Oberhausen. . In der Lebenshilfe-Werkstatt für geistig Behinderte arbeiten 290 Menschen. Ina Schulz aus der Verpackungs-Abteilung ist seit 13 Jahren dabei.

Ina Schulz spring sofort auf und erzählt mit Begeisterung von ihrer Arbeit. Ihre kurzen blonden Haare wippen hin und her, während sie durch den Raum wirbelt. „Wir verpacken hier Augenpflaster“, erklärt sie, „zuerst muss man die Packung knicken, dann kommen zehn Pflaster rein.“ Sie greift in einen Eimer und nimmt einige Pflaster heraus. Heute ist es ein Motiv für Jungen: Autos mit Flammenmustern. „Wir haben auch welche für Mädchen mit Pferden oder Einhörnern.“

Ina Schulz legt die Pflaster nebeneinander, immer fünf in einer Reihe. Zweimal fünf sind zehn, das weiß sie, und legt die Pflaster in die Packung. Uwe Berns benutzt zum Zählen eine Schablone. Auf jedes der zehn Kästchen muss er ein Pflaster legen. „Wir geben hier jedem die Hilfestellung, die er braucht“, sagt Gabriele Bechmann vom Sozialen Dienst der Lebenshilfe.

Uwe Berns arbeitet gemeinsam mit Ina Schulz in der Verpackungs-Abteilung.
Uwe Berns arbeitet gemeinsam mit Ina Schulz in der Verpackungs-Abteilung.

Ina Schulz arbeitet seit 13 Jahren in der Königshardter Werkstatt. Insgesamt sind hier 290 Menschen mit geistigen Behinderungen beschäftigt. Gabriele Bechmann und ihr Kollege Thomas Horstmöller vom Sozialen Dienst kennen jeden einzelnen – „mit Namen und Eigenheiten“, sagt Thomas Horstmöller. Und seine Kollegin ergänzt: „Unsere Mitarbeiter hier bilden den Durchschnitt der Gesellschaft ab. Einige sind sehr fleißig, andere weniger. Es ist unsere Aufgabe, aus jedem das herauszuholen, was in ihm steckt.“ Und in ihnen steckt so einiges, das wird bei diesem Besuch schnell klar.

„Die Menschen, die in der Werkstatt arbeiten, nennen wir Mitarbeiter und wir sind die Angestellten der Lebenshilfe“, erklärt Geschäftsführer Rainer Lettkamp. So müsse man nicht ständig von „den Behinderten“ sprechen. Im Moment kann die Lebenshilfe in Oberhausen jeden unterbringen, der Interesse an der Arbeit in der Werkstatt hat. „Dank der Erweiterung der Werkstatt in Holten im letzten Jahr“, freut sich Rainer Lettkamp. „Wir sind mit den Schulen in Kontakt und wissen, wie viele Menschen aus einem Abschlussjahrgang Interesse haben.“

Zwei Jahre Berufsbildungsbereich

Dann folgen ein ärztliches Gutachten und Gespräche mit der Agentur für Arbeit. Hinsichtlich der Art und Schwere der Behinderung gibt es keine Einschränkungen. Jeder, der neu in die Werkstatt kommt, durchläuft zunächst den Berufsbildungsbereich. „Dabei stellen wir fest: Wo will der Mensch hin? Wofür ist er geeignet?“, sagt Rainer Lettkamp.

In der Werkstatt bekommt jeder die Hilfsmittel, die er für einer Arbeit benötigt. Uwe Berns benutzt eine Schablone, um die Augenpflaster abzuzählen.
In der Werkstatt bekommt jeder die Hilfsmittel, die er für einer Arbeit benötigt. Uwe Berns benutzt eine Schablone, um die Augenpflaster abzuzählen.

Danach wechseln sie in einen der verschiedenen Arbeitsbereiche: Elektronik, Metallbearbeitung und Fensterbau sind nur ein paar Beispiele. Einige Mitarbeiter kommen mit dem Bus nach Königshardt, andere werden vom Fahrdienst abgeholt. Die Arbeit beginnt um 8 Uhr und endet gegen 15.30 Uhr. Dazwischen gibt es eine Frühstücks- und eine Mittagspause. Insgesamt kommen die Mitarbeiter auf eine 35-Stunden-Woche.

Hygiene ist besonders wichtig

Bei Ina und ihren Augenpflastern geht es nun weiter. Sie bringt eine ganze Kiste mit eingepackten Pflastern zu einer Kollegin. Die wiegt jede einzelne Packung. Auf einem Zettel hat sie sich notiert, wie schwer eine Packung mit zehn Pflastern ist. Ist sie zu schwer, sind zu viele Pflaster drin, ist sie zu leicht, sind es zu wenig. 200 Packungen der Augenpflaster werden schließlich in eine Pappkiste verpackt. Fertig!

