Oberhausen. . Die City West galt früher als Oberhausener „Ghetto“. Soziale Probleme gibt es noch immer. Aber die Bewohner wollen sich nicht abstempeln lassen.
Als vor gut 40 Jahren die ersten Mieter ihre Wohnungen in der „City West“ bezogen, galt die Anlage an der Bebelstraße als Vorzeigeprojekt. Besonders bei Familien waren die Wohnungen heiß begehrt, die Interessenten standen Schlange. In der Anlage zu wohnen, galt als chic. Selbst Akademiker zogen ein und zahlten dafür einen extra Betrag an die Stadt. Denn die Anlage City West wurde damals auch mit Mitteln des sozialen Wohnungsbaus finanziert, Mieter mit hohem Gehalt brauchten eine offizielle Freistellung, um eine Wohnung zu mieten.
Dieses Bild hat sich gewandelt. Statt mit einer Wohnungs-Nachfrage, die das Angebot deutlich übersteigt, kämpft der „Wohnpark Bebelstraße“, wie er mittlerweile heißt, heute gegen das schlechte Image.
Eigentümer wechselten oft
Seit Mitte der 80er Jahre galten Hochhäuser gar nicht mehr als chic. Wer es sich leisten konnte, verließ die City West wieder. Das setzte auch die Vermieter unter Druck, die Eigentümer wechselten ständig. Nötige Sanierungen und Modernisierungen blieben dadurch auf der Strecke, der bauliche Zustand der Wohnungen verschlechterte sich zusehends. Lange Zeit sprach man vom „Oberhausener Ghetto“. Auch heute gelten die Wohnblöcke noch als sozialer Brennpunkt. Darauf angesprochen, fragt ein Anwohner: „Aber was soll das schon heißen?“ Entnervt zuckt er mit den Schultern. „Wir haben vielleicht weniger Geld als andere. Das heißt aber nicht, dass wir asozial sind oder zu Kriminellen werden.“
Dieser Meinung sind auch die Akteure vor Ort, die Vereine und städtischen Einrichtungen, die Sozialarbeiter und Erzieher, Seniorenberater und Streetworker. Die Bewohner hätten mit Vorurteilen zu kämpfen, würden abgestempelt, wenn sie sagen, wo sie leben. „Vor allem für Kinder und Jugendliche ist das schwer zu ertragen“, sagt Benedict Neugebauer vom Jugendclub Courage.
Häusliche Gewalt ist ein Problem
Er sagt aber auch: „Gäbe es keine Probleme, wären wir nicht hier.“ Im Wohnpark Bebelstraße sind viele verschiedene Nationalitäten vertreten, rund 90 Prozent der Bewohner haben einen Migrationshintergrund. Das macht die Kommunikation nicht immer leicht, in manchen Fällen helfen nur noch Dolmetscher. Die meisten Bewohner sind von Sozialleistungen abhängig, verdienen nicht viel oder sind arbeitslos. Das bringt familiäre Probleme mit sich, teils häusliche Gewalt. Zudem leben viele ältere Oberhausener an der Bebelstraße, die Unterstützung etwa bei Anträgen für Pflegeleistungen benötigen.
Um den Problemen zu begegnen, haben sich vier Institutionen zusammengetan und sich verpflichtet, sich im Wohnpark zu engagieren: die Stadt Oberhausen, die Arbeiterwohlfahrt, der Jugendclub Courage und der Eigentümer, das Wohnungsunternehmen Brack Capital. Alle haben gemeinsame Ziele: Den Wohnpark vom schlechten Image zu befreien. Den Nachbarn, die Hilfe benötigen, diese zu geben. Kinder und Jugendliche zu fördern, bestehende soziale Probleme zu bekämpfen und neuen vorzubeugen.
Bei einem Rundgang durch den Wohnpark haben sich alle Beteiligte unserer Redaktion vorgestellt. Sie haben ihre so wichtige Arbeit präsentiert, haben erzählt, wo der Schuh drückt und was gut läuft. Die Redaktion wurde mit offenen Armen empfangen – von offizieller Seite, aber auch von Bewohnern, die nichts von unserem Besuch wussten. Viele haben spontan einen Wunsch geäußert: „Schaut nicht auf uns herab.“ Das Leben im Wohnpark sei nicht immer schön, „aber wir machen das beste draus.“
Die Nachbarn des Wohnparks halten zusammen
Für Gülşen Kerem ist der Wohnpark zur Heimat für die ganze Familie geworden. Nicht nur sie lebt hier, mit Mann und drei Töchtern. Auch sechs Brüder, eine Schwester und die Eltern wohnen an der Bebelstraße.
