Oberhausen. . Verkaufsleiterin Janine Wolf fuhr früher zu den Kunden. Mittlerweile arbeitet die alleinerziehende Mutter viel von zu Hause aus übers Internet.
Eines Tages, das war vor etwa drei Jahren, saß Janine Wolf im Büro und dachte sich: „Wieso sitze ich hier nur? Das kann ich auch von zu Hause machen.“ Die Sehnsucht, Zeit mit der eigenen Tochter zu verbringen, diese aufwachsen zu sehen, war groß. Das Leben eines Elternteils eben, der Vollzeit arbeitet und das eigene Kind nur nach 16, 17, 18 Uhr oder wann immer Arbeitsschluss ist, sieht. Da kam Janine Wolf eine Sache recht: Dass der Titel ihrer Arbeit ,Verkaufsleiterin’ der gleiche blieb, die Arbeit aber eine ganz andere wurde. Die Geschichte einer 180-Grad-Wendung.
Früher: Das waren feste Arbeitszeiten, Klinkenputzen bei den Firmen der Stadt und Partys organisieren für Sekretärinnen, erinnert sich die 42-Jährige. „Das war noch sehr persönlich. Das fand ich schön.“ Jetzt sitzt die Vertrieblerin „den ganzen Tag“ am Computer. Den direkten Kontakt braucht sie nicht mehr für ihre Arbeit, nur noch ihren Laptop mit Internetzugriff. „Ich schreibe Texte für die Homepage des Hotels, lerne Programmier-Codes, bearbeite Bilder“, erläutert die Mutter ihren neuen Arbeitsalltag. „Oft fange ich um Viertel nach sieben an, abends arbeite ich noch von der Couch und zwischendurch hole ich meine Tochter von der Schule ab, verbringe Zeit mit ihr“, erklärt die Verkaufsleiterin. Tochter Lara ist elf Jahre alt und Janine Wolf von Anfang an alleinerziehend.
Deutschlandweit schaffen immer mehr Unternehmen Heimarbeitsplätze. 2017 machten fast vier von zehn Unternehmen Heimarbeit möglich, 2016 waren es noch drei von zehn. Die Hälfte aller Firmen rechnet damit, dass es in den nächsten fünf bis zehn Jahren immer mehr Angestellte geben wird, die von zu Hause ihre Aufgaben erledigen. Das ergab die aktuelle Erhebung des Bundesverbands Informationswirtschaft Bitkom.
„11 Uhr: Frau Müller. 12 Uhr: MAN“
Angefangen hatte Janine Wolf als Rezeptionistin im Hotelbetrieb der Familie Wischermann, vor gut 18 Jahren, machte auch Nachtschichten. Seitdem ist sie ihrem Arbeitgeber noch immer treu. Nach Schulungen ist sie seit 15 Jahren Verkaufsleiterin. Viele Mitarbeiter im Parkhotel an der Teutoburger Straße oder im Hotel Residenz in der Innenstadt, beide geführt von der Familie Wischermann, bleiben Jahre. Das Team kennt sich, ist eingespielt. Die Vertrieblerin ist für beide Hotels verantwortlich.
„11 Uhr: Frau Müller. 12 Uhr: MAN Turbo. 13 Uhr: Liebherr.“ So sah Janine Wolfs Terminkalender noch vor wenigen Jahren aus. Die Verkaufsleiterin fuhr zum Oberhausener Unternehmen hin, trank Kaffee mit den Sekretärinnen und verhandelte vor Ort. Denn die Frauen aus den Vorzimmern hatten oft ein Wörtchen mitzureden, wenn für Firmengäste Hotels gebucht wurden.
Der Plausch, ein Lächeln, ein guter Scherz entschieden, ob die Vertrieblerin den Zuschlag bekam oder nicht. Die Fachfrau für Hotel-Vertrieb veranstaltete auch Partys für Sekretärinnen. Die ersten sechs Lebensjahre ihrer Tochter war die Alleinerziehende deshalb in Teilzeit. „Das war immer eine Herausforderung mit Kind, wenn ich eine Veranstaltung hatte und feste Arbeitszeiten.“
Erst das Umdenken bei ihren Kunden machte möglich, dass Janine Wolf von zu Hause aus arbeitet und dabei keinen starren Zeiten unterliegt. Mittlerweile entscheiden Unternehmen über Online-Portale wie Expedia oder Hrs, mit welchen Hotels sie Jahresverträge oder auch kürzere Verträge abschließen.
Sich mit Neuem vertraut machen
Ein Unternehmen fragt über ein Online-Portal einen Firmentarif an und die Verkaufsleiterin macht ein Angebot. Sie muss weder beim Kunden noch im Hotel sein, um Verträge anzubahnen oder abzuschließen. „Ich bin schon viel flexibler, wenn mal das Kind krank ist oder die Schule früher aus ist“, sagt die Mutter. Wann die 42-Jährige die Hotelraten über ein Reise-Portal anpasst, ist ihr selbst überlassen. Nach 18 Jahren Vertriebsarbeit fürs Hotel hat sie das „im Gefühl“.
Janine Wolf lernt immer wieder dazu. Sie besucht Schulungen, bringt sich Internet-Wissen selbst bei. „Ich mache mich mit immer Neuem vertraut. Das entwickelt sich ja auch ständig weiter“, sagt die Hotelmitarbeiterin.
Programmieren, Bilder bearbeiten, sich mit den Online-Portalen bis ins Detail auskennen, das Einpflegen von Raten für Firmen- und Privatkunden. Wenn ein Kunde bucht, sperrt die Vertrieblerin auf anderen Portalen Buchungsmöglichkeiten – einige Klicks von der heimischen Couch oder auch dem Büro.
