OBERHAUSEN. . Alles ist schnell vergessen, als Kiss-Bassist Gene Simmons die Bühne betritt. Da schwillt der Jubel in der Oberhausener Turbinenhalle an.
Wer im Anschluss an die „Kiss“-Europatournee zum einzigen Deutschland-Konzert der „Gene Simmons Band“ in Oberhausen in der „Turbinenhalle“ gekommen ist, der konnte sich fast sicher sein, dass ihr Bassist Gene Simmons mit seiner vierköpfigen Begleitband die etwas andere Seite von „Kiss“ präsentieren würde.
Doch bevor das von der Classic-rock-Zeitschrift „Rocks“ veranstaltete Mini-Festival seinen Showhöhepunkt erlebte, startete erst einmal „Reds’ Cool“ aus St. Petersburg den Abend in der stickig-heißen Halle. Das russische Quintett favorisiert einen von eingespielten Keyboardflächen unterlegten Hardrocksound im 80-Jahre-Stil unterhalb der Linie von „Rainbow“ und „Van Halen“. Bemüht, aber als Showopener letztendlich drucklos und wenig durchschlagend.
Nach diesem eher belanglosen Auftritt springt mit „The Brew“ das glatte Gegenteil auf die Bühne. Dieses Powerrock-Trio geht in seiner Zitatensammlung noch mindestens ein Jahrzehnt zurück und präsentiert einen groovigen, riffbasierten und bluesigen Hardrock-sound in bester Tradition von „The Who“ bis „Led Zeppelin“. So lässt Gitarrist und Sänger Jason Barwick wie einst Pete Townsend seinen Schlagarm wie einen Windmühlenflügel rotieren – und bearbeitet mit einem Geigenbogen wie Jimmy Page bei „Dazed And Confused“ seine Gitarrensaiten.
Selbst ein Schlagzeugsolo im „Led-Zep-Moby-Dick“-Stil vom ausgezeichneten Drummer Kurtis Smith darf nicht fehlen. Das Beste dabei: Ihre Songs sind knackig, haben Biss und strotzen vor Spielfreude. Und vorweg: Das war eigentlich der musikalische Höhepunkt, wenn die Fans in der dreiviertelvollen Halle nicht wegen Gene Simmons gekommen wären.
„Thunder“ aus London, ebenfalls in der Tradition von 80/90er-Hardrockbands, zeigen, was noch nach knapp drei Jahrzehnten in ihnen steckt: Insbesondere Sänger Danny Bowes schraubt sich stimmgewaltig und eindrucksvoll in die schwierigsten Gesangslagen und meistert sie konzentriert.
Simmons mit passablem Deutsch
Doch das alles ist schnell vergessen, als Gene Simmons die Bühne betritt. Da schwillt der Jubel an, und mit „Deuce“ zeigt Simmons, dass der „Kiss“-Eröffnungssong auch für ihn das Richtige ist. Aber sonst ist fast alles anders.
Ungeschminkt bringt der 68-jährige die Songs, die für ihn wichtig sind und die bei „Kiss“ in den letzten Jahren teilweise in den Hintergrund gerutscht sind, Lieder wie „Charisma“ oder „I“. Einen „neuen“ Song gibt es mit „Are Your Ready“ auch: Ein Lied von 1999 aus einer „Kiss“ – The Vault – Box“, die man mit 167 unveröffentlichten Songs für schlappe 2000 Dollar erwerben kann.
Seine eigene musikalische Sozialisation feiert er mit „Long Tall Sally“ von Little Richard. Und anders als bei „Kiss“, wo alles sekundengenau choreographiert und durchgetaktet ist, besteht der Großteil der Show neben den 23 Liedern aus Kommunikation und Improvisation: Drei Mal werden bis zu 25 Männer und Frauen – vornehmlich Frauen – für Backgroundgesang an die Mikros gelassen.
Simmons redet in passablem Deutsch mit dem Publikum, animiert, bringt zotige Sprüche – diesmal also kein Feuer- und Blutspucken. Es gibt sogar eine Wunschliste auf Zuruf („Wir können alles spielen!“) mit abgebrochenen Versionen und solchen, von denen Gene seine eigenen Texte nicht mehr kennt, die unerwartete Fehlerlosigkeit bei „Goin’ Blind“ oder das seltene „Radioactive“ von seinem ersten Solo-Album von 1978.
Das alles verweist auf einen lustigen Abend mit hohem Unterhaltungswert und verkürzt die Zeit bis zur nächsten angekündigten „Kiss“-Tournee im nächsten Jahr.
>>> ÜBER 100 MILLIONEN PLATTEN VERKAUFT
Gene Simmons ist 1949 im israelischen Haifa geboren worden. Seine Mutter zog 1955 mit dem Sechsjährigen nach New York. 1973 gründete er mit dem Gitarristen Paul Stanley die mit Verkäufen von über 100 Millionen Platten äußerst erfolgreiche Rock-Gruppe Kiss.
Bis in die 80er Jahre hinein zeigte sich Kiss nur geschminkt.