Doch das war nicht immer so. 2003 ist die Familie eingezogen, „damals hatte ich teilweise Angst rauszugehen“, erinnert sich die 36-Jährige. Sie zog mit ihrer eigenen Familie zunächst weg, 2012 kam sie zurück. „Es ist heller und offener geworden“, sagt sie. Heute fühle sie sich sicher und aufgehoben, „ein guter Ort, um seine Kinder großzuziehen.“
Innenwelt und Außenwelt
Dass sich der Wohnpark in den vergangenen Jahren gewandelt hat, sei aber bei vielen Oberhausenern noch nicht angekommen, meint Gülşen Kerem. Sie berichtet von einer Freundin, die an die Bebelstraße ziehen wollte. Doch die Familie habe ihr abgeraten. „Das ist sehr schade.“
„Außenwelt“ nennt Gülşen Kerem alles, was außerhalb des Wohnparks liegt. Darauf angesprochen, muss sie lachen. „Das ist mir gar nicht aufgefallen.“ Negativ meine sie den Ausdruck keinesfalls. Es unterstreiche viel mehr das Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Nachbarschaft. Und der Wohnpark öffne sich ja regelmäßig ausdrücklich auch für Besucher. Bei den Sommerfesten in der Anlage beispielsweise. „Das genieße ich sehr.“ Anwohner kommen zusammen, jeder bringt selbst zubereitetes Essen mit, man spricht und lacht zusammen.
Auf die Stimmung drücken dagegen die oft defekten Aufzüge in den Häusern. „Wenn man als junge Mutter mit Kinderwagen und Einkaufstüten zu Fuß in die dritte oder vierte Etage muss, ist das eine echte Herausforderung.“ 21 der insgesamt 26 Häuser sind mit einem Aufzug ausgestattet, mit der Wartung der teils in die Jahre gekommenen Anlagen komme die Verwaltung nicht nach, sagt Kerem. Ärger mit den Nebenkosten gebe es auch bisweilen. „Da helfen wir uns dann gegenseitig, vergleichen Rechnungen und wenden uns als Gemeinschaft an die Verwaltung.“
Awo und Zaq leisten Hilfe zur Selbsthilfe
Das Wohnen und Leben an der Bebelstraße angenehmer und gemütlicher machen. Das ist das Ziel von Arbeiterwohlfahrt (Awo) und dem Zentrum für Ausbildung und berufliche Qualifikation (Zaq). Seit vielen Jahren betreiben die Einrichtungen nun schon den Bewohnertreff. Kindern bieten sie Ferienfreizeiten, Ausflüge und Sportkurse an, Eltern bekommen Unterstützung durch Sprachkurse und Beratung.
„Wir haben immer ein offenes Ohr für die Sorgen und Probleme“, sagt Awo-Mitarbeiterin Larissa Hamacher. „Und wenn wir selbst nicht weiterhelfen können, stellen wir Kontakte her und vermitteln.“ Die Ansprechpartner im Bewohnertreff sind oft die erste Anlaufstelle für Hilfesuchende, täglich kommen Menschen hierher. Wenn es um Themen wie häusliche Gewalt geht, können die Mitarbeiter nicht direkt helfen. Sie kümmern sich aber um Termine bei entsprechenden Beratungsstellen und wenn nötig auch bei der Polizei, die mit einer eigenen Wache im Wohnpark vertreten ist.
Viele verschiedene Anlaufstellen
„Hilfe zur Selbsthilfe ist unsere Aufgabe“, sagt Larissa Hamacher. Manch ein Bewohner brauche oft nur einen „Schubs in die richtige Richtung“. Mal seien die Probleme groß, bei Kindern aus zerrütteten Familien etwa, mal reicht aber auch eine kleine Hilfestellung, beim Ausfüllen eines Formulars zum Beispiel.
„Dabei hilft vor allem die gute Vernetzung“, sagt Sandra Fileccia-Tratnik von der Kindertagesstätte, die die Stadt im Wohnpark betreibt.Das Team habe einen direkten Kontakt zum Jobcenter und anderen wichtigen Adressen in der Stadt. „Es gibt so viele verschiedene Anlaufstellen und Zuständigkeiten“, sagt Larissa Hamacher. „Da kann man schon ins Trudeln kommen.“
Im Jugendclub Courage hat jedes Kind eine Chance
Noch bevor die Türen des Jugendtreffs pünktlich um 14 Uhr öffnen, stehen die ersten Jugendlichen Schlange. „Sollen wir Playstation zocken? Oder wie wär’s mit Fußball?“ Erstmal alle reinkommen, Hände schütteln oder lässig mit den Fäusten zur Begrüßung abklatschen.
Seit zwei Jahren hat der Jugendclub Courage eine feste Anlaufstelle im Wohnpark. Streetworker sind schon länger im Einsatz, „doch wir wollten näher zusammenrücken“, erklärt Benedict Neugebauer, der von vielen der jungen Besucher direkt in den Arm genommen und umlagert wird. Wie ein Kumpel, ein großer Bruder, dem man vertrauen kann.
