OBERHAUSEN. . Für junge gehörlose Zuschauer übersetzen Dolmetscher „Die Schneekönigin“. Das Theater plant weitere Schritte seiner Inklusions-Strategie.

Vor die wie eine Wand aufragende Blumenwiese, diese erstaunlichste Kreation des Bühnenbildners Jens Burde für Hans Christian Andersens „Schneekönigin“, setzen sich die beiden Gebärdensprachdolmetscher nur fürs Foto. „Wir werden nicht neben den Schauspielern herlaufen“, meint Kira Knühmann-Stengel fast entrüstet.

Nein, für die jährliche Aufführung der winterlichen Familienproduktion mit Begleitung in Gebärdensprache nehmen Übersetzer und gehörlose Zuschauer Platz im Rang: „Sie haben einen super Blick auf die Bühne und auf die Monitore“, erklärt Anke Weingarte von der Theaterfaktorei und meint jene Bildschirme, die alle Gesten der Dolmetscher zeigen.

Die Schluss-Szene der „Schneekönigin“: Singend hat Gerda (Emilia Reichenbach) ihren Kay (Mervan Ürkmez) vom eisigen Zauber befreit.
Die Schluss-Szene der „Schneekönigin“: Singend hat Gerda (Emilia Reichenbach) ihren Kay (Mervan Ürkmez) vom eisigen Zauber befreit.

Auch für Kira Knühmann-Stengel und ihren Kollegen Klaus Meinhold bedeutet Theater eine Ausnahme im Beruf: „Letztes Jahr hatten wir ,Honig im Kopf’ für das Essener Rathaustheater übersetzt.“ Lesungen des ersten Lit-Ruhr-Festivals zählten ebenso zu ihren Dolmetscher-Engagements wie ein Auftritt von „La Signora“: Und bei Carmela de Feo, der Kabarettistin mit Akkordeon, muss es wahrlich schnell gehen.

Für ein junges Publikum, das zum ersten Mal Schauspiel auf der großen Bühne erlebt, geht Gebärdensprache merklich gebremster. „Wir betonen stärker“, sagt Klaus Meinhold, „bringen die Stimmung des Märchens ‘rüber.“ Und zu den Liedern der zauberischen Inszenierung von Serkan Salihoğlu „singt Kira“, ergänzt Anke Weingarte begeistert.

Kira Knühmann-Stengel und Klaus Meinhold zeigen die Gesten für „Schnee“ und „König/ Königin“. Während der Aufführung wechseln
Kira Knühmann-Stengel und Klaus Meinhold zeigen die Gesten für „Schnee“ und „König/ Königin“. Während der Aufführung wechseln

Mit der Gebärdensprache ist es wohl wie mit dem gesprochenen Deutsch: Das Schrifttum mag eine einheitliche Basis sein – aber jeder Sprecher hat doch seine individuelle Intonation und „Mundart“. Klaus Meinhold ist als Sohn gehörloser Eltern „Muttersprachler“ der Gebärdensprache. Und der familiäre Code zuhause unterschied sich durchaus von der gestischen „Hochsprache“.

„Wir ziehen jeweils andere Register“, sagt Kira Knühmann-Stengel, „ob vor Gericht, ob im Kongress oder im Theater“. Wichtig für den Nachmittag mit Andersens „Schneekönigin“ sind auch die wortlosen Szenen, denn die Zuschauer sollen ja nicht nur auf die Monitore blicken, sondern auch dem Spiel von Emilia Reichenbach als Gerda und Mervan Ürkmez als Kay zusehen. Gebärden-Namen entwickeln die Dolmetscher übrigens aus der Situation. Zwar ließe sich K-a-y flott buchstabieren; aber wahrscheinlich nehmen die Simultanübersetzer doch als „Namen“ jene Geste, mit der Kay linkisch-verwegen an seine Mütze greift.

„Für gehörlose Kinder ist die Aufführung ein doppeltes Staunen“, sagt Anke Weingarte. Seit neun Spielzeiten organisiert sie diese jährlichen Theater-Nachmittage mit Übersetzung – und bedauert nur, dass sich erst ein einziges Mal ein Sponsor fürs Dolmetscher-Engagement fand. „Kinder, die jetzt kommen, werden mit dem Theater groß.“ Erwachsene Gehörlose frequentieren eher ihre eigene Kultur-Szene mit eigenen Bühnen und Festivals.

„Wir würden unser Angebot gerne für Erwachsene öffnen“, sagt Romi Domkowsky, die Leiterin der Theaterfaktorei. „Es wäre eine Aufgabe für uns als Teil unserer Inklusions-Strategie.“ Die Übertitelung ausgewählter Inszenierungen könnte der nächste Schritt sein – neben Aufführungen in leichter Sprache. Mit der Wortartistik der jüngsten Premiere „Der futurologische Kongress“ wäre das kaum machbar. Aber Romi Domkowsky verweist auf „Trashedy“, das Tanz-Drama mit den animierten Zeichnungen: „Es eignet sich für leichte Sprache.“ Die Oberhausener Lebenshilfe habe es bereits für sich entdeckt.

>>> DIE LETZTE VORSTELLUNG DER SCHNEEKÖNIGIN

Für Gehörlose übersetzt wird die letzte von insgesamt 56 Vorstellungen der „Schneekönigin“ am Sonntag, 18. Februar, um 15 Uhr. Damit bleibt das Theater Oberhausen einer langen Tradition treu, seit neun Jahren die winterliche Familien-Produktion von Gebärdensprachdolmetschern der Firma Transignum übersetzen zu lassen. Vor der Aufführung gibt es zudem eine Einführung für Gehörlose.

Tickets zu 5,50 und 8 Euro gibt es an der Theaterkasse, 85 78 184, online: theater-oberhausen.de.