Sonderführung in der Gedenkhalle zur Jugend während des Nationalsozialismus – Besucher erzählen über ihre Erfahrungen in der Zeit der Diktatur.

Viele hundert Menschen zog es am Sonntag, am ersten Frühlingswochenende, in den Kaisergarten. Sieben von ihnen fanden sich am frühen Nachmittag in der Gedenkhalle ein: zu einer Führung mit der Lehrerin Lisa Kleinholz zum Thema „Jugend in Oberhausen während des Nationalsozialismus“.

In der damaligen Zechen- und Hüttenstadt hatte die Hitler-Bewegung bei freien Wahlen nie die Mehrheit der Menschen hinter sich. Auch dem Nazi-Führer war klar, dass man dem Ideal der „nationalsozialistischen Volksgemeinschaft“ mit Zwang nachhelfen musste. Im Übrigen traf der Zwang, wie Lisa Kleinholz darstellte, jene jungen Menschen, die man im Sinne der braunen Ideologie vom germanischen Herrenvolk prägen wollte. „Man sah sich ja selbst als revolutionäre und junge Bewegung“, betonte die Lehrerin bei ihrer Führung.

HJ warb mit Motorradstaffel

Bis zur „Machtergreifung“ durch die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 waren junge Leute in Oberhausen, geprägt durch ihr Elternhaus und durch die Jugendorganisationen, entweder der Arbeiterbewegung verbunden oder den christlichen Kirchen.

Erstere wurden danach sofort verboten, Letztere wurden Schritt für Schritt in die neuen Jugendorganisationen Jungvolk/Jungmädelbund (für 10- bis 14-Jährige) und Hitlerjugend (HJ)/Bund deutscher Mädel (für 14- bis 18-Jährige) eingegliedert. Diese Staatsjugend zählte, wie die Referentin berichtete, vor Kriegsausbruch 1939 über acht Millionen Mitglieder, für die ein Dienstzwang galt. Ziel des Ganzen sei es gewesen, die Jungen durch eine Art „Wehrsport“ auf ihre Rolle als Soldaten vorzubereiten, die Mädchen auf die als Ehefrauen und Mütter.

Reproduktionen in der Gedenkhalle zeigen: Die NS-Propaganda illustrierte die Ideologie der „Volksgemeinschaft“ mit dem vom Adler bewachten Familien-Idyll.
Reproduktionen in der Gedenkhalle zeigen: Die NS-Propaganda illustrierte die Ideologie der „Volksgemeinschaft“ mit dem vom Adler bewachten Familien-Idyll. © Jörg Schimmel

Ältere Teilnehmer gaben aber zu bedenken, dass es nicht nur Zwang gegeben habe. „Für die Jugend war es eine schöne Zeit. Die Mädchen hatten Leichtathletik, Gymnastik und Turnen“, sagte eine Frau. Es seien Ausflüge und Reisen unternommen worden. Auch hätten sich Kirchgang und anschließender Dienst bei der HJ nicht ausgeschlossen. Ein Mann ergänzte: „Man bekam damals schulfrei für die Teilnahme. Da wäre heute auch niemand dagegen.“

Zeitzeugen, von denen die Dauerausstellung in der Gedenkhalle berichtet, erinnerten an soziale Zwänge, die in die NS-Jugendorganisationen führten – etwa wenn Freunde schon dabei waren. Als politisch prägend haben sie die Treffen oft nicht empfunden, eher schon als technisch faszinierend. So habe die HJ eine Motorrad-Staffel besessen. „Kein abhängig Beschäftigter konnte sich damals ein Motorrad leisten“, sagte ein Mann.

Wer sich dem trotzdem entzog, musste dafür büßen. Lisa Kleinholz verwies auf Hans Müller (1914 bis 1998) aus der Kommunistischen Jugend. Er beteiligte sich an Druck und Verteilung Nazi-feindlicher Schriften, wurde 1934 zu Gefängnis verurteilt. Nach der Haft wurde er ohne weiteres Gerichtsverfahren bis 1941 im KZ Sachsenhausen bei Berlin festgehalten.

Der Oberhausener Hans Saddeler (1924 bis 2004) meldete sich nach drei Wochen Einzelhaft im Sommer 1941 „freiwillig“ zur Wehrmacht. Er hatte den „Edelweißpiraten“ angehört, einer freisinnigen Jugendgruppe, die den HJ-Drill ablehnte.

>>>INFO: Wie die NS-Diktatur Kinder und Jugendliche drillte

Die „Jugenddienstpflicht“ war seit März 1939 gesetzlich geregelt und betraf alle Jugendlichen zwischen 10 und 18 Jahren. Abzuleisten war der Dienst in HJ und BDM an zwei Tagen pro Woche. Die nach dem „Führerprinzip“ geordneten Organisationen setzten auf körperliche und ideologische Schulung; sie umfasste rassistische und sozialdarwinistische Indoktrination und Wanderungen oder Märsche sowie körperliche Übungen im Freien. Diese sollten schon zehnjährige Jungen abhärten und langfristig auf den Kriegsdienst vorbereiten. Das Motto des Jungvolks lautete daher: „Was sind wir? Pimpfe! Was wollen wir werden? Soldaten!“ Die Pflichtmitgliedschaft aller weiblichen Jugendlichen ließ den BDM zur zahlenmäßig größten weiblichen Jugendorganisation der Welt mit 4,5 Millionen Mitgliedern 1944 werden.