasst? Wie sieht der Arbeits- und Gesundheitsschutz zu Hause aus? Das Recht auf Nichterreichbarkeit ist für uns ebenfalls ein Thema. Der Wunsch von Mitarbeitern ist groß, dass Arbeit mit dem Privatleben vereinbar bleibt oder wird.
Wie kommen Menschen, die flexibel arbeiten, mit Gewerkschaften zusammen?
Da erwarten wir Schwierigkeiten. Verdi fällt es bereits schwer, Sicherheitswachleute, die ständig verschiedene Objekte bewachen, oder auch Telekom-Techniker, die vielleicht ein Mal die Woche oder ein Mal im Monat im Büro sind, in Gewerkschaftsarbeit einzubinden. Ganz ähnlich wird es uns wohl mit Menschen, die flexibel arbeiten, ergehen.
Nehmen Sie wahr, dass Arbeitnehmer bei der Arbeit zunehmend mehr Mitgestaltungsrechte haben?
Dass Angestellte selbstbestimmt arbeiten, nehme ich nicht wahr. In Behörden beispielsweise sind viele Tätigkeiten genau vorgeschrieben. Da gibt es oft wenig Spielraum für eigene Ideen. Letztlich ist entscheidend: Wie arbeiten Menschen zusammen, haben sie einen guten Zusammenhalt in der Belegschaft, einen guten Draht zu Vorgesetzten? Das sind die Themen, die Menschen bewegen.