Als Bewohner etwas zurückgeben
Benedict Neugebauer versteht den Jugendclub als weitere Masche des engen sozialen Netzes in der Anlage. „Das ist die Ressource des Wohnparks.“ Bewohner zwischen 13 und 27 Jahren sind die Zielgruppe der Sozialarbeiter und Erzieher. Das Team von sieben Leuten – einem Hauptamtlichen und sechs Honorarkräften – will passgenaue Hilfe anbieten für die individuellen Probleme der jungen Menschen. „Zu uns kommt man aber auch, wenn man einfach nur Spaß haben und sich mit den Freunden treffen möchte.“
So fing es auch bei Cihan Bilik an. Mit neun Jahren ist er mit seiner Familie in den Wohnpark gezogen – nach acht Jahren in einem Flüchtlingsheim. Auch, wenn es sein Traum ist, irgendwann für sich und seine Familie ein Grundstück zu kaufen und ein Haus zu bauen: „Ich lebe gerne hier im Wohnpark.“ Und er möchte etwas zurückgeben. Nach zwei Jahren ehrenamtlicher Hilfe im Jugendclub ist er mittlerweile Honorarkraft.
Cihan Bilik will Vorbild für die Kinder sein
Er will den Jugendlichen helfen, etwas aus ihrem Leben zu machen. Er selbst macht derzeit eine Ausbildung zum Krankenpfleger, arbeitet im St.-Josef-Hospital. „Ich denke, dass ich ein Vorbild für andere bin“, sagt Cihan Bilik.
Früher, als die City West als abgeschrieben galt, „da hatten die Kinder kaum eine Chance“, sagt Cihan Bilik. Heute sei das anders. „Hier hat jedes Kind eine Chance.“
Brack Capital übernahm den Wohnpark 2008
Seit 2008 hat der Wohnpark an der Bebelstraße einen neuen Eigentümer: das internationale Wohnungsunternehmen Brack Capital. Als Ansprechpartnerin ist Yvonne Grupe mit eigenem Büro vor Ort.
Auch wenn sich Bewohner hin und wieder beschweren, etwa wegen defekter Aufzüge oder aus ihrer Sicht falscher Nebenkostenabrechnungen, sind die Akteure voll des Lobes über den Eigentümer. Die Zusammenarbeit sei prima, sagt Sandra Fileccia-Tratnik, Leiterin der Wohnpark-Kita.
Wohnungen wurden modernisiert, die Kita vergrößert
Der Eigentümer engagiere sich für seine Bewohner. So stellt er etwa die Räume für den Jugendclub Courage mietfrei zur Verfügung. 2013 und 2015 ist Brack Capital den langen Sanierungsstau angegangen, hat den Wohnpark umgestaltet, Wohnungen modernisiert, die Kita vergrößert, Teile des Außenbereiches neu gestaltet. Weitere Arbeiten, etwa an den Fenstern, stehen noch an.
Doch was macht den Wohnpark für Investoren beliebt? „Er ist vergleichsweise einfach zu verwalten, weil alle Wohnungen nah beieinander liegen“, erklärt Grupe. Brack Capital engagiere sich durchaus auch aus Eigennutz sozial: Das Engagement locke weitere Mieter, das Ansehen des Wohnparks steige. Als das Unternehmen die Anlage 2008 übernahm, gab es laut Grupe 25 Prozent Leerstand. Seit 2014 sinkt er stetig, derzeit liegt er bei 3 bis 5 Prozent.
Das Kita-Team betreut rund 140 Kinder
Die Pläne des Wohnparks haben von Anfang an auch eine Kindertageseinrichtung vorgesehen. Diese wird heute von der Stadt betrieben. Rund 140 Kinder betreut das Team von insgesamt 22 Mitarbeitern, darunter auch Kinder mit besonderem Förderbedarf.
Die meisten Kinder stammen aus dem Wohnpark, „Voraussetzung für die Aufnahme ist das aber selbstverständlich nicht“, sagt Kita-Leiterin Sandra Fileccia-Tratnik. Das gilt auch für die kostenlose Spielgruppe für Unter-Dreijährige, die das zertifizierte Familienzentrum anbietet.
Auch die Eltern bekommen hier Hilfe
Die Kita arbeitet inklusiv, legt viel Wert auf Sprachförderung und eine interkulturelle Pädagogik. Dass so viele Familien aus unterschiedlichen Ländern stammen, mache es sprachlich nicht immer einfach, sagt Sandra Fileccia-Tratnik. „Aber jedes Kind hat es verdient, mit den gleichen Chancen ins Leben zu starten.“
Daher bekommen in der Kita auch Eltern Hilfe – wenn sie diese denn benötigen. Wie organisiere ich den Alltag mit meinen Kindern? Wann kümmere ich mich um die Schulanmeldung?
Die Kita arbeitet in einem gemeinsamen Projekt auch mit der Concordia-Grundschule zusammen – mit dem Ziel, Angebote aufeinander abzustimmen und die Kinder nicht aus den Augen zu verlieren, wenn sie von der Kita in die Grundschule wechseln.