Oberhausen. Vanessa und Ralf Reich machen ihre Verbundenheit mit Partner-Tattoos sichtbar. Im eigenen Studio „Amazon“ lassen auch Freunde Gefühle verewigen.
„Jaaa, es tut weh!“ Das steht draußen an der Scheibe vom Tattoo-Studio „Amazon“ in der Saarstraße. Ganz schön abschreckend. Drinnen: das komplette Gegenprogramm. Wer coole Überheblichkeit und kalte Instrumente erwartet, wird von einer familiären Atmosphäre überrascht. An einem solchen Ort würde wohl niemand mit so viel Liebe rechnen.
Der kleine Johann, goldblond und zuckersüß, tollt mit einem Ball umher; hinterm Tresen begrüßt gut gelaunt Ralf Reich, muskulös und scheinbar ganzkörpertätowiert seine Gäste. „Alle machen auf hart in der Szene“, sagt er, „aber es kann auch mal anders sein.“
Vor 13 Jahren getroffen
Der 48-Jährige hat schon einiges erlebt. Sein Geschäft läuft, er wird geachtet. Da hat er es nicht nötig, den starken Mann zu markieren. Er kann einfach zu seinen zärtlichen Gefühlen für Ehefrau Vanessa stehen — und sein Kind anstrahlen, wie es nur ein begeisterter Papa tun kann. Völlig klar, dass diese Emotionen auch mit der Kunst der Tätowierung ihren Ausdruck finden müssen.
Ihre erste Begegnung fand 2005 noch in einer anderen Welt statt. Er, gebürtiger Leverkusener, sie Kölnerin, sind im Nachtleben der Domstadt unterwegs. Ralf Reich ist als studierter Sozial-Pädagoge in seinem Job als Einlasser in Diskotheken ein Kuriosum. „Das ist der Türsteher, der immer diskutiert, bevor er einem die Nase bricht“, zitiert er einen lustigen Spruch, der damals die Runde macht.
Vanessa ist blutjunge 19 und hat gerade ihre Karriere als Tänzerin begonnen. Beide sind vergeben. Es bleibt bei einer Freundschaft. Sieben Jahre werden vergehen, bis sie sich ineinander verlieben. Beide sind jetzt wieder Singles, Reich hat als Profi-Boxer in Thailand gelebt, mit seiner Ex-Frau das Tattoo-Studio Amazon eröffnet.
Als die beiden 2015 heiraten, ist Johann schon unterwegs. „Er ist intelligent und hat ein großes, gutes Herz“, schwärmt Vanessa Reich von ihrem Mann. „Sie gibt mir richtig Feuer“, erwidert er lachend. „Ich brauche mein Kontra.“ Inzwischen wohnen sie am Stadtrand von Duisburg, führen ein beschauliches Leben.
Man könnte auch spießig sagen – wenn da nicht die große Leidenschaft für die kunterbunte Körperbemalung wäre. Als sie Ralf kennenlernte, war Vanessa noch komplett Tattoo-frei. Kurz darauf lässt sie sich das erste stechen: Clay, der Name ihres Hundes. Inzwischen sind noch mehrere dazugekommen. Wenn Johann demnächst in den Kindergarten geht, will sie sich sogar zur Tätowiererin ausbilden lassen. Dann hätte sie ihrem Mann etwas voraus: Er pierct selbst nur, überlässt das Stechen seinem fachkundigen Team.
Eine ernste Sache
Für beide ist das Tätowieren eine ernste Sache, beinahe heilig. Was ihren Körper schmücken darf, wird mit Bedacht gewählt. Dass manche sich aus einer Laune heraus verunstalten lassen, am besten noch von einem Kumpel schief und krumm geritzt, oder nur, um einem Star nachzueifern, können sie nicht verstehen.
Ihren Kunden müssen sie deshalb manchmal sogar ein allzu banales Bild ausreden. „Das ist Berufsethik“, sagt Ralf Reich. Er sei zwar kein Weltverbesserer, aber seitdem Tattoos gesellschaftsfähig geworden sind, kämen die Leute auf komische Ideen. „Tätowierungen sind heute oft qualitativ hochwertig, aber relativ sinnfrei.“ Das gelte auch für den Bereich der Partner-Tattoos. Häufigster Wunsch: das Unendlichkeits-Zeichen. „Wir nennen es Asi-Propeller“, sagt Reich. „Es gibt Originelleres.“ Beliebt seien auch geteilte Herzen (ein jeder lässt sich die Hälfte stechen), die Anfangsbuchstaben des Partners und Daten, die fürs Kennenlernen, Hochzeit oder Geburt stehen. Eine weitere Idee: Herzschlaglinien von Eltern und Kind.
Womit die beiden selbst ihre Liebe zur Schau tragen, das ist teils plakativ und teilweise versteckt und muss erst entziffert werden. Auf den Unterarmen von Vanessa Reich prangen unübersehbar die lebensechten Porträts von Mann und Sohn.
Die „Seed-Giver“ auf seinem und ihrem Zeigefinger sind subtiler. „Sie symbolisieren unsere Familie“, erklärt Ralf Reich das aus Samoa stammende Motiv. Saat oder Samen bedeutet das englische Wort „seed“. Auf diese frei per Hand gestochenen Symbole eines Meisters aus Polynesien sind sie besonders stolz. In dem Inselstaat haben Tattoos eine spirituelle Bedeutung, „jede einzelne Linie“, sagt Ralf Reich, der sich damit beschäftigt hat. „Früher musste man erst drei Tage mit einem Tätowierer zusammenleben, bevor er das Tattoo gemacht hat.“
Auch die Anfangsbuchstaben des jeweils anderen haben sie sich auf diese traditionelle Weise stechen lassen. Sie sind in Mandalas eingearbeitet, die im Buddhismus eine religiöse Bedeutung haben. Zum verschnörkelten „R“ und „V“ führt jeweils ein Umalum, Symbol für den verschlungenen Lebensweg Buddhas.
Ein Meister seines Fachs
Die Reichs wollen sich auch weiter den Körper verzieren lassen, vielleicht auch mit neuen Liebesbekenntnissen. Doch Ralf Reichs nächstes Tattoo wird ein Freundschaftsbeweis sein: Kumpel Markus und er besiegeln dreißig Jahre gemeinsamen Lebensweg mit zwei Gorilla-Köpfen.
Ein Meister seines Fachs, der demnächst wieder aus New York im Oberhausener Studio zu Gast sein wird, soll sie den Männern auf den Leib bringen. Die einzige Schwierigkeit besteht darin, ein freies Fleckchen Haut zu finden. Ralf Reich hat noch etwas am Oberschenkel frei, bei seinem Freund Markus ist es schwieriger: Es wird wohl der Allerwerteste werden.
>>>INFO: Mit dem Slogan „Härter als das Leben“
Auch wenn er aus Leverkusen im Rheinland stammt, fühlt Tattoostudio-Chef Ralf Reich sich mit dem Ruhrgebiet längst verbunden. Ausdruck findet das auch in seinem zweiten Standbein, dem Klamotten-Label Pottrocka. Mit dem Slogan „Härter als das Leben“ verkauft Reich per Internet online und in seinem Laden an der Saarstraße ausgefallene T-Shirts, Pullis, Taschen und Kopfbedeckungen. Er selbst nennt es „Working Class Couture“.