Der höchstdotierte der insgesamt 21 Preise der 64. Kurzfilmtage ging an trübe „Flecken und Kratzer“. Doch andere Preisträger nehmen Stellung.

Hardcore-Experimentalisten müssen wohl tapfer sein – alle anderen dürfte die jüngste Entwicklung freuen. Ob in Viertel- oder halben Stunden: Der kurze Film wird wieder erzählerischer, wagt sich an Themen der Zeit und nimmt Stellung statt sich in Obskuritäten zu flüchten.

Die mit 8000 Euro höchstdotierte Auszeichnung der 64. Kurzfilmtage, der Große Preis der Stadt Oberhausen, ging allerdings an „l’art pour l’art“ in seiner sperrigsten Form: „Flecken und Kratzer“ von Deimantas Narkevicius aus Litauen trug genau jenen deutschen Titel, der diesen siebeneinhalb Minuten zukommt. Die Jury des Internationalen Wettbewerbs beschwärmte „eine stereoskopische und skulpturale Illusion“, die Bild und Ton dekonstruiere.

Mit simplen Effekten gegen Protz

Weitere Hauptpreise gingen an Stadporträts, die mit Ironie, Hintersinn und verblüffend simplen Effekten jene Entwicklungen zu Protz und antisozialem Bauen aufspießen, die im Osten Europas zu grassieren scheinen: So durchfährt Eva Stefanis Kamera in „Manuskript“ Athen. Für eine „zeitgenössische Fabel, die Archivmaterial mit subtilem poetischen Witz verbindet“, so die Jury, erhält die Griechin den mit 4000 Euro dotierten Hauptpreis.

Für einen viertelstündigen Kopfstand erhält Dimitri Venkov den e-flux-Preis und 3000 Euro. Denn für „Die Hymnen Moskaus“ gilt laut Jury: „Manchmal reicht ein Perspektivwechsel, um die Welt auf den Kopf zu stellen.“ Dafür gab’s zusätzlich den Preis der internationalen Filmkritik.

© Kurzfilmtage

Protz und Pomp der neoklassizistischen Bauwut in Mazedoniens Hauptstadt Skopje karikiert Adnan Softic in „Bigger than Life“ mit einem genialischen Coup, meint die Jury des Deutschen Wettbewerbs: „Die Musik macht den Ton dieses Films – einen äußerst humorvollen. Gleich der erste Text wird gesungen.“ So kommentieren Autoren der deutschen Klassik in Belcanto den Kitsch falscher Neoklassik. Mit dem 3sat-Förderpreis gibt’s 2500 Euro – und die Aussicht, das halbstündige Werk auch mal im Fernsehen zu sehen.

Kein ironischer, vielmehr ein ergreifender Zeitkommentar erhält den mit 5000 Euro dotierten Hauptpreis des Deutschen Wettbewerbs: In „Notes“ erzählt Alexandra Gulea von jenen Kindern aus Rumänien und Moldawien, deren Mütter in reicheren Ländern arbeiten. In nur 13 Minuten macht der Kurzfilm, so die Jury, „die Kosten des binneneuropäischen Wohlstandsgefälles“ deutlich, „die in Wirtschaftsbilanzen nicht beziffert werden“.

© Kurzfilmtage

Ein passendes Statement verlas Kathrin Ernst im Namen des NRW-Preisträgers und frischgebackenen Vaters Marian Mayland: Er hoffe, dass sein Kind „ein Welt kennenlernen wird, in der Filme wie dieser obsolet geworden sind.“ Gemeint ist das Thema des Viertelstünders „Eine Kneipe auf Malle“ – ein Essay über rechte Verschwörungstheorien und den Zustand der Linken.

Der mit 5000 Euro zweithöchst dotierte Preis des Festivals, jener des NRW-Kulturministeriums, ging an einen zehnminütigen Beitrag aus der weltgrößten Filmnation: Eine derart märchenhaft ins aktuelle gedrehte Erzählung wie „The Lost Head and the Bird“ dürfte Bollywood allerdings noch nicht produziert haben: In Sohrab Hura erkannte die Jury „das Erscheinen eines aufregenden neuen Filmtalents“. Sie wertete seine verwegenen Foto-Montagen als „scharfen Kommentar zur Gesellschaft und Gender-Politik heute“. Kurzfilme haben wieder was zu sagen.

>>> IN WOLKEN UND AM WINDIGEN STRAND

„Die Kurzfilmtage sind ein großer Lehrmeister“, meinte am Montag Rainer Komers, geehrt für seine als „Landschaftssinfonie“ gestalteten „Kursmeldungen“. Der 74-Jährige: „Alle Filmstudenten müssten hier einen Schein machen.“

Denen haben Oberhausener Schüler bereits einiges voraus: Sie können schon vor dem Abitur am Festival-Trailer arbeiten und als Juroren viele Filme sehen. „Jury-Arbeit ist nicht wegen des Bewertens eine so schöne Arbeit“, sagte ein erwachsene Jurorin, „sondern wegen des Diskutierens“.

Die Kinderjury von der Luisenschule zeigte sich außergewöhnlich einig: „Unserem Gewinnerfilm hätten wir am liebsten 1000 Punkte gegeben!“ 1000 Punkte und 1000 Euro gehen an „Lili in den Wolken“ eine eigentlich traurige Geschichte aus Frankreich. Doch, so die drei Mädchen und zwei Jungen, „zwischendurch konnten wir auch laut lachen“ über Toma Leroux’ liebevolle Inszenierung.

Auch die Jugendjury verlieh ihren Hauptpreis an eine tragisch-komische Geschichte aus Frankreich: an „Pépé le morse (Opa Walross)“. Lucrèce Andreae erzählt in ihrem ersten alleinigen Animationsfilm von Lucas, der an einem windigen Strand seinem toten Opa begegnet – bizarr verwandelt.