Weil die Pflaster später auf den Kinderaugen kleben sollen, ist Hygiene im Arbeitsbereich von Ina Schulz besonders wichtig. „Immer wenn wir etwas getrunken oder gegessen haben, müssen wir uns die Hände mit Seife waschen“, erklärt sie und läuft zum Waschbecken. Und die Tische müssen regelmäßig desinfiziert werden. „Dann muss man die Fenster offen machen. Das stinkt, da fällt man um.“

Arbeit an großen Maschinen

Carsten Nolte und Sandra Kampschroer sind echte Experten für Fensterrahmen. Aus einem langen Rohstück schneiden sie passende Teile zurecht. Jedes Mal, wenn die Maschine zum Sägen ansetzt, wird es laut in der Werkstatt. Deswegen tragen die beiden bei ihrer Arbeit Ohrenschützer. Für jedes Fenster gibt es Pläne und Listen mit den Teilen, die dafür benötigt werden.

Carsten Nolte und Sandra Kampschroer haben die Rahmen auf die passende Länge geschnitten. Jetzt kommen die Etiketten drauf.
Carsten Nolte und Sandra Kampschroer haben die Rahmen auf die passende Länge geschnitten. Jetzt kommen die Etiketten drauf.

Schon seit 22 Jahren arbeitet Carsten Nolte in der Werkstatt in Königshardt. Wie jeder hier hat er den Berufsbildungsbereich durchlaufen und ist dann beim Fensterbau gelandet. Seine jahrelange Erfahrung gibt er gerne an die Kollegen weiter: „Ich habe eine Arbeitsmappe erstellt, da können die anderen alles nachlesen.“ Sandra Kampschroer, die hier seit zehn Jahren Fenster baut, hat eine Verspannung in der rechten Hand und muss deswegen eine Bandage tragen. „Aber mit der Hilfe der anderen, klappt das alles“, sagt sie.

Wenn die Fensterrahmen die richtige Länge haben, kleben Carsten Nolte und Sandra Kampschroer Etiketten drauf. So können die Kollegen, die die Teile zusammenbauen, sie richtig zuordnen.

„Unsere Mitarbeiter hier machen wirklich gute Arbeit“, sagt Gabriele Bechmann vom Sozialen Dienst. Alles, was in der Werkstatt hergestellt wird, ist mit entsprechenden Normen zertifiziert. „Sie könnten auch ein Fenster bei einer Firma in Polen kaufen. Das wäre wahrscheinlich günstiger, aber hier haben sie einen direkten Ansprechpartner.“

Grüße aus der Werkstatt

Weihnachten beginnt für die SMB-Gruppe der Werkstatt schon im Sommer. SMB, das steht für Schwerstmehrfach-Behinderten-Bereich. Die Mitarbeiter hier bearbeiten keine Aufträge von Firmen, sie arbeiten in der sogenannten Eigenproduktion.

Einer von ihnen ist Kevin Träger. „Wir machen hier Karten“, erzählt er. Dafür zerkleinert er mit einer Art Aktenvernichter altes Papier. In rekordverdächtigem Tempo dreht der 29-Jährige an dem Gerät. Wenn der Behälter voll ist, gibt er es weiter an seinen Kollegen Markus Mölleken. Der portioniert es in einen Eimer. Dann werden die Papierschnipsel eingeweicht und getrocknet – es entsteht ein sogenannter Maischeblock. Der kann jederzeit eingeweicht werden und wird dann zu einem Papierbrei. Trocknet man diesen Brei auf einer Schablone entsteht ein raues, unebenes Papier, das die Mitarbeiter für die Grußkarten benötigen.

Die Karten werden bei verschiedenen Gelegenheiten zu Gunsten der Lebenshilfe verkauft, zum Beispiel beim Adventscafé. Auch Filz- und Holzprodukte haben die Mitarbeiter dann im Angebot.

„In NRW bekommen auch die schwerstbehinderten Mitarbeiter ihren Anteil am Umsatz der Werkstatt“, erklärt Gabriele Bechmann, „in anderen Bundesländern ist das nicht so.“

>>> Das verdienen die Mitarbeiter in der Werkstatt

Die Lebenshilfe erhält Aufträge von Firmen, die die Mitarbeiter in der Werkstatt umsetzen. Die Auftraggeber zahlen nur die Hälfte der Mehrwertsteuer und weniger Ausgleichsabgabe, wenn sie Aufträge an Werkstätten für Menschen mit Behinderung vergeben.

70 Prozent von dem, was die Werkstatt umsetzt, muss an die Mitarbeiter ausgeschüttet werden. Das sind zwischen 150 und 400 Euro im Monat.

Dazu bekommen die Mitarbeiter Grundsicherung und andere Leistungen. Im Durchschnitt hat ein Werkstattmitarbeiter ein monatlich verfügbares Einkommen von knapp 910 Euro. (Angabe der Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen).

Zum Vergleich: Jemand, der eine 35-Stunden-Woche zum Mindestlohn arbeitet, hat im Monat etwa 1030 Euro zur Verfügung.