OBERHAUSEN. Mit Jules Verne tauchte das NN-Theater „20 000 Meilen unter dem Meer“. Kalauer und poetische Bildideen transportieren ein ökologisches Anliegen.
Früher als um 21 Uhr hätte die Vorstellung auf dem Altmarkt wohl nicht beginnen dürfen – sonst wäre den Hand voll Darstellern das Make-up zerflossen. Wer pünktlich kam, um sich für „20 000 Meilen unter dem Meer“ einen Platz auf den schmalen Bänken zu sichern, der konnte zusehen, wie sich das Ensemble des Kölner NN-Theaters mit Handspiegelchen auf den Stufen unter der Siegessäule schminkte: Ein fahler Look mit betonten Augenlidern, wie im expressionistischen deutschen Stummfilm.
Wunderschönes Schweben und Tauchen
Dabei versteht sich die Truppe als „Neues Volkstheater“: und so morbide-glamourös das Outfit, so handfest das Spiel, das weder Dialekt noch Kalauer scheute, aber bei allem Übermut nie gen Klamauk abdriftete. Dafür war diese Gang auf ihren „20 000 Meilen“ mit Kapitän Nemo – und einigen Häppchen aus Shakespeares Schwanengesang „Der Sturm“ – viel zu seefest.
Außerdem weiß Regisseur Thomas Köller, dass ein Gag-Bombardement es alleine nicht bringen würde. Für zwei Stunden Abenteuer nach Jules Verne braucht es auch überraschende Bilder, die mit jenen Erwartungen spielen, wie sie bei vielen noch der berühmte alte Disney-Film von 1954 nach gefühlt 20 000 TV-Wiederholungen wecken dürfte. Für das ganz große Auftrumpfen – wie sie die polnischen Ensembles bei den meisten der „Summer in the City“-Programme verbürgten – ist die NN-Truppe zwar zu klein. Aber sie zaubert Großes dank Michl Thorbeckes ungemein wandelbarem, zeltartigen Bühnenbild mit einem Auslegerkran, an dem sie wunderschön schweben und tauchen lässt.
Kein Ertrinken im Pointenschwall
Schließlich darf Shakespeares Luftgeist Ariel, hier sogar gedoppelt in männlicher und weiblicher Inkarnation, immer wieder am Haken die Flügel ausbreiten: Die Gag-Dialoge mit seiner Gebieterin Prospera überbrücken kalauernd die Szenenwechsel des sonst recht getreulich nacherzählten Verne-Abenteuers um den formidabel französelnden Professor Pierre Aronnax und den raubeinigen kanadischen Harpunier Ned Land, die beide auf der Suche nach einem Seeungeheuer über Bord gehen – und von Kapitän Nemos Unterseeboot „Nautilus“ geborgen werden.
Gemäß dem schönen Prospera-Spruch „Langeweile ist die halbe Schwester der Verzweiflung“ gerät selbst der Kampf gegen das Ertrinken zu einem Pointenschwall – bildhübsch illustriert mit Tüchern als wogenden Wellen. Fast wie in der Augsburger Puppenkiste.
Auch die von Aronnax bestaunte Unterwasserwelt ist eine entzückende Schau, für die es nicht einmal großen Ausstattungs-Aufwand braucht – und erst recht keinen Disneyschen Drang zur Niedlichkeit. Der Schwarm Zitronenfische erhält sogar spontanen Szenenapplaus – den allerdings auch der Schleiertanz der Medusen verdient hätte. Und der Gummiflossen-Hai flennt zur titanischen Schmacht-Melodie „My Heart will go on“.
Denn auch darum ging’s der famosen NN-Truppe beim swingenden Ballett der Trompetenfische und beim Klatschmarsch mit Tauchflossen: Ihre mutige Melange aus Jules Verne und Shakespeares verzauberter Insel transportierte ein ökologisches Anliegen: Miranda war hier nicht Prosperos verliebtes Töchterlein aus „Der Sturm“, sondern jene taffe Nemo jr., die dem französischen Schnösel klar machte, um welche wahren Schätze es ihr beim Blick durch die Bullaugen geht. Und diese Botschaft transportierte die Kölner Gang nicht mit Katastrophen-Szenarien, sondern mit schönstem Amusement.