Oberhausen. . Vernebelter Blick aus der Unterwelt: So zeigt das Theater „Der futurologische Kongress“. Virtuos stellt sich das Ensemble Lems Sprachartistik.

Die sechs Neon-Lichter an den Ruinenwänden summen und blinken wie jene Lichtschwerter, mit denen sonst Sternenkrieger um sich schlagen. Doch Stanisław Lem, Polens größter utopischer Literat, wollte ja nie ein Science-Fiction-Romancier sein. Und so ist das „Schwerter“-Sirren ein weiterer satirischer Coup aus jenem Mischpult, dessen Klangarsenal sich Regisseur Tomas Schweigen für seine Version von „Der futurologische Kongress“ gewitzt bedient.

Der erste Blick auf Stephan Webers monumentales Bühnenbild im Großen Haus des Theaters Oberhausen macht ohnehin deutlich: Hier geht’s nicht um ferne Welten – sondern um unseren, ziemlich ruinierten blauen Planeten. Die eisblauen Wände ragen auf wie Kriegsruinen in der trutzigen Anmutung von Arnold Böcklins Gemälde der „Toteninsel“. Herein stapfen mühevoll fünf Gestalten – Christian Bayer, Ayana Goldstein, Elisabeth Hoppe, Mervan Ürkmez, und Klaus Zwick – polar verpackt in Schals, Mützen und Daunenjacken. Doch ihre Schritte knirschen nicht auf Schnee, sondern hallen wie High Heels und Lederschuhe auf Marmorboden.

Tagungsgäste als Belagerte

Eingemummelt wie Polarforscher – so treffen die Teilnehmer des „futurologischen Kongresses“ ein.
Eingemummelt wie Polarforscher – so treffen die Teilnehmer des „futurologischen Kongresses“ ein.

Schließlich erzählt Stanisław Lem von einem luxuriösen Kongresshotel inmitten eines lateinamerikanischen Bürgerkriegsstaates. Die Tagungsgäste um den Raumfahrthelden Ijon Tichy (dem alle fünf Darsteller Stimme und Gestalt geben) werden zu Belagerten. Und die zur Befriedung der Aufständischen versprühten Psycho-Aerosole (wie das reizend betitelte „Schmusin“) vernebeln auch Ijon Tichy den klaren Blick auf die Katastrophe.

Als hätte er auch das Theaterpublikum psychoaktiv bedröhnt – so gekonnt hält Tomas Schweigen mit satirischer Verve stets zwei bis drei Wahrnehmungsebenen jonglierend in der Schwebe. Die Töne vom Band erzählen etwas anderes als die Kostüme als die Kulissen – und erst recht als der Lem’sche Wortwitz, grandios artistisch übersetzt von Irmtraud Zimmermann-Göllheim.

Wie verbiegen Diktaturen die Sprache? Wie blockieren vorgeprägte Begriffe das freie Denken? Diese Fragen schwingen stets mit in diesem 1971 entstandenen Werk des Polen, für den ein Drogen-Trip eben kein Schweben auf rosaroten Wolken ist, sondern eher eine Methode stalinistischen Terrors.

Gasmasken und Schutzhauben – doch vor dem Drogennebel der „Psychokratie“ sind die Flüchtenden selbst in der Kanalisation nicht sicher.
Gasmasken und Schutzhauben – doch vor dem Drogennebel der „Psychokratie“ sind die Flüchtenden selbst in der Kanalisation nicht sicher.

„Halluzinationen“ wird so zum panisch ausgerufenen Schreckenswort, aus dem sich das Tichy-Quintett mit Ohrfeigen aufzuwecken versucht. Der Flucht in die Kanalisation – zurück bleibt in der Bühnenruine nur ein einsam hin und her schnuppernder Hund – folgt ein „Erwachen“ (oder Träumen) im Jahr 2039.

Die Fünf tragen jetzt retro-futuristischen Chic: orangefarbene Einteiler, die wohl auch David Bowie als „Mann, der vom Himmel fiel“ gefallen hätten. Doch die als schräge Action-Fabel gestartete Parabel erreicht jetzt Meta-Ebenen, vor denen jeder Sternenkrieger in seinem Cockpit zusammensacken würde. Und Lems hier geradezu virtuos deklamierte Sprachartistik poliert Allerweltsworte wie „Mist“ zu einer Perlenkette von Prä- und Suffixen.

Das Schlussbild macht bösen Ernst aus dem Spiel: Mit den 2039er Menschen in Orange erblicken wir auf einer Leinwand die Kongress-Flüchtlinge in der Kanalisation. Der Pole Lem mag so auf die letzten Kämpfer des Warschauer Ghettos verwiesen haben, die sich nur noch zu den Ratten flüchten konnten.

Eine Auflösung der ineinander verwobenen Alpträume bietet diese durchtrieben kluge Inszenierung jedenfalls nicht. Alle rufen nur wieder das Schreckenswort: „Halluzinationen!“

>>> Info: Auch als Live-Animationsfilm

Im Theater Dortmund hatte bereits in der vorigen Spielzeit eine ganz andere Version von „Der futurologische Kongress“ Premiere. Nils Voges, Bruder des Intendanten Kay Voges, inszenierte Lems Dystopie als Live-Animationsfilm: Schauspieler an Tischen bewegen Pappfiguren über Bildplatten. Die Theaterbesucher sehen die Projektionen – und davor die Puppenspieler.

Mit den Kollegen aus Dortmund bietet das Theater Oberhausen eine Aktion interkommunaler Kultur-Zusammenarbeit namens „Doppelkongress“: Bei Vorlage der Eintrittskarte für die Oberhausener Inszenierung erhalten Besucher für die Inszenierung des „Futurologischen Kongress“ am Schauspiel Dortmund 50 Prozent Rabatt und umgekehrt.