67 Prozent der Angestellten, die ihre Arbeit auch von zu Hause erledigen, sind sich sicher, dass sie ihre Aufgaben produktiv und mindestens genauso gut wie im Büro erledigen können. Das ist das Ergebnis einer Studie des Stellenangebotsportals Monster aus dem Jahr 2015. 42 Prozent der Beschäftigten wünschen sich laut der Randstad Award Studie gelegentlich von zu Hause zu arbeiten.
Wolfs Herz schlägt für ihren Beruf
Janine Wolf ist nach dieser
180-Grad-Drehung überzeugt: Das Arbeiten von acht bis 16 Uhr ist veraltet. Das Sitzen im Büro sage nichts darüber aus, wie produktiv ein Mitarbeiter ist. „Wenn ich wenig habe, arbeite ich fünf Stunden am Tag, aber dann gibt es wieder 12-Stunden-Tage.“
Dass die 42-Jährige dem Beruf – auch mit weniger persönlichem Kundenkontakt – treu blieb, hat einen Grund: „Ich will, dass unsere Hotels ausgelastet sind. Dafür bin ich in diesem Unternehmen da.“ Dabei hat die Mutter nicht das Gefühl, mehr zu machen als vorher. „Ich bin strikt. Wenn ich zu Hause als Privatperson bin, dann bin ich nicht abrufbar. Ich habe kein Firmenhandy.“ Die Verkaufsleiterin will sich nicht überlasten. Und darauf achtet ganz besonders Tochter Lara.
Welche Berufe sich besonders für Heimarbeit eignen
Berufe, die wenig Kundenkontakt erfordern, eignen sich besonders für Heimarbeit, ergab eine Studie des Personaldienstleisters Adecco aus dem Jahr 2016.
Die Hälfte aller in Deutschland verfügbarer Heimarbeits-Jobs boten der Verkauf und Vertrieb.
Ein weiteres Fünftel der Stellen entfiel auf den IT-Sektor.
Ingenieure, Kreative wie Werbetexter oder Grafikdesigner können oft von zu Hause arbeiten.
Mehr als die Hälfte der mobilen Stellenangebote richtete sich an Akademiker.
Schreibtisch für das Heimbüro
Mit Kunden telefonieren, ein paar E-Mails schreiben und kurz darauf konzentriert am Projekt tüfteln: Was im Büro-Alltag mit ständigen Anrufen und mitteilungsfreudigen Kollegen nicht immer gelingt, sollte der vom Oberhausener Forschungsinstitut Fraunhofer Umsicht entwickelte Heimarbeitsplatz unterstützen.
2016 nach zweieinhalb-jähriger Entwicklungszeit gab es einen Prototypen, der ausgestellt und auch von Bürgern ausprobiert wurde. „Wegen interner Zuständigkeiten wird der Prototyp aber nicht auf den Markt kommen“, sagt Martin Distelhoff. Ein anderes Fraunhofer-Institut habe bei solchen Projekten das Zepter in der Hand. Ingenieur Distelhoff hat an der Entwicklung des Schreibtisches für Zuhause mitgewirkt.
„Die Produktionskosten betragen bis zu 5000 Euro pro Tisch“, erläutert der 52-jährige Wissenschaftler. Zu teuer für viele Arbeitgeber. Ausgeklappt hat der Thinktainer „die Höhe und Breite eines gängigen Schreibtisches“, zugeklappt ist er ein Designmöbel und hat viel im Bauch: einen Netzanschluss, einen Computer, Ablageflächen und Schubladen.
Drei Fragen an: Vertrauen und Gespräche sind wichtig
Baldaja aus Holten vertreibt Geschäftsreisen – und das seit über 20 Jahren. Die Mitarbeiter haben einige Wahlmöglichkeiten hinsichtlich Arbeitszeit und -ort.
Wie flexibel ist bei Baldaja die Arbeitszeit?
Die ist recht flexibel: Mitarbeiter können einen freien Vor- oder Nachmittag die Woche nehmen. Das war vor 20 Jahren, als Baldaja gegründet wurde, schon so, weil die Mitarbeiter das wollten. Die Ansprüche unserer Arbeitnehmer sind heutzutage größer. Teilzeit wird immer mehr eingefordert.
Ist Heimarbeit eine Option?
Wir haben eine Vertriebsmitarbeiterin, die einen Tag die Woche in der Firma ist. Dann arbeitet eine Teilzeitbeschäftigte nur von zu Hause. Sie hat mehrere Jahre in unserer Filiale in Dreieich, Hessen, gearbeitet. Als sie mit ihrem Mann ein Baugrundstück in Würzburg fand, zog sie dahin. Ein Mal die Woche stimmt sie sich mit ihrer Teamleiterin ab. telefoniert täglich mit ihren Kollegen.
Und wie klappt es auf diese Distanz mit dem gegenseitigen Vertrauen und auch der Kommunikation?
Gut. Die Mitabeiterin identifiziert sich voll mit dem Unternehmen, weil sie merkt, dass wir ihr vertrauen. Wir laden sie zu Monatsmeetings, Betriebsausflügen, Weihnachtsfeiern ein.
Wie eine Werbeagentur arbeitet
Warum ermöglichen Firmenchefs Heimarbeit, das sogenannte Home Office, und andere wiederum nicht? Und wieso wollen manche Mitarbeiter das nicht für sich nutzen? Wir haben eine Werbeagentur besucht, mit dem Chef und Mitarbeitern gesprochen. Den Bericht finden Sie hier: waz.de/heimbuero.